Im Gespräch

«Wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe»

Mit über 30'000 Besuchern und 600 Firmenkunden hat sich die Lehrstellen-Plattform Yousty als Marktführerin etabliert und beschäftigt heute 15 Leute. Gründer Urs Casty über die Lehrlingsgeneration Y, Fachkräftemangel und Erfolgsrezepte.

Sie sind mit Jahrgang 1966 ein früher Spross der Generation X. Was zeichnet im Vergleich dazu die Generation Y aus, die aktuell auf Lehrstellensuche ist?

Urs Casty: Punkto Motivation für die Berufswahl sind die Unterschiede gar nicht so gross. Diese war in allen Genera­tionen stets von den gleichen drei Faktoren abhängig: dem Image eines Berufs, den Weiterentwicklungsmöglichkeiten und den Lohnaussichten. Bevor nun bald die Generation Z, also die Jahrgänge ab 2000 ins Berufswahlalter kommen, treten ak­tuell die letzten Jahrgänge der Generation Y ihre Lehrstellen an. Diese ist in ihrer Grundhaltung viel bodenständiger, als man denkt. Allerdings mit einer enorm hohen technologischen Affinität, insbesondere zu Online-Medien. Ausserdem hat die Generation Y einen ausgeprägten Anspruch an die Authentizität jeglicher Information und ihrer Führungskräfte. Gleichzeitig ist sie viel kritikfähiger oder gar kritikhungriger als vorherige Generationen, was den Führungskräften aber eben auch eine entsprechende Feedbackkultur abverlangt.

Wie nehmen Sie den Lehrstellenmarkt wahr?

Mit der technologisch modern aufgestellten Berufswahl-und Lehrstellen-Plattform Yousty sind wir in einer Disziplin unterwegs, die für viele HR-Leute und auch für viele Ausbildungsverantwortliche noch immer Neuland bedeutet. Allerdings wird der Lehrstellenmarkt aus demografischen und gesellschaftlichen Gründen immer anspruchsvoller, weshalb Firmen, die auf Lernende angewiesen sind, sich über kurz oder lang mit unserer Methode der Nachwuchs- und Talentgewinnung werden auseinandersetzen müssen.

Wie setzt man sich für die heranwachsende Generation heute am effektivsten als attraktiver Arbeitgeber in Szene?

Früher war es Standard, Hochglanzfotos zu produzieren und sich in Broschüren oder auf Flyern in ein möglichst gutes Licht zu rücken. Von der heutigen Generation, die mit Social Media Tools wie Facebook und Co. aufgewachsen ist und sich jetzt mit der Berufswahl auseinandersetzt, wird ein deutlich authentischerer Auftritt eingefordert. Für Unternehmen, die heute Lehrlinge suchen, bedeutet dies, dass sich ihr Auftritt zunehmend von einer idealisierten Corporate-Marketing-Darstellung auf die authentische Präsentation fassbarer Persönlichkeiten, die auch Ecken und Kanten haben dürfen, verlagern sollte. Vielen Firmen fällt es schwer, mit diesem Trend mitzuhalten. Dies gilt generell für die Recruiting-Branche. In unserem Markt, wo wir Jugendliche ansprechen, aber noch verschärfter.

Zur Person

Urs Casty (48) arbeitete nach Abbruch eines BWL-Studiums als Rohstoffhändler, bis er mit 28 Jahren «den Spass verlor». Weil sein eigener Berufseinstieg nicht ideal war, widmete er sich fortan als Partner eines Fachverlags für Berufsinformationsmittel und als selb­ständiger Berater in Lehrlingsfragen seinem wahren Interesse: dem Thema Jugend und ­Karriere. 2008 entstand die Idee, mit Yousty basierend auf Web-2.0-Technologie in der Schweiz eine Online-Lehrstellen-Jobplattform aufzubauen. Heute beschäftigt Yousty 15 Mitarbeitende und ist mit monatlich über 30 000 Besuchern und rund 600 Firmenkunden die grösste Lehrstellen-Plattform der Schweiz. Das Konzept ist auch in Deutschland erfolgreich gestartet (yousty.de). Eine Expansion in weitere europäische Länder wird geprüft.
www.yousty.ch

Worauf basiert Ihr Konzept?

Die Grundidee besteht primär darin, in einer Art «Online-Berufsmesse» Schülerinnen und Schülern einen möglichst authentischen Einblick in die Berufswelt zu geben. Schüler sollen bei uns online «schnuppern» können. Was bei der Wohnungssuche, beim Autokauf oder Hotel- und Reisereservation Standard ist, etablieren wir in der Lehrstellensuche. Dazu treten Mitarbeitende – vorwiegend die Lernenden – gegenüber den Lehrstellensuchenden online als Botschafter und Ansprechpartner auf. Verlagert sich die Rekrutierung Richtung Web 2.0, wo die Interaktion und der Dialog mit realen Menschen im Vordergrund steht, weckt das in manchen Firmen Kontrollverlustängste. Unsere Erfahrung zeigt, dass diese unnötig sind. Führende Firmen haben die Bewirtschaftung unserer Dienstleistung sogar in die Hände der Lernenden gelegt. So rekrutieren die Lernenden die neuen Teammitglieder.

Welche Unternehmen haben in Ihren Augen die Zeichen der Zeit erkannt?

Viele nationale Unternehmen aller Branchen gehen bereits in diese Richtung. Die UBS, Swisscom, IKEA, Axpo, Alpiq, Aldi, Burkhalter, login und Walo sind gute Beispiele. First Mover waren und sind vor allem KMU. Auch die Verkehrsbetriebe der Stadt Zürich sind ein gutes Beispiel. Die VBZ haben schon früh versucht, über Facebook, Xing, Linked­In oder Twitter mit potenziellen Kandidaten zu kommunizieren. Aber auch T-Systems, EMS, Emmi, Reishauer, PSI, Libs, ZKB, PSI und BKW haben die Zeichen der Zeit früh erkannt. Grosse Unternehmen haben allerdings auch den Vorteil, eigens dafür Spezialisten einstellen zu können. Je kleiner die Unternehmen sind, umso weniger können sie sich solche Spezialisten leisten. So haben gerade viele KMU ein Problem, wie mit den neuen Instrumenten umzugehen, weil ihnen das Wissen fehlt und Schwellenängste vorherrschen. Damit sind wir jeden Tag konfrontiert. Solchen Firmen können wir mit Yousty einen kompletten Service aus einer Hand anbieten.

Was bedeutet eigentlich das Wort «Yousty»?

Yousty kommt ursprünglich von «your style». Wir haben eine Domain gesucht, die in mehreren Sprachen einfach aussprechbar ist. Auch war uns wichtig, dass der Name Individualität ausdrückt. Denn Karriere ist aus meiner Sicht der Weg der individuellen Verwirklichung im Berufsleben. Uns gefiel der Leitgedanke «your style – your future».

Spricht aus Ihrem Projekt auch eine Kritik an den Instrumenten der gängigen Berufsberatung?

Wir ergänzen das Grundangebot der staat­lichen und kantonalen Stellen, die den Auftrag haben, die Grundversorgung mit Berufsbeschreibungen und Adressen sicherzustellen. Yousty geht einen Schritt weiter und öffnet für die Schüler quasi die Tore zu den Firmen. Wie eine Berufs- und Firmenmesse – einfach online. Viele Lehrer und Berufsberater nutzen deshalb Yousty in der Beratung von Schülern und Eltern ganz selbstverständlich als ergänzendes Tool.

Wie ist die Idee zu Yousty entstanden?

Ich habe festgestellt, wie schwer es für Lehrer und Berufsberater ist, Schüler einzig mit Broschüren umfassend und motivierend zu beraten. Erstens wollen Texte zuerst einmal gelesen werden und zweitens sollten sie Schüler so ansprechen, dass sie sich mit dem Berufsbild identifizieren können. Das ist anspruchsvoller, als man denkt. Das ist eine Beobachtung, die ich im Verlagsgeschäft gemacht habe. Die andere an Berufsmessen, wo ich feststellte, dass es jeweils an jenen Firmenständen von Schülerinnen und Schülern wimmelte, wo Lernende Red und Antwort standen. Aus einer Kombination dieser Beobachtungen ist mir 2008 die Idee gekommen, eine Art Online-Berufsmesse ins Leben zu rufen, wo sich Schüler direkt mit Lernenden austauschen können. Das entspricht dem Lernverhalten, der Sprache und der geforderten Authentizität viel besser, als es von Erwachsenen jugendgerecht formulierte Broschüren oder klassische Internetseiten je leisten können. 2009 waren wir online.

In einer Zeit, als Facebook noch in war.

Facebook ist immer noch in, aber die Wachstumsraten sind kleiner. Man hat uns zu Beginn schnell in diese Facebook-Schublade gesteckt. Die ersten Kunden waren sehr skeptisch aber mutig. Wir mussten dann jeweils lange erklären, dass es nicht unsere Intention ist, einen Chatroom für Jugendliche einzurichten, sondern dass sich Jugendliche besser informiert für Schnupperlehren oder Lehrstellen bewerben.

Wie hat sich Yousty am Markt durchgesetzt?

Wir waren ursprünglich ein ganz bescheidenes Start-up, das ich gemeinsam mit einem 21-jährigen Lehrabbrecher, einem Programmierer und einer Studentin mit meinem Privatkapital ins Leben gerufen hatte. Die grösste Herausforderung bestand darin, unsere Plattform möglichst schnell unter den Jugendlichen bekannt zu machen. Dies gelang uns mit einer konsequenten Suchmaschinenstrategie. Heute findet man uns online unter allen relevanten Suchkriterien. Aber auch Facebook hat sich zu einem Kanal entwickelt, über den wir überraschend viele Schüler erreichen. Das war nicht meine Idee, sondern die des Teams. Der Erfolg hat dieser Strategie recht gegeben. Und mit dem Erfolg kamen die finanziellen Möglichkeiten, uns auch an Schulen, bei Eltern und Berufsberatern bekannt zu machen und den neuen Weg vorzustellen. Dies wäre ohne den unendlichen Einsatz unseres sehr jungen und enthusiastischen Teams nicht möglich gewesen. Zudem haben uns sehr schnell viele Berufsverbände und Firmen unterstützt. Wir sind von Anfang an auf viel Sympathie gestossen.

Wie sieht eigentlich Ihr Businessmodell aus?

Für Schüler, Eltern, Lehrer und Berater ist alles kostenlos. Die Unternehmen bezahlen Geld für ihren Auftritt auf Yousty. Die Spanne reicht von einigen Hundert bis einigen Tausend Franken jährlich. Grundsätzlich bieten wir seit 2009 die Möglichkeit, ein Unternehmensprofil aufzuschalten, welches sich seit kurzem mit jenen von Xing oder LinkedIn vergleichen lässt. Je ausführlicher und je multimedialer ein solches Profil gestaltet ist, desto teurer wird es für den Kunden. Zudem lassen sich unsere Preise regional skalieren. Will eine Firma nur eine bestimmte Region erreichen, ist das güns­tiger als eine nationale Abdeckung. Einen weiteren Kanal und Kostenfaktor stellen die Interaktionsmöglichkeiten dar. Je nach Service-Paket besteht die Möglichkeit, gezielt und aktiv registrierte Schüler direkt anzusprechen, um sie für die Lehrstellen zu begeistern. Mit Hilfe dieser Push-Aktivität können die Firmen stets präsent sein oder auch kurzfristig noch Lehrstellen besetzen, wenn noch welche offen sind oder ein Kandidat abgesprungen ist. Eine klare Alternative zu Zeitungsinseraten oder einfachen Stellenanzeigen im Internet.

Müssen die User dafür ihr Einverständnis geben?

Ja, 95 Prozent der User tun das auch, weil sie ja eine grosse Herausforderung zu lösen haben. Um ihr Suchinteresse abzustecken, können Lehrstellensuchende neben ihrem eigenen Profil, bestehend aus Bildern, den Personalien, Schulleistungen, Hobbys, Interessen und Leidenschaften, auch ein massgeschneidertes Suchabo für den Wunschberuf einrichten. Hier werden wir uns noch enorm weiterentwickeln.

Wie verbreitet ist die Direktansprache in der Lehrlingsrekrutierung?

Die Nachfrage bei den Firmen ist noch nicht sehr weit entwickelt, was auch mit der fehlenden Kapazität zu tun hat, weil seriös betriebene Direktansprache aufwendig ist. Zurzeit nutzen nur rund fünf Prozent unserer Firmenkunden dieses Werkzeug. Allerdings sind es meist die ambitioniertesten Firmen, welche das Instrument der Direktansprache einsetzen. Oft auch verbunden mit einem Lehrlingsprojekt, indem sie bestehende Lernende die Yousty-Kandidaten-Profil-Datenbank nach künftigen Kolleginnen und Kollegen durchforsten lassen. Das funktioniert hervorragend.

Können Sie ein paar Firmen nennen, die das Direktansprache-Instrument einsetzen?

Siemens in Zürich, T-Systems in Bern, Emmi in Luzern, Stryker in Solothurn aber auch die UBS oder die Migros Zürich, welche sich sehr offen und neugierig auf unsere User-Profile einlassen, da sie für beinahe jedes Profil Lehrstellen anbieten.

Welche Botschaft möchten Sie an die HR- bzw. Ausbildungsverantwortlichen aussenden?

Dem Fachkräftemangel kann und sollte man mit der Ausbildung von jungen Leuten entgegenwirken. Und wenn man junge Leute für die Berufsbildung begeistern will, wird man an neuen Rekrutierungskanälen nicht vorbeikommen. Das ist eine Chance und kein Mangel. Eigentlich möchte ich diese Botschaft am liebsten an die Geschäftsleitungsgremien adressieren, denn im HR und bei den Berufsbildnern ist das Bewusstsein bereits weitgehend vorhanden. Diese werden aber oft zu wenig oder zu träge unterstützt.

Welcher Wirtschaftszweig zeigt sich betreffend Lehrlingsrekrutierung am trägsten?

Grundsätzlich gibt es in allen Branchen und Firmen ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Das ist Teil der Unternehmensstrategie und des Wettbewerbs. Die grösste Herausforderung treffen wir im Gewerbe an, wo gewisse Geschäftsführer und Inhaber die guten Absichten ihrer Berufsbildner nicht unterstützen und oft auch minimale Investitionen abgeblockt werden. Statt in konsequentes Lehrlingsmarketing zu investieren, zahlt man lieber viel Vermittlungsprovisionen an Personalberater, die einen Ausgelernten bringen sollen. Es herrscht mancherorts immer noch die Meinung vor, dass man Lernende gratis bekommt, weil es immer so war. 2013 blieben in der Schweiz jedoch 8500 Lehrstellen unbesetzt. Besonders viele in den technisch orientierten MINT-Berufen und dem Handwerk, teils auch im Verkauf. Stu­dien zeigen aber, dass aktive Unternehmen auch in diesen Branchen ihre Lehrstellen fast immer besetzen können. Deshalb gilt es, die Verantwortlichen und die Berufsbildner weiterzubilden. Ein Verband und eine Diplom-Ausbildung wären sicher von Vorteil.

2014 wurde vom Bund zum Jahr der Berufsbildung ausgerufen, das im September mit den «Swiss Skills» – einer Art Leistungsschau der Schweizer Berufsbildung – den Höhepunkt er­reichen soll. Hand aufs Herz: Ist das duale Berufsbildungssystem der Schweiz international wirklich unerreicht?

Gerade in Zeiten hoher Jugendarbeitslosigkeit in Europa und schnell wachsenden Ländern zeigt sich die Stärke unseres Systems, das durchaus ein Exportschlager sein könnte. Mitte September findet zu diesem Thema in Winterthur übrigens zum ersten Mal ein internationaler Kongress statt. Das empfinde ich als richtiges Zeichen. Dennoch verfolge ich mit grossem Interesse das erfolgreiche deutsche Modell des dualen Studiums, eine Kombination aus Berufslehre und Studium inklusive Arbeitsvertrag, das Abiturienten offensteht. In diesem Bereich hat die Schweiz noch Potenzial.

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Ehemaliger Chefredaktor HR Today.

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