HR Today Nr. 7&8/2018: Im Gespräch

«Einer Königin sagt man nicht nein»

Vom deutschen Handelsblatt wurde sie jüngst für die Auszeichnung «Frauen, die unsere 
Wirtschaft revolutionieren» nominiert. Die Verantwortliche für Vielfalt und Inklusion bei SAP, Anka Wittenberg, über die Bedeutung von Awards, die Gleichstellung von Mann und Frau 
und eine bessere Arbeitswelt.

Frau Wittenberg, Sie wurden vom deutschen Handelsblatt als «Frau, die unsere Wirtschaft 
revolutioniert» nominiert. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Anka Wittenberg: Natürlich ist es schön, dass meine Arbeit Wertschätzung erfährt. Solche Awards lenken die Aufmerksamkeit auf wichtige Themen und heben das Positive hervor. Das bringt Veränderungsprozesse voran.

Wie gestaltet sich Ihre «postrevolutionäre» 
Arbeitswelt?

Indem wir durch die Technologie die Flexibilität haben, zu entscheiden, wie und wo wir arbeiten wollen. Vertrauen wir unserer Gesellschaft und unserem Arbeitsumfeld und sehen einen Sinn in dem, was wir tun, so können wir mit Innovationen die Welt sowie das Leben der Menschen 
verbessern.

Frauen und Männer sind in vielen Gesellschaften längst gleichgestellt. Braucht es spezielle Awards, die Frauen auszeichnen?

Vielen Studentinnen und jungen weiblichen Berufstätigen fehlen Frauen als Vorbilder, die eine Familie haben und Karriere machen. So werde ich nach Vorträgen an der Harvard University oder an der Kopenhagen Business School häufig von MBA-Studentinnen gefragt, wann sie sich für eine Karriere oder Kinder entscheiden müssten. Das finde ich erschreckend und da frage ich mich manchmal schon, in welchem Jahrhundert wir leben. Die gesellschaftliche Akzeptanz für berufstätige Mütter fehlt oft. Das merke ich etwa in Deutschland, wo viele Frauen immer noch als Rabenmütter gelten, wenn sie einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen und Kinder haben. In Frankreich ist es hingegen völlig normal, wenn beide Elternteile arbeiten. Ich selbst habe meine drei Kinder während meines Studiums bekommen. Denen geht’s prächtig und wir verstehen uns prima. Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass ich mich zwischen Familie oder Beruf hätte entscheiden müssen.

Weshalb sind Ihnen Vielfalt und Inklusion so wichtig?

Ohne Vielfalt gibt es keine Innovation. Wenn wir etwas für alle Menschen entwickeln, müssen wir einfach sicherstellen, dass die Vielfalt dieser Menschen auch in unseren Geschäftsprozessen und -entscheiden reflektiert wird, weil wir sonst ausgrenzen, ohne dass uns dies bewusst ist. Kürzlich war ich im Silicon Valley bei einem Startup, das eine Mobile-App für Videos entwickelt hat, mit der man Videos produzieren, hochladen und teilen kann. Nach einem Probelauf haben wir uns die Resultate angesehen. Ungefähr fünfzehn Prozent der Videos standen auf dem Kopf. Weshalb? Weil ein Linkshänder ein Handy anders hält als ein Rechtshänder. Im Entwicklerteam waren jedoch nur Rechtshänder vertreten. Um solche Pannen zu vermeiden, müssen wir Vielfalt in die Technologie hineinbringen. Das ist jedoch nicht selbstverständlich. So sind viele Web-Applikationen wie Siri oder Alexa mit Frauenstimmen belegt und 80 Prozent aller Wikipedia-Einträge werden von Männern geschrieben. Wir transferieren damit ein traditionelles Frauenbild in die Zukunftstechnologie. Das muss sich ändern, denn unsere Zukunft soll vielfältig bleiben und es sollen nicht nur Rechtshänder oder Männer berücksichtigt werden, sondern alle Menschen.

Lassen sich unbewusste Diskriminierungen 
verhindern?

Ja, etwa durch die Technologie, die wir selber nutzen. Zum Beispiel bei Stellenausschreibungen: Kommt darin ein Wort wie «durchsetzungsfähig» vor, ist das ein Attribut, das Frauen abschreckt. Das heisst, schon die Sprache, in der eine Stellenbeschreibung aufgesetzt wird, hindert Frauen daran, Interesse zu zeigen. Diese Erkenntnis haben wir in unseren Produkten implementiert. So zeigt die Software auf, wo geschlechtsspezifische Sprache verwendet wird. In unseren Leadership-Trainings sowie Mitarbeiterschulungen bringen wir das Thema «Unconscious Bias» ebenfalls zur Sprache.

Inwiefern zahlt sich Ihr Engagement fürs 
Business aus?

Als Ökonomin gehe ich mit Zahlen und mit meiner Zeit so um, dass ich die grösstmögliche Wirkung im Unternehmen erziele. Dieses Denken hat mir dabei geholfen, die Themen Vielfalt und Inklusion bei SAP auf der Agenda voranzubringen, weil ich dadurch im Auge behalte, welche Wirkung mein Handeln auf das Geschäft hat. Der Einfluss von Vielfalt und Inklusion auf den Geschäftserfolg lässt sich messen, etwa durch die Mitarbeiterzufriedenheit. Nimmt diese um ein Prozent zu, erhöht das unseren operationellen Profit in einem zweistelligen Millionenbetrag. Je vielfältiger unsere Belegschaft ist, desto innovativer ist unser Unternehmen. Wir verstehen unsere Kunden und Endverbraucher am besten, wenn wir dies in unseren Mitarbeiterstrukturen abbilden.

Wie tun Sie das?

Etwa mit unserem Programm «Autism at work». Dieses haben wir vor vier Jahren in Indien gestartet. Seither haben wir 120 Menschen in elf Ländern mit der Diagnose «Autismus» angestellt. Wir tun dies nicht, weil diese Menschen eine Behinderung haben, sondern aufgrund ihrer besonderen Stärken: Autistische Menschen können sich sehr lange auf sich wiederholende Prozesse konzentrieren. Sie haben zudem ein unglaubliches Gefühl dafür, Fehler zu entdecken und besitzen oft ein fotografisches Gedächtnis. Gesellschaftlich haben es autistische Menschen jedoch nicht leicht. Viele haben nur bei ihren Eltern gelebt und trotz guter schulischer Ausbildung eine Arbeitslosenrate von weit über 50 Prozent. Ihnen ein unabhängiges Leben zu ermöglichen, und eine Arbeit zu geben, auf die sie und ihr Team stolz sein können, ist für mich schon eine Erfolgsgeschichte.

Sich auf Stärken anstatt Schwächen zu konzentrieren wird uns hierzulande ja nicht gerade 
beigebracht …

In der Leistungsgesellschaft in der wir leben, fokussieren wir tatsächlich noch stark auf unsere Schwächen. Die digitale Transformation verändert jedoch alles, was wir tun: unsere Geschäftsprozesse, wie wir leben, einkaufen, kommunizieren oder Bankgeschäfte tätigen. Um mit diesen Veränderungen umzugehen, müssen wir innovativ sein. Und um innovative Ansätze zuzulassen, müssen wir Fehler zulassen. Sonst können wir uns nie in unbekannte Bereiche wagen oder Andersartigkeit zulassen.

In einer diversen Kultur gibt es Reibungsflächen. Wie gelingt die Zusammenarbeit unterschiedlichster Menschen?

Hauptsächlich durch Kommunikation. Um auf das Programm «Autism at work» zurückzukommen: Autistische Menschen verstehen Sarkasmus nicht und können nicht interpretieren, was wir «zwischen den Zeilen» sagen. Deshalb haben wir unsere Kommunikation angepasst. Diese ist in den betreffenden Teams einfacher, klarer und präziser geworden. Das verbessert gleichzeitig die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Nationalitäten, denn Chinesen, Amerikaner oder Schweizer haben beispielsweise alle ein unterschiedliches Verständnis von Sarkasmus.

Nebst Ihren Tätigkeiten bei der SAP engagieren Sie sich bei der Childhood Foundation, die Kinder vor Missbrauch schützt. Wie hängt das mit Ihren anderen Engagements zusammen?

SAP war Gründungsmitglied der Childhood Foundation, als die Königin von Schweden diese Organisation initiiert hat. Darum war die Zusammenarbeit von Anfang an sehr eng. Als in Deutschland ein neuer Geschäftsführer gesucht wurde, hat mich Königin Silvia gebeten, diese Aufgabe zu übernehmen. Und einer Königin sagt man nicht nein, also hatte ich den Job.

Zur Person

Als Chief Diversity and Inclusion Officer verantwortet Anka Wittenberg die Diversitäts- und Inklusionsstrategie bei SAP. Im Fokus ihrer Tätigkeiten stehen die Gleichstellung von Mann und Frau, die Zusammenarbeit von Mitarbeitenden verschiedener Generationen, die Schaffung von Kulturbewusstsein sowie die Integration von Menschen mit Beeinträchtigungen.

Anka Wittenberg engagiert sich zudem als Geschäftsführerin der Childhood Foundation für die Rechte von Kindern und setzt sich für deren Schutz vor Ausbeutung ein. Daneben ist sie Aufsichtsrat in einem Familienunternehmen. Für ihr Engagement wurde sie vom deutschen Handelsblatt als eine von 25 «Frauen, die unsere Wirtschaft revolutionieren» ausgezeichnet.

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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