Interkulturelle Kompetenz ist ein Innovationsmotor

Förderung hochqualifizierter Einwanderer

Aufgrund der internationalen Verflechtung aller Gesellschaftsbereiche ist interkulturelle Kompetenz zu einer Schlüsselqualifikation im 21. Jahrhundert geworden. Die interkulturelle Forschung bietet einen reichhaltigen Schatz an Erkenntnissen und Methoden, um die interkulturelle Produktentwicklung, die Prozesse der Personalauswahl und –entwicklung zu professionalisieren.

«Ich möchte vorausschicken, dass ich kein Experte für die interkulturelle Thematik bin. Und wahrscheinlich sind meine Thesen Ihnen als fachlich versiertem Publikum auch bereits bekannt und zudem vielleicht auch nicht ganz vollständig. Ich hoffe dennoch, dass meine Ausführungen Sie nicht zu sehr langweilen.»

Wer eine Präsentation oder einen Vortrag so beginnt, der kann auch gleich wieder aufhören, wird jeder mit Recht kommentieren, der hierzulande einen Rhetorik-Kurs absolviert hat. Lernt man doch in solchen Trainings, dass der Einstieg in eine Präsentation möchst selbstsicher daherkommen und der Erwartungshorizont des Publikums auf keinen Fall gesenkt werden sollte. Schliesslich würden die Zuhörenden rednerische Unsicherheit automatisch mit inhaltlicher Unsicherheit gleichsetzen.

In vielen Regionen Asiens, ist die obige Eröffnung geradezu gefordert, gilt es doch als unhöflich und arrogant, wenn jemand, der herausgehoben «auf dem Präsentierteller» steht, sich nicht als offensichtlich bescheiden zeigt. Niemand käme auf den Gedanken die sprachlichen Routinen der Bescheidenheit an eine Einschätzung der fachlichen Kompetenz zu koppeln.

In einem westlichen Einstellungsverfahren und interkulturell wenig geschulten Beobachtern würden diese Bewerber aber eventuell in ihrem Potenzial unterschätzt.

Interkulturelle Fehlbeurteilungen dieser Art ereignen sich häufig in kleinen und grossen Unternehmen, in Verwaltungen, Krankenhäusern, Hochschulen, Schulen, in Militär und Polizei etc..

Meistens werden sie nicht bewusst wahrgenommen oder nicht im Hinblick auf ihre kulturellen Hintergründe verstanden. Die Folgen können allerdings umso kostspieliger werden, wenn in Zeiten des Fachkräftemangels das Potenzial von internationalen Bewerbern nicht erkannt wird oder das einheimische Personal nicht auf die Anforderungen des internationalen Umfelds mit seinen kulturspezifischen Kommunikations-, Konflikt-, Verhandlungs- und Führungsstilen angemessen reagieren kann.

Highpotentials mit «fremdländischen» Namen haben beim Recruiting-Prozess Nachteile zu vergegenwärtigen

Wie die jüngste Studie der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus und der Universität Basel (2012) zeigt, werden hochqualifizierte Migrantinnen und Migranten in Schweizer Einstellungsverfahren häufig (unbewusst) benachteiligt.

Die Ersteller der Studie nehmen hier besonders Bezug auf negative Stereotype über bestimmte Nationalitäten, von denen sich Personalverantwortliche häufig leiten lassen.

Ebenso ereignen sich aber auch positive Urteilsfehler in diesen Verfahren, wenn zum Beispiel  wegen der verhandlungssicheren Beherrschung der Unternehmenssprache auch gleich fachliche Kompetenz unterstellt wird.

Deutlich wird, dass professionelle Produktentwicklung, Personalauswahl und –entwicklung in einer globalen Wirtschaft und in einem Zuwanderungs-land einhergehen muss mit interkultureller Kompetenz auf allen Ebenen des Unternehmens oder der Organisation. Sie ist nicht zu verwechseln mit «Fremdsprachenkompetenz,, «Fingerspitzengefühl» oder «Weltoffenheit». Sie  beinhaltet hingegen fundiertes und geprüftes Wissen über die eigenen und fremden kulturellen Spezifika sowie die flexible und kreative Integration dieser Perspektiven in den Arbeitsbereichen einer Unternehmung oder einer Organisation.

In der Produktentwicklung ist die Markt- und Nutzeranalyse von zentraler Bedeutung. Wie wird ein Produkt in der entsprechenden Zielkultur wahrgenommen? Wie wird es benutzt? Welche gestalterischen, ästhetischen, ergonomischen, sicherheits- oder fertigungstechnischen Dimensionierungen müssen vorgenommen werden? Wie müssen Dokumentationen entsprechend der kulturellen Lese-ewohnheiten gestaltet werden?

Wie wird das Produkt effektiv vermarktet? Mittels sog. Kulturstandard-Analysen und den Methoden der interkulturellen Usability- bzw. Marketingforschung können hier spezifische Erkenntnisse gewonnen werden.

Topqualifizierter Schweizer kann im Ausland eine Fehlbesetzung sein - wegen allfälliger Defizite im interkulterellen Verständnis

In der Personalauswahl gilt es zu überprüfen, inwieweit die genutzten Analyse- und Bewertungsverfahren kulturübergreifend eingesetzt werden können und das Gesamtverfahren kulturfair abläuft. In der Entsendungspolitik ist darauf zu achten, dass eine Passung von Kandidat und Kulturkreis erzielt werden kann, denn eine gute Schweizer Fach- oder Führungskraft ist nicht in jedem Kulturkreis gleich erfolgreich.

Die Gestaltung interkultureller Potenzialanalyseverfahren ist inzwi-schen gut erforscht und entsprechende Verfahren und Materialien sind vorhanden.

In der Personalentwicklung ist besonderes Augenmerk auf die Qualität interkultureller Weiterbildungen zu richten. Der interkulturelle Trainingsmarkt boomt und der Titel «interkulturelle Trainer/in» ist nicht geschützt. Es existiert eine sehr breite und differenzierte interkulturelle Forschung  an den Hochschulen. Weiterbildner sollten entsprechend einschlägig qualifiziert sein und die Inhalte ihrer Trainings und Coaching auf dem aktuellen Stand der interkulturellen Lehr- und Lernforschung sein. Ansonsten münden diese Weiterbildungen in unbeabsichtigte Nebenwirkungen, wie z.B. zu starke Vereinfachungen, Stereotypen und schlichtweg falsche Analysen.

Momentan besteht die Gefahr, dass durch den Trend zum «Diversity Management», also der Integration aller möglichen menschlichen Unterschiede in einer Organisation, die ausgeprägte interkulturelle Forschung nicht mehr berücksichtigt wird. Gleichzeitig ist aber funktionierendes Diversity Management auf sie angewiesen, da es sich dabei eher um eine unternehmenspolitische Strategie handelt als um ein eigenständiges Wissens-gebiet mit eigenen Theorien, Methoden und Er-kenntnissen.

Die höfliche chinesische Schlussformel für Vorträge können Sie nun leichter interpretieren: «Ich konnte Ihnen in meinen Ausführungen nur Backsteine hinwerfen. Ich hoffe aber Jadesteine in Ihrer Kritik zurück zu erhalten.»

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Dr. Stefan Kammhuber ist Professor für Kommunikation und Interkulturelle Kompetenz an der HSR Hochschule für Technik Rapperswil.  Er leitet das «ikik- Institut für Kommunikation und Interkulturelle Kompetenz», das angewandte Forschung, Beratung, Training und Coaching in der mündlichen, schriftlichen und interkulturellen Kommunikation in Unternehmen, Verwaltungen, Sozialen Einrichtungen und dem Militär anbietet.
www.ikik.ch

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