Fördern statt überfordern

Erfolgreich im Büro mit ADHS

Was haben Bill Gates, Richard Branson, Michael Jordan oder Jamie Oliver gemeinsam? Sie alle haben eine diagnostizierte Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und sind trotz oder gerade wegen ihrer «ADHS-Begabungen und Stärken» sehr erfolgreich.

Nicht selten findet man ADHS Betroffene als innovative Visionäre an der Führungsspitze von grossen Unternehmen. Andere nutzen ihre besonderen Fähigkeiten als Notfallärzte, Künstler, Medienschaffende, Politiker oder  Spitzensportler. Leider treten in Europa noch nicht so viele Menschen an die Öffentlichkeit wie in den Vereinigten Staaten. Immer öfter erkennen aber hiesige Unternehmen den durchaus auch monetären Wert der hohen Kreativität, starken Intuition und der unkonventionellen, assoziativen Denkweise, welche ADHS betroffene Mitarbeitende auszeichnet.

Sich als Arbeitgeber über ADHS im Erwachsenenalter zu informieren und somit den etwas anderen Wahrnehmungs- und Reaktionsstil von betroffenen Mitarbeitenden zu verstehen, ermöglicht neue Lösungsansätze. Zusätzliche, bis anhin ungenutzte Ressourcen der betroffenen Mitarbeitenden können so erkannt und zum Wohl des Unternehmens eingesetzt werden.

Wie das gelingen kann, darüber geben die folgenden zehn Punkte Aufschluss:

1. Über ADHS Bescheid wissen

ADHS ist keine Modeerscheinung, sondern ist sowohl genetisch wie auch neurobiologisch bedingt, kommt familiär gehäuft vor. Verschiedene Studien belegen, dass sich ADHS in der Pubertät nicht auswächst und deshalb rund vier bis fünf Prozent der im Erwerbsleben stehenden Erwachsenen nach wie vor davon betroffen sind. Höchstwahrscheinlich auch in Ihrem Unternehmen. Menschen mit ADHS sind oft mit Vorurteilen konfrontiert, stossen immer wieder auf Unverständnis. Dabei erbringen sie enorme Anpassungsleistungen, um im Alltag mitzuhalten. Denn die Reizfilterschwäche, ein «Zuviel» an Informationen und Eindrücken, kann zu einer Überlastung des Gehirns führen. Dieses vermag die vielen Reize nicht mehr nach Wichtigkeit sortieren und verarbeiten. Selbstverständlichkeiten (Zeitplanung, Ordnung oder Strukturen einhalten) können dadurch zu einem Kraftakt werden. Häufige Jobwechsel, Burn-out und soziale Schwierigkeiten sind die Folgen.

2. Die Ressourcen erkennen

Mitarbeitende mit ADHS können für Unternehmen von grossem Wert sein. Denn vom Umfeld teilweise negativ bewertete Eigenschaften stellen sich im Beruf oftmals als Stärken heraus. Diese Mitarbeitenden nehmen Veränderungen schnell auf und verschaffen sich rasch einen Überblick über komplexe Situationen. Sie schätzen Herausforderungen und gehen neue Projekte mit Elan an. Ihr intuitives Erfassen von Problemen und ihre Fähigkeit, gute Verknüpfungen herzustellen ermöglichen es ihnen, schnelle, unerwartete, kreative Lösungen zu erarbeiten. Es fällt Betroffenen leicht, aus Chaos im Nu Ordnung herzustellen. Sie sind gute «Troubleshooter». Ihre Begeisterungsfähigkeit, ihr Hyperfokussieren und somit das vollständige Eintauchen in ein Thema sowie schnelles Erfassen von Wissen ermöglichen es ihnen, ausserordentliche, unerwartete Leistungen zu erbringen. Betroffene sind meist gute Multi-Tasker und laufen unter Druck zur Hochform auf. Menschen mit ADHS sind humorvoll, sehr emphatisch und hilfsbereit. Sie identifizieren sich mit ihrer Arbeit und setzen sich nicht selten mit viel Herzblut dafür ein.

3. Die Herausforderungen kennen

Doch die Medaille hat auch eine Kehrseite – viele Betroffene haben Probleme mit Autoritäten: Starre Regeln sind für sie schwer einzuhalten, sofern sie deren Sinnhaftigkeit nicht erkennen. Sie treffen impulsive Entscheidungen, sind vergesslicher als ihre Kollegen und sie arbeiten manchmal ungenau. Als Schnelldenker sind sie ungeduldig und neigen zu Alleingängen. Oft priorisieren sie anders, haben ihre eigene Logik, stellen dabei Routinearbeiten in den Hintergrund oder sie vergessen (aus ihrer Sicht nebensächliche) Schritte in Arbeitsprozessen. Menschen mit ADHS sind emotional und sagen direkt, was sie denken. Selber sind sie aber sehr sensibel und schnell verletzt.

4. 3F statt 3K – Förderung der Leistungsfähigkeit

Eine positive Führungskultur, ein gutes Sozialklima, Respekt und Vertrauen sind gerade für Mitarbeitende mit ADHS ausschlaggebend für Erfolg oder Misserfolg. Wendet ein Arbeitgeber mehrheitlich die «3K-Methode» an (Kontrollieren, Korrigieren und Kritisieren), hat dies bei den Betroffenen zur Folge, dass sich ihre Symptome verstärken, sie unter starken Druck mit negativem Stress geraten. Eine innere Blockade und absolute Untätigkeit sind mögliche Auswirkungen. Die Betroffenen fühlen sich schnell als Versager, kommen in eine Abwehrhaltung. Folglich identifizieren sie sich nicht mehr mit ihrer Arbeit und der Bruch mit dem Arbeitgeber ist vorprogrammiert. Wird hingegen mehrheitlich die «3F-Methode» angewendet  (Führen, Fördern, Fordern), vermittelt das den Betroffenen Orientierung und Struktur. In Zusammenhang mit einem eigenen autonomen Verantwortungsfeld steigert das den Selbstwert und die Motivation. Dies hat wiederum eine positive Auswirkung auf den persönlichen Antrieb und somit auch auf die Leistungsfähigkeit, die bei einem optimalen Arbeitsklima ausserordentlich hoch sein kann.

5. Feedback als unentbehrliches Werkzeug


Menschen mit ADHS haben aufgrund ihrer Symptome häufig ein sehr schlechtes Selbstbild und wissen oft nicht, wie sie mit ihrem Verhalten auf andere wirken. Regelmässiges Feedback gibt ihnen die Möglichkeit, Selbst- und Fremdbild miteinander zu vergleichen – sie können sich in ihrem Prozess wieder justieren. Sie sind dabei durchaus sehr kritikfähig, wenn die Feedbackregeln richtig angewendet werden. Solche Gesprächstermine sollten in regelmässigen Abständen vereinbart und auch eingehalten werden. Das schafft gegenseitiges Vertrauen, gibt Orientierung und fördert das wichtige Wir- und Team-Gefühl für die betroffenen Mitarbeitenden.

6. Motivation durch Anerkennung und Wertschätzung

Eine wertschätzende Arbeitsumgebung wirkt besonders motivierend. Oftmals vermissen Menschen mit ADHS Anerkennung, weil sie seit der Kindheit sowohl von sich selbst als auch von ihrem Umfeld meist an ihren Fehlleistungen gemessen werden. Betroffene haben oft das Gefühl, nicht die Leistungen zu erbringen, die erwartet werden. Situative Anerkennung, Loyalität und lösungsorientiertes Denken haben eine Turbowirkung auf die Motivation. Das kann zur Folge haben, dass ein langwieriges Projekt endlich zu Ende geführt oder uninteressanter Kleinkram angegangen wird. ADHS Betroffene verstärken grundsätzlich das Verhalten, für welches sie Anerkennung bekommen. Dies muss allerdings immer wieder aufs Neue erfolgen, sonst erlischt der Antrieb.

7. Der Weg zu einer optimierten Struktur und Organisation

Hilfreich kann ein Tutor sein, der die Betroffenen gelegentlich unterstützt. Sei dies bei der Einführung einer neuen Technik, eines neuen Computersystems oder beim Aufbau einer administrativen Logik. Manchmal ist es fruchtbar, wenn die Tagesplanung oder die Umsetzung einer Arbeit mit einem Kollegen oder einem motivierenden Vorgesetzten morgens kurz besprochen wird. Dies hilft den Betroffenen, einen inneren Handlungsplan aufzubauen und sich zu strukturieren.

8. Der ideale Arbeitsplatz

«Schwierig» für ADHS-Betroffene sind Grossraumbüros mit hohem Lärmpegel und allen möglichen Ablenkungen. Durch die Reizoffenheit fällt das konzentrierte Arbeiten dort besonders schwer. Aufgrund der erwähnten Reizfilterschwäche, ist es für Mitarbeitende mit ADHS sehr schwierig auszublenden, was um sie herum geschieht. Ein ruhigere Umgebung fernab vom hektischen Treiben hilft, die Ablenkung zu reduzieren. Auch die Möglichkeit, einen Tag von zu Hause aus zu arbeiten, kann hilfreich und förderlich sein.

9. Energiemanagement bei ADHS

Es klingt paradox – Mitarbeitende mit ADHS treten oft stark und selbstbewusst auf – trotz innerer Zweifel. Es kann durchaus sein, dass ein ganzes Team nicht realisiert, dass der Kollege oder die Kollegin innerlich total verunsichert ist und an sich selbst wie auch an der eigenen Arbeit zweifelt. Daher neigen viele Betroffene zu einem übersteigerten Perfektionismus, wollen ganz viel beweisen und stecken dabei unendlich viel Energie und Kraft in ihre Aufgaben. Ihre Begeisterungsfähigkeit und ihr Enthusiasmus lassen sie für Projekte brennen. Sie vergessen dabei die Zeit, haben Mühe abzuschalten und verlieren die Balance zwischen Erholung und Arbeit. Entsprechend gross ist die Erschöpfungsgefahr. Versuchen Sie als Arbeitgeber, diese Spirale zu erkennen und ermutigen Sie Betroffene, gelegentlich wieder ihre Überzeit zu kompensieren, einen Freitag einzuplanen oder sich ein Mini-Time-out zu gewähren, welches sie sich selber nie erlauben würden. Die Gefahr eines Burn-outs kann so deutlich reduziert werden.

10. Hilfestellungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer


Wenn Sie bei einem Arbeitnehmenden eine ADHS vermuten, besprechen Sie Ihre 
Beobachtungen gemeinsam. Eine allfällige Abklärung durch einen Facharzt kann eine grosse Erleichterung bedeuten. Die Annahme und die Versöhnung mit der eigenen Persönlichkeit sowie das Verstehen von ADHS-typischen Verhaltensmustern sind dabei der erste Schritt.

Fazit:

Stimmt das Umfeld, wachsen Erwachsene mit ADHS über sich hinaus und sie entwickeln sich von einem Rohdiamanten zu einem Juwel für den Arbeitgeber und setzen so ihre zum Teil herausragenden Fähigkeiten für den Erfolg eines Unternehmens ein. Eine konkrete und persönliche Hilfestellung im Sinne eines ADHS-Coachings kann bei Bedarf zusätzlich helfen, den Arbeitsalltag besser zu strukturieren und die Lebensqualität zu verbessern. Spezialisierte Coaches können dabei eine wertvolle Unterstützung für die Betroffenen und ihr Arbeitsumfeld sein.

Für weitere Informationen können Arbeitgeber oder Betroffene die Schweizerische Info-und Beratungsstelle für Erwachsene mit ADHS (www.adhs20plus.ch) kontaktieren. Diese gibt Auskunft, verweist an Fachkräfte und bietet Referate sowie Weiterbildungen an.

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Sandra Ammann ist Präsidentin von adhs 20+, der Schweizerischen Informations- und Beratungsstelle für Erwachsene mit ADHS. www.adhs.plus

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