Recruiting

Von Schummlern, Blendern und echten Talenten

Um einen Job zu bekommen, wird bei ­Bewerbungsgesprächen nicht selten getrickst, gelogen und «schöngeredet».

Grundsätzlich ist es aus Sicht der Arbeit­geber immer erstrebenswert, wenn Kandidaten alle möglichen Fähigkeiten mitbringen und das «Wunschprofil» für die zu besetzende Stelle verkörpern. Doch Vorsicht: Nicht immer entspricht es der Realität, dass der Kandidat genau die ausgeschriebenen Anforderungen erfüllt.

Häufig werden die eigenen Qualitäten mehr oder minder auf die Anforderungen zurechtgebogen. Mit gut vorbereiteten Interviews und gründlicher Recherche können Interviewer herausfinden, ob die Angaben der Kandidaten ehrlich sind, der Realität entsprechen oder ob sogar geschummelt wird. Die «Eier legende Wollmilchsau» gibt es eher selten, und es ist auch nicht zwingend notwendig, dass ein geeigneter Kandidat oder eine Kandidatin alle für die zu besetzende Stelle erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen bereits im Auswahlprozess mitbringt.

Aufgeschlossene Charaktere finden sich mit Neugierde und Interesse in neue Herausforderungen ein und meistern ­diese erfahrungsgemäss mit Engagement und Begeisterung. Vorausgesetzt, es handelt sich beim Gegenüber um ein echtes Talent und nicht um einen Blender. Heute beschäftigt sich fast jeder Personalverantwortliche mit Online-Medien bei der Rekrutierung. Das macht es umso schwieriger, die echten Fakten über eine Person herauszufiltern. Die mobile Welt sollte als Ergänzung zu traditionellen und handwerklich guten Gesprächen gesehen und auch eingesetzt und nicht missverständlich als Ersatz verstanden werden. Mit Hilfe der Social-Media-Kanäle lässt sich im Vorfeld schon vieles über Kandidaten herauskristallisieren. Passen sein privates Engagement und sein Social-Media-CV zu den Angaben im übersandten CV? Ist er neben seinem Job anderweitig stark engagiert? Hält er sich in diesen Umgebungen an die gängigen «Benimm-Regeln»?

Erst gründlich recherchieren, dann skeptisch nachhaken

Als Vorbereitung für ein effizientes Interview sollte der Interviewer zunächst gründlich über den jeweiligen Bewerber recherchieren sowie die erforderlichen Kernkompetenzen des Idealkandidaten überdenken und gemeinsam mit der Fachabteilung festlegen. Bewerbungsgespräche, die aus dem Bauch geführt werden, sind in der Regel zu wenig strukturiert, um den passenden Kandidaten herausfiltern und auch Ungereimtheiten erkennen zu können. In einem Interview mit einem Bewerber für eine Vertriebsposition bei einem unserer Kunden erzählte dieser: «Wir haben die besten Umsätze im laufenden Geschäftsjahr gemacht.» Bei der Formulierung mit dem vagen Wörtchen «wir» werden wir skeptisch und haken sofort nach: «Wo lag Ihr persönlicher Anteil am Erfolg?»

Mit gezielten Fragen den Finger auf die Wunde legen

Wenn der Eindruck entsteht, dass im CV etwas geschönt wurde, konfrontieren wir die Kandidaten gerne mit Fragen zu Begriffspaaren, beispielsweise: Sind Sie Teamplayer oder Einzelkämpfer? Sind Sie Moderator oder Macher? Sind Sie der Treiber oder der Organisator? Generell legen wir mit gezielten Fragen auch gerne den Finger auf die Wunde. Fragen wie: Welche Aufgaben tragen andere Menschen an Sie heran? Was würden Sie arbeiten, wenn Sie finanziell unabhängig wären? Was waren Ihre Erfolge? Worauf sind Sie stolz? Was waren Ihre Misserfolge? Woran sind Sie gescheitert? bringen den Kandidaten in eine schwer vorzubereitende Situation und geben dem Interviewer die Möglichkeit, Abweichungen zwischen Leistungsnachweis und wirklichen Kompetenzen zu erkennen. Der Interviewer sollte sich bei seiner Online-Recherche über den Kandidaten ergänzende Fragen an den jeweiligen Bewerber notieren, die sich rein um dessen Online-Präsenz handeln. Diese zeigen zunächst auf, dass der Interviewer gut recherchiert hat, und der Bewerber wird es vermeiden, widersprüchliche Antworten zu geben und gewisse Dinge schönzureden.

Mit unerwarteten Fragen Empathie testen

Aussagekräftig sind auch Fragen nach der Herangehensweise in Problemsituationen. Systematisches Denken und Stress­resistenz versprechen viele Kandidaten. Doch: Welches Potenzial zur Lösungsfindung ist beim Kandidaten wirklich vorhanden? Aufgabenstellungen, die objektiv unlösbar sind, bringen Erkenntnisse darüber, ob und wie der Kandidat die Unlösbarkeit erkennt, ergo: wie systematisch er denkt und wie stressresistent er in vertrackten Situationen ist. Der Interviewer sollte unbedingt darauf achten, dem Bewerber nicht nur vorbereitete Antworten zu entlocken. So lässt sich testen, ob der Kandidat tatsächlich über Eigenschaften wie Empathie, Konflikt- und Teamfähigkeit verfügt.

Im Fall von Ungereimtheiten oder auch zur Überprüfung des Lebenslaufes sollte sich der Interviewer während der Präsentation verschiedene Stationen exemplarisch erläutern lassen. Das Wichtigste für den Interviewer selbst ist die gründliche Recherche und Vorbereitung. Im Vorfeld sollten die erforderlichen Skills skizziert werden, die der geeignete «Idealkandidat» für die vakante Position haben muss, und zudem, welche spezifischen Kompetenzen gefordert sind, damit die Stelle sowohl fachlich als auch persönlich passend besetzt wird.

Wie Sie Unstimmigkeiten erkennen

  • Online-Recherche – wie stimmig ist der Social-Media-CV mit dem allgemeinen CV?
  • Checkliste erstellen mit den wichtigsten Kernkompetenzen des Wunschkandi­daten
  • Gezielte Fragestellungen und auch ­Fragetypen einsetzen
  • Stressresistenz überprüfen
  • Plausibilität des CVs sowie die darin ­enthaltenen Aussagen hinterfragen

 

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Michele Di Pippo ist Managing Director bei der Hager Unternehmensberatung Schweiz GmbH in Zürich. ­

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