Im Gespräch

«Das Ziel ist eine neue Führungskultur, 
die Begeisterungsführung»

Anne M. Schüller genügen zufriedene Mitarbeiter nicht. Die Expertin für ein kundenfokussiertes Management hat das 
Collaborator Touchpoint Management entwickelt mit dem Ziel, die Mitarbeitenden zu begeistern. Im Interview erklärt sie, was es damit auf sich hat und welche neuen Qualitäten von Führungskräften in Zeiten des Web 3.0 erwartet werden.

Frau Schüller, was sind Touchpoints?

Anne M. Schüller: Touchpoints nenne ich alle direkten und indirekten Kontaktpunkte zwischen Mitarbeiter und Führungskraft. Direkte Kontaktpunkte sind beispielsweise ein Mitarbeitergespräch, der Gruss im Gang oder Meetings, indirekte Touchpoints der Schriftverkehr oder ein Arbeitszeugnis.

Woher kommt der Name «Collaborator»?

Unternehmen haben neben den eigenen Mitarbeitern zunehmend auch mitmachende Dritte wie outgesourcte Berater, Geschäftspartner, Interim Manager im Boot, die alle in der einen oder anderen Form für das Unternehmen mitarbeiten. Alle zusammen bezeichne ich als Kollaborateure.

Wie müssen Führungskräfte diese Interaktionen meistern?

Kunden wollen Exzellenz kaufen. Deshalb ist es so wichtig, dass das Unternehmen beziehungsweise die Führungskraft jeden einzelnen Kontaktpunkt optimal meistert, damit der Mitarbeitende sein Bestes geben kann – und auch will. Ausserdem kann in Zeiten des Web 3.0 alles in Echtzeit an die Öffentlichkeit gelangen. Wenn an allen Kontaktpunkten Positives passiert, wird dadurch auch die Reputation des Unternehmens positiv beeinflusst.

Ist es überhaupt möglich, dass alle Interaktionen an den Touchpoints positiv sind? 

Immer funktioniert das natürlich nicht, denn wir sind ja alle nur Menschen. Doch Führungskräfte können sich dem nähern, indem sie ihr Verhalten und ihre Vorgehensweisen nach Enttäuschungs-, OK- und Begeisterungskriterien sondieren.

Was ist das Ergebnis, wenn das Collaborator Touchpoint Management (siehe Kasten) erfolgreich angewendet wird?

Die Mitarbeiter sind dann nicht nur zufrieden, sondern begeistert. Die viel zitierte Mitarbeiterzufriedenheit reicht nämlich nicht; sie holt nicht alle potenziellen Möglichkeiten aus den Mitarbeitern heraus. Ziel ist eine neue Führungskultur: die Begeisterungsführung. Das erreichen Kadermitglieder, indem sie die Kontaktpunkte meistern.

Das Collaborator Touchpoint Management

  • Schritt 1 des Collaborator Touchpoint Management ist die Analyse. Hierzu werden 
zunächst alle direkten und indirekten Interaktionspunkte zwischen Mitarbeiter und Führungskraft gesichtet. Danach wird erarbeitet, welche Erlebnisse ein Mitarbeitender dort hat oder haben könnte, und diese werden den Kategorien «enttäuschend», «OK», «begeisternd» zugeordnet.
  • 
Schritt 2 beinhaltet das Definieren der angestrebten Zielsituation und das Sondieren passender Vorgehensweisen an solchen Interaktionspunkten, die man für die anvisierten Mitarbeitergruppen optimieren will. Hierbei geht es sowohl um die Dos als auch um die Don’ts, also darum, was erwünscht und was unerwünscht ist.
  • 
Schritt 3 befasst sich mit der Planung und Umsetzung von Massnahmen, die von der analysierten Ist-Situation zur gewünschten Soll-Situation führen.
  • 
In Schritt 4 geht es schliesslich um das Ergebnis-Monitoring zwecks Optimierung der Führungsarbeit. Touchpoint-Massnahmen sollten vor allem langfristig positive Auswirkungen auf die mitarbeiterbezogenen Kennzahlen, wie etwa auf die durchschnittliche Verweildauer, die Fluktuationsrate, die Kranktage, die Burnout-Rate und die Produktivität, haben.

Wie lässt sich Mitarbeiterbegeisterung denn messen?

Indem man den Mitarbeitenden die beiden folgenden Fragen stellt: «Auf einer Skala von 0 bis 10: Würden Sie sich heute wieder für dieses Unternehmen entscheiden? Und wenn ja, aus welchen Hauptgründen? Und wenn nein, weshalb nicht?» Und: «Auf dieser Skala von 0 bis 10: Würden Sie unser Unternehmen an einen Arbeitssuchenden weiterempfehlen?» Schon allein daraus ergeben sich jede Menge Ansatzpunkte für Verbesserungen.

Wie beeinflusst die Mitarbeiterbegeisterung das Produkt?

Der ehemalige Apple-Chef Steve Jobs sagte einmal: «Wir brauchen Mitarbeiter, die das Unternehmen lieben, dann werden die Kunden auch unsere Produkte lieben.» Wenn ein Mitarbeiter mit Liebe, Leidenschaft und Begeisterung seine Arbeit ausübt, dann spürt das der Kunde. 

Sollten alle Chefs Visionäre wie Steve Jobs sein? Ist das realistisch?

Ich halte das für erstrebenswert. Schliesslich hat er Apple vor der Insolvenz gerettet und zusammen mit seinen Mitarbeitern zur wertvollsten Marke der Welt gemacht.

Warum sind begeisterte Kunden wichtig?

Im heutigen Web 3.0 teilt der Kunde alle seine Eindrücke und Erfahrungen mit anderen. Wird er schlecht behandelt oder ist das Produkt schlecht, kann er das der ganzen Welt mitteilen. Das kann das Image eines Unternehmens schädigen oder gar zerstören. Deshalb ist auch das Collaborator Touchpoint Management nötig.

Was verstehen Sie unter dem Web 3.0?

Das Web 1.0 beschreibt das ganz alte Internet, als die Kommunikation noch einseitig und top-down funktionierte. Der Kunde hörte zu. Das Web 2.0 umfasst das Social Web und die Social Media. Alle können mitreden und mitmachen. Gemäss Wikipedia ist das Web 3.0 das semantische Web – für mich ist es das mobile Internet. Über die Smartphones und Tablets entsteht eine neue Qualität der 
Kommunikation, echte und sofortige Live-Kommunikation ist möglich. Es herrscht die totale Transparenz; Mauscheln im Hinterzimmer wird gar nicht mehr möglich sein, denn früher oder später wird fast alles herauskommen.

Was bedeutet das für Unternehmen?

Unternehmen haben nur eine Chance: Sie müssen exzellent sein. Dann wird auch nur Positives über sie berichtet werden. Damit die Produkte gut sind, müssen die Mitarbeiter begeistert sein, und es muss eine lachende Unternehmenskultur herrschen.

Wodurch zeichnet sich diese aus?

Es gibt die vergiftete und die lachende Unternehmenskultur. In einer vergifteten Organisation ist der Chef der Ansager und Aufpasser, der seinen Mitarbeitern sagt, was sie zu tun haben. Alles in allem erzeugt er ein Klima der Angst und Kontrolle, Vertrauensschwäche, Gleichgültigkeit, Missgunst und Neid.

Und in einer lachenden Organisation?

Hier sorgt der Chef für eine positive Grundhaltung, Vertrauen und Heiterkeit, um Engagement und Kreativität zu ermöglichen. Denn Kreativität ist die Schlüsselressource der Zukunft. Die Führungskraft nimmt in der heutigen Zeit übrigens auch eine neue Rolle ein: Sie ist Katalysator und Inspirationsfigur, sie fördert die Selbstorganisation ihrer Mitarbeiter, entflammt sie und zieht sich dann zurück. Durch diese Art des Führens ist viel mehr möglich, als wenn der Chef seinen Leuten vorgibt, was sie zu tun haben.

Warum ist das so?

Unser Hirn belohnt uns für Leistung mit dem Glückshormon Dopamin, das macht süchtig. Es liegt also im Naturell des Menschen, leisten zu wollen, die Motivation dazu ist intrinsisch. Vom Katalysator kommt die extrinsische Motivation dazu, so dass sich der Effekt verdoppelt.

In Ihrem Buch «Touchpoints»* betonen Sie immer wieder die Wichtigkeit von Netzwerken. Was leisten Netzwerke?

Die ganze Welt ist vernetzt. Unternehmen können nur überleben, indem sie mitmachen. Vor allem müssen sie wissen, was über sie geredet wird. Bei negativen Meldungen müssen sie sofort, noch am gleichen Tag, reagieren. Denn ein so genannter Shitstorm kann innerhalb von Stunden entstehen. Wird ein Unternehmen positiv wahrgenommen – gerade auch von Mitarbeitern –, passiert das so gut wie nie.

Sie sagen, dass HR und Marketing & Sales viel voneinander lernen können. Was genau?

Alle Mitarbeitenden haben direkten oder indirekten Kundenkontakt. Ihr ganzes Denken und Handeln muss letztlich auf das Wohlergehen der Kunden fokussiert sein. Mitarbeiter müssen deshalb als interne Kunden betrachtet werden. Insofern müssen sich HR, Service, Sales und Marketing intern viel stärker miteinander vernetzen. Und so wie das HR idealerweise aus den Mitarbeitern Beteiligte statt Betroffene macht, so muss nun auch das Marketing aus Kunden Beteiligte machen, also sie zum Mitmachen motivieren. In diesem Bereich kann das Marketing von HR-
Erfahrungen profitieren.    

Anne M. Schüller

ist Expertin für Loyalitätsmarketing und kundenfokussiertes Management. Sie gilt als Spitzentrainerin und zählt zu den besten Speakern im deutschsprachigen Raum. Sie ist zehnfache Buchautorin sowie Hochschuldozentin und Lehrbeauftragte.

www.anneschueller.de

  • *
Anne M. Schüller: Touchpoints. Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute. GABAL Verlag GmbH 2012.
Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos
Weitere Artikel von Yvonne Bugmann