Das Urteil: Meinungsfreiheit

Grenzen der Meinungsfreiheit in den sozialen Medien

Ein richtungsweisendes Urteil des Bundesgerichts: Die Entlassung einer Genfer Lehrerin aufgrund ihrer sozialen Medienaktivitäten wirft ein neues Licht auf die Balance zwischen Meinungsfreiheit und beruflichen Pflichten.

BGE 8C_233/2023, Urteil vom 11. Dezember 2023

Das Urteil

Arbeitnehmerin A. war als Lehrerin in einem öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis im Kanton Genf angestellt.

Im Juli 2020 erhielt A. einen Verweis wegen Veröffentlichungen auf ihrem Facebook-Konto, die als unvereinbar mit den Pflichten und Aufgaben als Lehrerin angesehen wurden. Im Januar 2021 suchte das zuständige Departement erneut das Gespräch mit A. wegen der Veröffentlichung von Videos mit unangemessenem Inhalt in sozialen Netzwerken sowie unangemessenen Äusserungen im schulischen Rahmen. A. bestritt alle Vorwürfe und wurde daraufhin vorläufig suspendiert. Eine Administrativuntersuchung ergab, dass A. sich unter anderem wiederholt auf diversen sozialen Medien negativ über das gegen sie geführte Verfahren geäussert, antisemitische Inhalte veröffentlicht und falsche Informationen zu Covid-19 verbreitet hatte. So hatte sie etwa Gesundheitsmassnahmen im Zusammenhang mit Covid-19 mit den Massnahmen gegen Personen jüdischen Glaubens während der Nazizeit verglichen und den Genfer Behörden Abstimmungsmanipulation im Zusammenhang mit dem Covid-19-Gesetz vorgeworfen. A. wurde daraufhin aus dem Dienst entlassen. A. wehrte sich gerichtlich gegen die Entlassung. Sie berief sich insbesondere auf ihre Meinungsäusserungsfreiheit und machte geltend, dass die grosse Mehrheit der angeklagten Vorfälle ausserhalb des schulischen Rahmens stattgefunden hätten. Das Hauptthema der Veröffentlichungen seien zudem Gesundheitsmassnahmen zu Covid-19 gewesen, die Gegenstand einer öffentlichen und demokratischen Debatte gewesen seien.

Das Bundesgericht wies diese Argumentation zurück und hielt fest, dass die meisten Gründe, die die Entlassung rechtfertigten, weit über die Aussagen von A. zu mit Covid-19 verbundenen Gesundheitsmassnahmen hinausgehen würden. Dies gelte insbesondere für ihre antisemitischen Veröffentlichungen sowie die öffentlichen Stellungnahmen, in denen sie die Integrität der Arbeitgeberin sowie die Korrektheit einer Volksabstimmung infrage gestellt habe. Die Pflicht zur Zurückhaltung und Treue der öffentlichen Bediensteten, die der Ausübung der Rede- und Meinungsfreiheit Grenzen setzen könne, erstrecke sich auch auf das ausserdienstliche Verhalten. Angesichts der Stellung von A. als «einfache» Lehrerin und dem damit verbundenen Erziehungsauftrag und ihrer Nähe zu Jugendlichen in Entwicklung und Ausbildung würden die ihr vorgeworfenen Verfehlungen besonders schwer wiegen. Das Bundesgericht wies deshalb die Beschwerde von A. ab.

Konsequenz für die Praxis

Das vorliegende Urteil ist zwar im Zusammenhang mit einem öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis ergangen, ist aber auch für private Arbeitsverhältnisse von Relevanz. Es verdeutlicht, dass Arbeitnehmende bei der privaten Nutzung von sozialen Medien gewisse Grenzen einzuhalten haben. Veröffentlichungen und Äusserungen, die dem Arbeitgebenden schaden, das Betriebsklima negativ beeinflussen oder etwa die Fähigkeit des Arbeitnehmenden zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit infrage stellen und das Vertrauen des Arbeitgebenden in ihn untergraben, können arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Die Meinungsfreiheit auf sozialen Medien ist somit auch im privaten Bereich nicht absolut und muss gegen die Interessen des Arbeitgebenden abgewogen werden. Angesichts der Verbreitung von sozialen Medien empfiehlt es sich aus Sicht von Arbeitgebenden, deren Nutzung in einem Reglement zu regeln.

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Sonja Stark-Traber, lic. iur., LL.M., ist als Rechtsanwältin in der Wirtschaftsanwaltskanzlei Suter Howald Rechtsanwälte in Zürich tätig, mit Schwerpunkten im Bereich Prozessführung, Arbeits- und Vertragsrecht. Kontakt: sonja.stark@suterhowald.ch

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