HR Today 4/23: Debatte

Was sind die Risiken von Persönlichkeitstests?

Viele Personalabteilungen nutzen Persönlichkeitstests. Doch wo liegen die Grenzen dieser Hilfsmittel? Drei Experten teilen ihre Meinung.

Marc-Olivier RitziMarc-Olivier Ritzi

Psychologe und Gründer von Signa Assessment

 

«Heute werden Persönlichkeitstests von Personalabteilungen oder Firmen häufig bei der Einstellung von Mitarbeitenden, der Nachfolgeplanung, bei Schulungen oder für die Teambildung eingesetzt. Ihr Vorteil: Sie ermöglichen in Rekordzeit eine Vielzahl von Eigenschaften zu erkennen, die auf andere Weise nur schwer zu erfassen sind. Allerdings ist ihr Einsatz auch mit Risiken verbunden.

Nicht alle Persönlichkeitstests sind gleichwertig. ­Manche beruhen auf unwissenschaftlichen Modellen oder sind statistisch nicht belegt. Zudem sind nicht immer die teuersten oder beliebtesten Tools auch die zuverlässigsten. Ausserdem ist der Einsatz dieser Test nur für einen bestimmten Kontext gedacht. Beispielsweise sind Tests für Persönlichkeitstypen (etwa MBTI oder DISC) eher für die Ausbildung nützlich, im Bewerbungsprozess hingegen sind Tests zu bevorzugen, die sich auf Verhaltensweisen und ­berufliche Eignung spezialisieren sowie schwierig zu ­manipulieren sind (beispielsweise HEXAPRO).

Eine unprofessionelle Auswertung bringt negative Konsequenzen: Vorurteile oder fehlende Nuancen bei der Evaluation können Personen verletzen oder zu falschen Entscheidungen führen. Bevor man Persönlichkeitstests einsetzt, sollte man ihre Notwendigkeit hinterfragen: Liefern sie die Antworten, die man sucht? Ist ihr Einsatz ethisch? Oder besteht die Gefahr, dass ein Problem auf Organisationsebene auf seine individuellen Komponenten reduziert wird?

Dutzende von Studien haben die Wirksamkeit von Persönlichkeitstests belegt. Richtig eingesetzt, können sie mehr als nur einen oberflächlichen Eindruck vermitteln.»


Leila Claivaz

Leila Claivaz

Executive Search Consultant & Partner bei Ganci Partners SA

 

«Es gibt viele gute Gründe, warum Unternehmen zunehmend ­Persönlichkeitstests einführen und sogar systematisieren: um ­Einstellungsprozesse zu objektivieren, um die Fähigkeiten der ­Mitarbeitenden bezüglich Managementaufgaben zu beurteilen und um keine Fehler zu machen. Obwohl diese Tests einige Vorteile bieten, sind sie mit zahlreichen Risiken behaftet.

Weil wir uns in einem «Bewerbermarkt» befinden, wollen Unternehmen sich als attraktive Arbeitgeber zeigen, scheuen sich aber gleichzeitig, bei der Einstellung Risiken einzugehen. Auf der Suche nach «Plug and play»-Kandidatinnen und -Kandidaten werden die Einstellungsprozesse länger und komplexer. Zudem stellen Bewerbende viel mehr die Anforderungen eines potenziellen Arbeitgebenden infrage oder ziehen sich sogar aus einem scheinbar gut laufenden Prozess zurück. Potenzielle Talente wechseln lieber zu Unternehmen, die zeigen, dass sie an einer echten Zusammenarbeit interessiert sind. Nicht nur wir bewerten ­Kandidatinnen und Kandidaten – sie bewerten auch uns! Gut geführte Interviews sind da effektiver.

Persönlichkeitstests garantieren keine Objektivität: Je nach verwendeter Referenzbasis können kulturelle Verzerrungen auftreten, wenn diese Tests auf einer Selbsteinschätzung beruhen.

Zudem: Haben Unternehmen, die diese Tests einsetzen, in Zeiten des Datenschutzes die notwendigen Schritte unternommen, um die Vorschriften einzuhalten? Und was noch wichtiger ist: Nehmen sich die Teams, die diese Tests durchführen, auch die Zeit, um den Betroffenen ein qualitativ hochwertiges Feedback zu geben? Und schliesslich: Sind die Teams im Umgang mit diesen Test und in der Auswertung derselben ausreichend geschult worden? Und wann werden Kandidatinnen und Kandidaten ihren künftigen Managern Persönlichkeitstests vorlegen?»


Daniel HeldDaniel Held

CEO PIMAN, Zertifizierer für Saville Assessment-Lösungen

 

«Persönlichkeitsfragebögen sind ein unverzichtbares Werkzeug für Entscheidungsträger. Mit dem Test sollen die Dimensionen sichtbar gemacht werden, die in Gesprächen verborgen bleiben. Sie dienen ausserdem dazu, berufliche Erfolge und das Verhalten in kritischen Situationen besser vorhersagen zu können. Dabei gibt es fünf Risiken, die zu beachten sind:

  1. Ergebnisverzerrung: Die Messung der bewussten oder ­unbewussten Beeinflussung des Interviewten wird oft vernachlässigt. Wie ehrlich sind die Antworten? Das muss mindestens mit zwei zuverlässigen Skalen überprüft werden.
  2. Mangelnde Relevanz: Unklare Definitionen der gemessenen ­Kriterien, kulturelle Verzerrungen, mangelnde Qualität der Fragen oder zu stark miteinander korrelierende Kriterien sind problematisch in der Beurteilung von Kompetenzen und «Cultural Fit».
  3. Unwissenschaftliche Tools: Unwissenschaftliche Tools stellen häufig die Erkennungsrate der Beurteilten in den Vordergrund. Diese vermag jedoch nicht, den künftigen beruflichen Erfolg vorherzusagen. Die Genauigkeit der Tools schwankt häufig zwischen 20 und 60 Prozent, also ist die Chance eines Falschentscheids 1:8 oder 1:60.
  4. Mangelnde Bewertungskompetenz der Akteure: Das Instrument und seine Grenzen sollten genau erkannt und regelmässig angewendet werden und die Ergebnisse sollten systematisch und objektiv in einem Gespräch überprüft werden (verlassen Sie sich niemals auf einen vorformulierten Text). Die Beurteilung ist die Kernkompetenz der Personalabteilung.
  5. Mangelnde Definition: Das beste Tool nützt nichts, wenn man nach den falschen Kompetenzen sucht und das Umfeld nicht berücksichtigt. Es ist wichtig zu wissen, welche Ergebnisse man wirklich erzielen will, um aus den kritischen­ ­Situationen die wesentlichen Kompetenzen abzuleiten.»
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