Checkliste

Zehn Gründe für mehr Sportlichkeit in der Wirtschaft

Im Sport wie im Arbeitsleben steht die Leistung im Vordergrund. Doch die Wirtschaftsgesellschaft macht sich noch zu wenig Gedanken darüber, wie Top-Leistungen nachhaltig erreicht werden können. In der Folge nehmen psychische Erkrankungen wie Burnout zu. Der Sport ist diesbezüglich weiter. 10 Punkte, die die Wirtschaft vom Sport lernen kann, um Übertraining (Burnout) zu verhindern.

1. Erholungskultur leben – Mut zur Pause

Wie beim Training sollten wir uns vor jedem (Arbeits-)Tag bewusst machen, wann die intensiven Reize erfolgen. Dann wissen wir auch, wann wir Erholung benötigen. Genauso, wie es in jeder Trainingseinheit Pausen braucht, um an die nächste Übung heranzugehen und das Optimale herauszuholen, kann auch die Arbeit nach einer Pause besser bewältigt werden. Führungskräfte sollten den Mut haben, Pausen zu planen und vorzuleben. Und Führungskräfte von Führungskräften sollten erkennen, dass Top-Leader ihren Mitarbeitenden Erholungszeit gönnen. Denn diese Mitarbeitenden stehen langfristig im Einsatz.

Es gilt, einfache und wirkungsvolle Tools und Prozesse, damit Pausen wirklich gelebt werden können, zur Verfügung zu stellen. Eine Möglichkeit sind Orte, an denen Power-Naps abgehalten werden können oder Räume, in denen mit Sportgeräten für Ablenkung gesorgt wird. Für Bewegungsmuffel könnten beispielsweise Einrichtungen für gesundheitsfördernde Fussbäder zur Verfügung gestellt werden. Es ist auch denkbar, dass pro Team abwechselnd andere Personen für eine auflockernde Pausenunterhaltung sorgen. So wird die Verantwortung für die wichtigen Pausen geteilt.

2. Erholungsfähigkeit stärken

Die Mitarbeitenden sollten sensibilisiert werden, dass Sport in zweierlei Hinsicht gegen Stress wirkt: Erstens kann durch Sport Stress abgebaut werden. Zweitens lernt der Körper durch Sport, zwischen physischer Anspannung und Entspannung zu unterscheiden. Diese körperliche Erholungsfähigkeit wird auch auf den psychischen Bereich transferiert. Der Arbeitgeber kann auf einfache Weise günstige Verhältnisse für körperliche Betätigung schaffen. Je niederschwelliger die Form, desto mehr Mitarbeitende nutzen die Möglichkeiten. Es muss nicht immer eine geleitete Yoga-Lektion sein. Oft reichen auch gut und kreativ verpackte Kräftigungs- oder Koordinationsübungen aus, die in einer Viertelstunde absolviert werden können. Anreizsysteme können das Bewegungs-Verhalten zusätzlich fördern. Für eine bestimmte Anzahl absolvierter Übungen bezahlt der Arbeitgeber einen Betrag. Mit dem «Erlös» können weitere Aktivitäten unternommen oder gemeinnützige Projekte unterstützt werden. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt – was den Mitarbeitenden gefällt, darf ausprobiert werden.

3. Weitsichtige Führungscrew

Der moderne Begriff für langfristigen Trainingsaufbau heisst in der Trainingswissenschaft LTAD (Long Term Athlete Development). Er besagt, dass Athleten langsam und kontinuierlich auf ein Topleistungsniveau vorbereitet werden, indem sie in den Genuss einer kontinuierlich steigenden Belastung kommen. Körperliche und mentale Überbelastung und Verletzungen können so verhindert werden. LTAD heisst nicht Stillstand. Der Buchstabe D steht für Entwicklung. Der Sportler will sich weiterentwickeln, besser werden – nur nicht auf Kosten von Übertraining. Dieser Ansatz dient auch bestens für modernes, gesundheitsförderndes und nachhaltiges Wirtschaften. Entwicklung auf jeden Fall, nur nicht zu Ungunsten der Mitarbeitenden und deren Leistungsfähigkeit.

Oft haben Manager zu wenig Geduld, weil zur Förderung der eigenen Karriere der schnelle Erfolg gesucht wird. Mitarbeitende sind langfristig aufzubauen und ihr Potential ist zu berücksichtigen. Dabei müssen sie wie Sportler betreut und gecoacht werden. Führungskräfte müssen für diese Kernaufgabe ausgewählt und geschult werden. Die Unternehmungen müssen ihre Führungscrew so auswählen, dass eine langfristige Sichtweise sichergestellt ist. Der Führungstalent-Sichtung ist grossen Wert einzuräumen. Die Rekrutierung mit Bezug auf langfristiges Denken beginnt auf der obersten Etage und geht hinunter bis zu den Teamleitenden.

4. Langfristiges und teamorientiertes Ziel- und Entlöhnungssystem

Das Zielsystem soll nicht jährlich aufgebaut werden, sondern über zwei bis vier Jahre. Dies merzt kurzfristiges Denken auf den Jahresabschluss hin aus. Beim Herunterbrechen der Ziele müssen auch die Mitarbeitenden der untersten Hierarchie erkennen, dass sie etwas ans Gesamtziel beisteuern. Diese Sichtweise schafft sehr viel Identifikation und Wertschätzung. Weiter ist in Bezug auf mögliche Boni zu überlegen, anhand welcher Kennzahlen der Bonus ausbezahlt wird – unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Ziele. Zu denken ist an Kennzahlen wie Mitarbeitenden-Zufriedenheit, Absenzen, etc. Wenn der Erfolg eintritt, darf gefeiert werden – und zwar alle zusammen, von den Reinigungsleuten bis zum Lehrling, von den Controllern bis zum Chauffeur. Das ganze Team soll am Bonus, der nicht monetär sein muss, teilhaben. So sind die Mitarbeitenden gezwungen, zusammen zu arbeiten und diejenigen Lösungen zu suchen, welche dem Kollektiv dienen und nicht nur einzelnen «Spielern».

5. Identifikation schaffen

«Wir holen den Titel!» Weitere Beschreibungen sind oftmals nicht notwendig, um im Sport Identifikation zu schaffen. Im Arbeitsleben ist es je nach Branche schwierig, alleine mit der Vision oder dem Ziel Identifikation zu schaffen. Ziele sollten deswegen sinnhaft, verständlich und machbar ausformuliert werden. Damit die Ziele Sinn stiften, bedarf es meist auch eines persönlichen Vorteiles. Zum Beispiel, indem die Mitarbeitenden am Erfolg teilhaben. Weiter besteht zur Erzeugung von Sinn die Möglichkeit, «Nebenprodukte» für die Mitarbeitenden zu kreieren. Unternehmenswerte, Kultur, Zusammengehörigkeitsgefühl, Stolz oder Ähnliches können entwickelt werden, welche zusammen mit dem Kernprodukt «Arbeit gegen Lohn» als Gesamtprodukt angesehen werden kann.

6. Werte leben – Egoismus abbauen

Es gibt immer wieder Situationen, in welchen die einzelnen Personen emotional betroffen sind. Werte helfen ihnen, wie sie sich in solchen Situationen im Sinne aller verhalten. Viele ehemaligen Spitzensportler, welche im Arbeitsleben Erfolg haben, nennen vor allem Werte wie Disziplin,die ihnen helfen. Disziplin benötigt man, um Regeln einzuhalten, auch wenn persönlich andere Präferenzen vorhanden sind. In Bezug auf diszipliniertes Verhalten müssen die Chefs Vorbild sein. Weiter ist jedoch jedes Teammitglied gefordert. Damit dies gelingt, sind Werte-Verantwortliche im Team zu benennen. Sie haben die Aufgabe, dann einzugreifen, wenn Egoismus aufkommt und dem Team schadet.

7. Niederlagen überwinden – positive Fehlerkultur

Sportler müssen Niederlagen akzeptieren, Enttäuschung zulassen, verarbeiten und wieder aufstehen. Sportler müssen für ihr Verhalten – beispielsweise einen «verschossenen» Elfmeter – die Verantwortung übernehmen. Auch im Arbeitsleben treten Misserfolge ein. Dies ist kein Weltuntergang. Fehler passieren, wenn man etwas wagt. Eine positive Fehlerkultur hilft, den Erfolgsdruck und damit die Fehlerquote zu senken. Erfolgreiche Teams überwinden Misserfolge und werden – wenn sie selbstkritisch genug sind – noch erfolgreicher. Dabei ist es wichtig, dass Fehler nicht versteckt werden. In jedem Fehler besteht die Möglichkeit, daraus für jeden einzelnen und für das Team Lehren zu ziehen. Ein mögliches Instrument ist ein «Fehler-Speicher», welcher regelmässig im Team diskutiert wird und aus dem Handlungsempfehlungen abgeleitet werden können.

8. Rekrutierung überdenken – die elf Besten, nicht die besten elf!

Die Personalauswahl wird bei Sportmannschaften meistens sehr akribisch und ganzheitlich durchgeführt. Die Beurteilung erfolgt aus technischer, taktischer, körperlicher, emotionaler, finanzieller und kultureller Sicht. Ein Trainer überlegt sich genau, welche Charaktereigenschaften in einer Mannschaft noch benötigt werden, weil er weiss, dass nicht nur die sportlichen Kriterien wichtig sind. Die Sportler werden speziell «gescoutet», beobachtet, bevor sie unter Vertrag genommen werden. Ebenso sollte auch die Rekrutierung in der Wirtschaft vorgenommen werden. Bewerbungsgespräche und Aufgaben im stillen Kämmerlein zu lösen ist nicht sehr jobspezifisch. Die Sportler werden auch im Wettkampf beobachtet, in der gesamten Teamkonstellation. Die Rekrutierung soll ganzheitlich erfolgen – dafür muss man sich mehr Zeit nehmen. Und die Probezeit ist auch als Probe zu gestalten.

9. Transparente Rollenklärung – Ersatzbank?

In den Mannschaftssportarten ist es besonders deutlich: jeder hat seine Rolle als Verteidiger, Mittelfeldspieler oder Stürmer. Wieviel darf ein Sportler von seiner Aufgabe abweichen? Oft werden Abweichungen von der Rolle dadurch «bestraft», dass an anderen Orten genau diese Aufgabe nicht ausgeübt wird und Fehler passieren. Gerade deshalb bestehen Trainer auf einer enormen Disziplin in der Rollenausübung. Voraussetzung ist hierzu, dass jeder seine Rolle akzeptiert. Dies bedarf einer ehrlichen aber wohlwollenden Auseinandersetzung zwischen dem Chef und den Mitarbeitenden.

Damit die Akzeptanz erhöht wird, können Rollen erweitert, reduziert und getauscht werden. Job-Rotation ist eine Möglichkeit, um das Risiko von Langeweile und eines erheblichen Leistungsabfalles zu verhindern. Diese Sicherheit verleiht dem Team Gelassenheit und damit Energie für den Fokus auf das Wesentliche. Diese Rollenflexibilität und damit eine gesicherte Stellvertretung sollte auch in der Wirtschaft gelebt werden, um in den nötigen Erholungsphasen (Ferien, Freitage, vgl. Tipp 1), von der Arbeit abschalten zu können, im Wissen, dass die Arbeit erledigt wird. Das fördert die Erholung und damit die Leistungsfähigkeit. Voraussetzung einer solchen Flexibilität sind genügend Ressourcen – im Sport muss ein Top-Team auf jeder Position doppelt besetzt sein. Die Wirtschaft muss und kann aus finanziellen Gründen jedoch nicht so weit gehen. Um jedoch langfristig Erfolg durch motivierte, gesunde und damit leistungsfähige Mitarbeitende zu erlangen, wäre zumindest eine leichte Erhöhung der Ressourcen eine Überlegung wert.

10. Individualität und Sonderwünsche – Zeit für die Führung

Trotz gleicher Ziele und Werte besitzen die einzelnen Teammitglieder unterschiedliche Charaktere. Hinzu kommt, dass Trainer bei sogenannten Stars oft mit Privilegien konfrontiert werden. Dies gefährdet den Grundsatz der Gleichbehandlung aller im Team. Alle gleich und trotzdem jeden individuell zu behandeln ist die schwierigste Aufgabe eines Teamleiters. Welches sind die grundlegenden Regeln, die auch nicht von den Stars hintergangen werden dürfen? Welches sind die Regeln, die ein individuelles Eingehen auf die Stars rechtfertigen? Trotz Gleichbehandlung ist Individualität gefordert in Bezug auf die Kommunikation, den Umgang, auf das Eingehen auf Stärken und Schwächen. Führung muss mit Coaching beginnen, Gespräche müssen geführt werden, deshalb ist auf eine optimale Führungsspanne, zu achten. Für die genannten Themen der Führung soll sich eine Führungsperson bewusst genügend Zeit nehmen.

 

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Andreas Wieser (lic. iur. HSG, Rechtsanwalt) arbeitet bei der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz als Leiter Recht, Finanzen und Support und ist in diverse Projekte im Bereich Betriebliches Gesundheitsmanagement involviert. Während seiner Ausbildung zum Trainer Leistungssport (Swiss Olympic, 2013) setzte er sich mit dem Thema Übertraining/Burnout auseinander. Die vorliegende Checkliste ist ein Auszug aus seiner Arbeit zum Thema «Was die Wirtschaft vom Sport lernen kann, um Übertraining (Burnout) zu vermeiden.»

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