Innovation

Wer ist innovativer: KI oder der Mensch?

Künstliche Intelligenz kann scheinbar alles: Sie verfasst rasant Texte, analysiert Finanzdaten, beantwortet Kundenanfragen präzise. Deshalb stehen «White-Collar» Berufe jetzt auf dem Prüfstand und die Angst vor Jobverlust wächst. Doch kann KI auch Innovation vorantreiben? Eine Wiener Wirtschaftsuniversität wagte gemeinsam mit MBA-Studierenden einen Versuch.

Wir, das heisst die Leitung des MBA Entrepreneurship & Innovation der Wirtschaftsuniversität Wien, gaben 21 MBA-Studierenden eine Aufgabe, die unternehmerische Kreativität erfordert. Der historische Fall des Unternehmers Robert Taylor diente als Vorlage. Taylor hatte mit Hilfe der «Spaghetti-Test-Strategie» eine vielversprechende Innovation gefunden: die erste Flüssigseife in einem Pumpspender. Die «Spaghetti-Test-Strategie» beschreibt das Vorgehen, sehr viele Ideen parallel zu generieren und im Markt auszuprobieren, welche am besten funktioniert – so wie nur eine oder wenige Spaghetti kleben bleiben, wenn man sie an die Wand wirft. Die Innovation einer Flüssigseife im Pumpspender überzeugte die Testkunden. Die bis dahin gebräuchlichen Seifenstücke wirkten weniger hygienisch und hinterliessen unschöne Seifenreste am Waschbecken.

Was tut man, wenn man als kleines Unternehmen eine herausragende Innovationsidee hat, sie aber nicht durch ein Patent oder ähnliches gegen Imitation durch viel stärkere Wettbewerber schützen kann? In dieser Frage sollten sich die Studierenden mit der künstlichen Intelligenz ChatGPT messen.

Die Challenge: Eine Innovationsstrategie erstellen

Die Studierenden bekamen fünf Minuten Zeit, um einen individuellen Vorschlag für eine vielversprechende Innovationsstrategie zu erstellen. Die Zeit war so knapp bemessen, dass sie im Grunde sofort losschreiben mussten – für jedes Wort hatten sie nur eine gute Sekunde Zeit. Nachdenken und Überlegen war im Grunde kaum möglich. Der Grund für diese extreme Zeitbeschränkung war, dass wir den Studierenden ähnliche Bedingungen wie ChatGPT geben wollten. Natürlich wären mit mehr Zeit auch ausgefeiltere Lösungen möglich gewesen.

ChatGPT erledigte die Aufgabe erwartungsgemäss sehr schnell. Allerdings musste mehrfach nachgefasst werden: Die erste Antwort war mit 340 Worten deutlich länger als erlaubt. Als ich nochmals betonte, dass 200 Worte das Maximum darstellen würde, lieferte ChatGPT frech 233 Worte. Nach einer ernsten Ermahnung reagierte die künstliche Intelligenz dann jedoch sehr menschlich und lieferte kleinlaut eine mit 135 Worten deutlich kürzere Lösung als nötig. Doch ChatGPT verarbeitete die Zurechtweisung schnell. Auf meine wohlwollende Klarstellung, dass es doch ruhig 200 Worte nutzen könne, brachte es erneut eine zu ausführliche Lösung von 216 Worten. Erst die fünfte Fassung (183 Worte) kam in die Nähe der erlaubten Wortzahl.

Die Aufgabe

  • 1964: Der Unternehmer Robert Taylor gründet das Unternehmen für Körperpflegeprodukte Minnetonka Unternehmen
  • Starke Innovationsorientierung, «Spaghetti-Test-Strategie»
  • 1977: Entwicklung der ersten Flüssigseife in einem Pumpspender - keine Seifenpfützen mehr in den Badezimmern
  • «Softsoap»-Testmarktergebnisse sind sehr positiv, Taylor will landesweit tätig werden
  • Problem 1: Kein Patentschutz möglich
  • Problem 2: Taylor hatte schon vorher mit Nachahmungen zu kämpfen «Ich erinnere mich noch, als ich die Clairol-Kopie unseres Shampoos sah ... wir haben das Konzept entwickelt, und sie haben es auf den Markt gebracht ... Als sie dann in die Drogerien und Lebensmittelgeschäfte kamen, war unsere Linie einfach am Ende.»
  • Problem 3: Die Konkurrenten Armour-Dial, Procter&Gamble, Lever Brothers, Colgate, Palmolive und einige andere haben viel mehr Marketingkraft, sehr starke Seifenmarken und eine grosse Vertriebsmacht Entwickeln Sie eine erfolgreiche Innovationsstrategie (max. 200 Wörter)

 

Die Beurteilung: Mensch vs. KI

Zur Beurteilung wurden die Lösungen an zwei Wissenschaftler mit mehrjähriger Erfahrung im Bereich Entrepreneurship und Innovation gegeben. Die Lösungen waren anonymisiert, das heisst, es war nicht zu erkennen, ob sie von Studierenden oder ChatGPT kamen. Ausserdem kannten die beiden Evaluatoren den Kontext der Studie (Vergleich zwischen Mensch und AI) nicht. Sie lieferten unabhängig voneinander eine quantitative Bewertung nach fünf Kriterien.

Die Auswertung der Wissenschaftler zeigte ein eindeutiges Ergebnis (Schweizer Notengebung, 6 = sehr gut, 1 = sehr schlecht):

  • Obwohl die MBA-Studierenden sehr unterschiedliche Strategien vorschlugen – mal fokussierten sie sich auf ein konsequentes Branding als Innovator, mal schlugen sie ein schrittweises Vorgehen zunächst in Marktnischen vor, um von dort aus den Hauptmarkt zu attackieren («Beachhead Strategy»), mal empfahlen sie eine Kooperation mit einem Handelsunternehmen –, waren ihre Lösungen der künstlichen Intelligenz klar überlegen. Die MBA-Strategien wurden durchschnittlich mit 4,75 bewertet.
  • Die Strategie der künstlichen Intelligenz war eine etwas diffuse Mischung aus allen möglichen Strategieelementen und wurde daher mit 3,5 als ungenügend bewertet. Auch in den einzelnen Kriterien ergaben sich deutliche Unterschiede: Die MBA-Studierenden produzierten eine spezifische, deutlich besser auf die Situation zugeschnittene Strategie (MBA Studierende: 5 ChatGPT: 3, ihre Strategie basierte auf realistischeren Annahmen (MBA Studierende: 4,25 ChatGPT: 4, hatte eine grössere Erfolgswahrscheinlichkeit (MBA Studierende: 4,5, ChatGPT: 4) und auch der mögliche Erfolg erschien grösser (MBA Studierende: 4,5, ChatGPT: 3,5).

Fazit: Studierende schnitten besser ab

Alles in allem lieferte jede und jeder der 21 MBA-Studierenden eine bessere Strategie ab als ChatGPT, und ihre Lösungen waren in jedem der fünf Kriterien überlegen. Und dies, obwohl ChatGPT fünf Anläufe nahm und die Studierenden unter unrealistisch harten Bedingungen sehr spontane Antworten liefern mussten. Folglich war in diesem Versuch die unternehmerische Intelligenz der MBA-Studierenden der künstlichen Intelligenz eindeutig überlegen.

Die beste MBA-Lösung

«Da die Hauptbedrohung in der grossen Konkurrenz und den geringen Eintrittsbarrieren für ein einfaches Produkt besteht, wäre es eine gute Strategie, mit einer oder mehreren Vertriebsketten wie Einzelhandelsunternehmen zusammenzuarbeiten. Diese sollten gross genug sind, um so schnell wie möglich einen Grossteil des Marktes zu erobern, bevor die Konkurrenz Zeit hat zu reagieren, und das Produkt so weit wie möglich als das originelle und innovative Produkt auf dem Markt zu etablieren. Wenn dann der Wettbewerb einsetzt, können sie immer noch einen großen Prozentsatz des Marktes halten, weil ihre Marke bereits sehr bekannt ist.»

ChatGPTs Lösung

«Da die Hauptbedrohung in der großen Konkurrenz und den geringen Eintrittsbarrieren für ein einfaches Produkt besteht, wäre es eine gute Strategie, mit einer oder mehreren Vertriebsketten wie Einzelhandelsunternehmen zusammenzuarbeiten. Diese sollten groß genug sind, um so schnell wie möglich einen Großteil des Marktes zu erobern, bevor die Konkurrenz Zeit hat zu reagieren, und das Produkt so weit wie möglich als das originelle und innovative Produkt auf dem Markt zu etablieren. Wenn dann der Wettbewerb einsetzt, können sie immer noch einen großen Prozentsatz des Marktes halten, weil ihre Marke bereits sehr bekannt ist.»

 

Was Entrepreneure mit mehr Zeit schaffen: Die geniale Idee des Robert Taylor

Robert Taylor hatte mehr Zeit als die MBA-Studierenden – und es ging für ihn auch um deutlich mehr. Seine damalige Strategie war eine Art «all in». Ihm war bewusst, dass die etablierten Unternehmen zögern würden, schliesslich war der Sprung von Seifenstücken zur Flüssigseife gross. Um genug Zeit für die Etablierung seiner Marke zu schaffen, verlängerte er dieses Zeitfenster, indem er in einer Art waghalsigen Wette alle Pumpspender weltweit aufkaufte. Als sich der Erfolg seiner Innovation zeigte, konnten seine Konkurrenten ihn zunächst schlicht und einfach nicht kopieren. Er verkaufte sein Unternehmen erfolgreich und wurde zum Multi-Millionär.

Warum KI dennoch von höchster Bedeutung für Unternehmen ist

Das schwache Abschneiden im direkten Vergleich mit Entrepreneuren darf allerdings nicht falsch interpretiert werden. Generative KI wie ChatGPT ist eine fundamentale Innovation von disruptivem Potenzial und entsprechend von höchster Bedeutung auch und gerade für Entrepreneure. Zahllose Teilaufgaben im unternehmerischen Prozess lassen sich mit Hilfe von künstlicher Intelligenz besser, schneller und mit weniger Fehler erledigen. Diese umfassen Schritte wie die Datensammlung, ihre Strukturierung und Zusammenfassung sowie die Identifikation von Mustern. Unternehmerische Kreativität kann sich auf dieser Basis besser entfalten – sie aber anscheinend noch in keiner Weise ersetzen.

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Nikolaus Franke

Nikolaus Franke ist Akademischer Leiter des MBA Entrepreneurship & Innovation der WU Executive Academy und Leiter des Instituts für Entrepreneurship & Innovation, des WU Gründungszentrums, und der User Innovation Research Initiative an der WU Wien.

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