HR Today 3/23: HR als Krisenmanager

Bereit für jede Krise

Ausnahmesituationen erscheinen in unterschiedlichen Formen – etwa als Grossbrand, Schicksalsschlag im Team, permanente Unterbesetzung oder unglückliche Wortwahl eines Vorgesetzten. Gibt es eine allgemeingültige Formel, um Krisen zu überstehen? Und welche Rolle nimmt dabei das HR ein?

Laut der PwC Global Crisis and Resilience Survey 2023 sind Cyberangriffe, Lieferkettenunterbrechungen und der Fachkräftemangel weltweit die drei grössten Sorgenthemen von Unternehmen. Doch bereits ein individueller Schicksalsschlag reicht, um ein Unternehmen aus der Bahn zu werfen – zum Beispiel, weil eine Fachkraft mit Schlüsselposition verunfallt und ausfällt.

Vertrauensverhältnis schaffen, um Krisen zu meistern

«Jede Situation ist anders», sagt Beatrice Höhn, Geschäftsleiterin von Krisenintervention Schweiz, einer Stiftung, die sich auf die Begleitung und Unterstützung traumatisierter Menschen spezialisiert. «Aber Vertrauen in das HR und in Führungskräfte sind bei der Krisenbewältigung essenziell.» Als Dreh- und Angelpunkt zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden sei es die Aufgabe des HR, zu allen Parteien ein gutes Verhältnis zu pflegen und das Verhältnis zwischen Kader und Mitarbeitenden zu stärken, ist einer Studie von James, E. H. und Wooten L. P. (2005) zu entnehmen. Dadurch werde die Kommunikation effektiver, während sich das Risiko fataler Missverständnissen minimiere.1

«Die Bewältigung einer Krise muss man als Teamarbeit ansehen», betont Höhn. Umso wichtiger sei, dass die richtigen Personen an Ort und Stelle sind. So vereiteln eine unpassende Besetzung und narzisstisches Verhalten in den oberen Führungsetage laut der Studie von King (2007) das Krisenmanagement.2 Hinzu kommt, dass festgefahrene Einstellungen («mental models») die Aneignung und Umsetzung neuen Wissens erschweren. Das beeinflusst gemäss Blackman et al. (2006) die Früherkennung von Krisen und damit die optimale Vorbereitung, verhindert aber auch die Reflexion und das Lernen im Nachgang.3

Hierarchien hinterfragen

«Nicht alle Mitarbeitenden verfügen über die persönlichen Eigenschaften, in einem Krisenstab wirksam mitzuarbeiten», sagt Reinhard Obermüller, Managing Consultant für Integrale Sicherheit der Swiss Infosec AG, ein Beratungs- und Ausbildungsunternehmen in den Bereichen Informationssicherheit, Datenschutz und IT-Sicherheit. «Das HR kann die Krisenstabsleitung aber unterstützen, die richtigen Personen zu finden.» Deshalb sollten Rollen und Hierarchien hinterfragt werden. «Zum Beispiel weil sich nicht alle Kadermitglieder gleich gut als Mediensprecher eignen», ergänzt Höhn.

Einfluss der Kommunikationskultur auf das Krisenmanagement

Gute Kommunikation bildet die Basis von Vertrauen. Die Qualität und die Reaktionsfähigkeit der Kommunikation sind gemäss der Studie von Reilly, Anne H. (2008) deshalb wichtige Indikatoren für die Krisenbereitschaft eines Unternehmens.4 Dabei dürfe nicht unterschätzt werden, wie die Ungewissheit und der daraus resultierende Stress die Kommunikation in einer Krisensituation beeinflusst.

In seinen Werken analysierte Krisentheoretiker Timothy Coombs unter anderem das Verhalten von Mitarbeitenden in Krisensituationen und stellte fest, dass die Wahrnehmung der Situation auch bei gleichem Informationsstand asymmetrisch ist.5 So stellen sich Mitarbeitenden beispielsweise Fragen nach zusätzlicher Belastung, etwa durch neue Aufgaben, sowie möglichen Konsequenzen (Jobsicherheit, Ausfall von Benefits, Kürzung der Pensen. Folglich ist ein empathisches Management, das sich in die Lage der Mitarbeitenden versetzt, vertrauenswürdiger und effektiver in der Kommunikation.

Dos and Don’ts der Mitarbeiterkommunikation in einer Krisensituation

  • Die interne Kommunikation hat immer ­Vorrang. Kommunizieren Sie proaktiv und möglichst zeitnah. Sie wollen vermeiden, dass Mitarbeitende über die Krise durch die Medien oder Gerüchte erfahren.
  • Die Kommunikation muss inhaltlich wahr und so präzise wie möglich sein.
  • Bleiben Sie transparent. Kommt heraus, dass Informationen verdeckt oder ­Mitarbeitende getäuscht wurden, kann es die Situation verschlimmern.
  • Passen Sie die Kommunikation an die ­Adressaten an – beispielsweise wird im Fall eines Schicksalsschlags mit der betroffenen Abteilung anders kommuniziert als mit den restlichen Abteilungen. Die Kernbotschaft muss aber gleich bleiben.
  • Führungskräfte sind die wichtigsten ­Bezugspersonen der Mitarbeitenden während einer Krise. Schulen und sensibilisieren Sie Ihre Führungskräfte und Teamverantwortlichen auf angemessene Kommunikation.

 

Widerstandskraft stärken

«Resilienz lässt sich am besten als Abprall-Mechanismus beschreiben», sagt Beatrice Höhn. Je höher die Resilienz, desto höher die Krisenresistenz. Diese habe unterschiedliche Dimensionen: strategisch, operativ und finanziell auf Unternehmensebene, psychisch und sozial auf individueller Ebene. Um Resilienz aufzubauen, dürfe es nicht bei sporadischen Massnahmen bleiben. Stattdessen müssten Resilienz-Bestrebungen Teil der Unternehmens- und der HR-Strategie werden und nach messbaren Zielvorgaben umgesetzt werden. Um diese Programme voranzutreiben, bedarf es auch einer dafür qualifizierten verantwortlichen Person.

Doch das reicht nicht: So zeigten die Ergebnisse der PwC-Resilienz-Studie 2023, dass die Mehrheit der befragten Unternehmen sich zwar um Massnahmen bemühen und dafür eigens verantwortliche Führungskräfte vorweisen, ihre Programme aber häufig nicht funktionsübergreifend gestalten. Resilienz betrifft aber alle Angestellten eines Unternehmens, also Vorstand, Führungskräfte und Mitarbeitende.

Unterschätzte Stressfaktoren

Der durch die schnelle Veränderung verursachte Stress wird häufig unterschätzt. Mehr noch: Dieser ist von Mitarbeitendem zu Mitarbeitendem übertragbar und verstärkt sich je nach Teamkonstellation. Das schränkt die Entscheidungsfähigkeit und die Leistung in einer Krisenlage weiter ein. «Um Stress zu bewältigen, braucht es stabilisierende Elemente», sagt die Geschäftsleiterin von Krisenintervention Schweiz, Beatrice Höhn. «Diese Position kann das HR als vertrauenswürdige Anlaufstelle annehmen.»

Zacher und Cort6 haben Forschung zu Mitarbeitendenverhalten während der Pandemie zusammengestellt und halten darin als Fazif fest, dass es auch Aufgabe des HR sei, die Flexibilität und die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden zu fördern, um Überforderung vorzubeugen. Eine starke Einbindung der Mitarbeitenden im Team und in der Unternehmenskultur stärke die Sinnstiftung und damit auch die inneren Ressourcen.

Drei Fragen an Reinhard Obermüller, Managing Consultant für Integrale Sicherheit der Swiss Infosec AG

Reinhard Obermüller

1. Hat sich das Krisenmanagement in den Schweizer Unternehmen seit der Pandemie verbessert?

Nach unserer Beobachtung: ja und nein. In vielen Unternehmen ist die Aufmerksamkeit für das Thema Krisenmanagement gestiegen. Zahlreiche Krisenorganisationen wurden aufgebaut oder der Vorbereitungsstand auf eine Krisenbewältigung wurde erheblich verbessert. Auf der anderen Seite beobachten wir die fehlende Bereitschaft, der besonderen Situation einer Krisenlage Rechnung zu tragen. Der Glaube «Uns wird dann schon etwas einfallen» ist noch immer weit verbreitet.

2. Was sind die häufigsten Fehler der Unternehmen im Umgang mit Krisen?

Erstens die mangelnde Krisenerfassung. Das Problem wird nicht umfassend identifiziert, so dass die Lösung bruchstückhaft bleibt und entschlussbeeinflussende Faktoren vernachlässigt werden. Zweitens die Unterschätzung der Ansprüche an die Kommunikation in Krisenlagen, so dass das Unternehmen sich schlechte Presse einhandelt. Zuletzt die mangelnde Antizipation der Lageentwicklung. Das Krisenmanagement bleibt in einer reaktiven Position stecken, statt sich auf mögliche gefährliche Veränderungen vorzubereiten.

3. Welche Vorkehrungen helfen, angemessen auf Krisen zu reagieren?

Ein Krisenorganisation sollte darauf vorbereitet sein, jede Art von Krisensituation zu bewältigen. Der Krisenstab ist entsprechend zu trainieren. Die Aufbauorganisation, die Arbeitsprozesse und die Arbeitsinfrastruktur sind auf höchste Flexibilität auszurichten. Zudem muss HR eigene Vertreter in die Krisenorganisation entsenden, die Trainings und Übungen absolvieren und darauf vorbereitet sind, bei der Krisenbewältigung Lösungen für sämtliche personalbezogenen Problemstellungen zu erarbeiten.

Swiss Infosec AG

Die Swiss Infosec AG ist ein Beratungs- und Ausbildungsunternehmen in den Bereichen Informationssicherheit, Datenschutz, IT-Sicherheit und Integrale Sicherheit. Das Unternehmen wurde 1989 gegründet und beschäftigt in der Gruppe über 75 Mitarbeitende, die bisher über 2500 Projekte in allen Branchen begleiteten. infosec.ch


Quellen:

1James, E. H., und Wooten, L. P., «Leadership as (Un)usual: How to Display Competence in Times of Crisis», 2005.
2King, Granville, «Narcissism and Effective Crisis Management: A Review of Potential Problems and Pitfalls», 2007.
3Blackman, D. A. und L. Lee-Kelley, «The role of human resource development in preventing organisational stagnation», 2006.
4Reilly, Anne H., «The Role of Human Resource Development Competencies in Facilitating Effective Crisis Communication», 2008.
5Coombs, W. T., «Crisis Management and Communications», 2007.
6Zacher, H. und Cort R., «Researching Employee Experiences and Behavior in Times of Crisis: Theoretical and Methodological Considerations and Implications for Human Resource Management.», 2021.

 

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Online-Redaktorin, HR Today. jc@hrtoday.ch

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