Psychologie

Zwischenmenschliche Probleme landen auf der langen Bank

Stärker als körperliche Erkrankungen reduzieren psychische Erkrankungen die Produktivität am Arbeitsplatz. Eine neue Studie gibt Aufschlüsse über psychisch bedingte Problemsituationen im Betrieb.

Heute wird mehr als die Hälfte der IV-Neurenten wegen psychischer Krankheiten gesprochen. Psychische Probleme sind auch bei den Krankheitsfällen am Arbeitsplatz zunehmend involviert und reduzieren darüber hinaus – oft stärker als körperliche Erkrankungen – die Produktivität am Arbeitsplatz. Eine möglichst frühe und wirksame Intervention bei Problemen am Arbeitsplatz ist deshalb von entscheidender Bedeutung.

Im Auftrag des Bundesamtes für Sozialversicherungen und in Zusammenarbeit mit der Basler Gesellschaft für Personalmanagement, dem Arbeitgeberverband Basel, der Wirtschaftskammer BL, dem SECO, der IV-Stellen-Konferenz und der Pro Mente Sana haben die Kantonalen Psychiatrischen Dienste BL und die Fachhochschule Kärnten (A) 2010 in der Region Basel 1055 Personalverantwortliche und Vorgesetzte zu Mitarbeitenden mit psychischen Problemen befragt.

Rund 70 Prozent der Befragten haben schon mehrfach besonders belastende Situationen mit psychisch «schwierigen» Mitarbeitenden erlebt. Besonders häufig werden vor allem zwischenmenschliche Probleme wahrgenommen: eigene Fehler abstreiten und anderen die Schuld geben, starke Launenhaftigkeit, aufmüpfige Reaktionen bei Anweisungen und entwertendes Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen. Zwischenmenschliche Probleme haben denn auch die Vorgesetzten und Teams viel stärker belastet als Leistungsprobleme, ungenügendes Arbeitsverhalten oder Absenzen – in rund 60 Prozent  der Fälle kam es gar überhaupt nie zu längeren Absenzen.

Wie reagieren Teams?

Es zeigten sich drei Typen von Teamreaktionen: 46 Prozent der Teams reagieren mit Ablehnung und Wut und ohne Hilfsbereitschaft, 33 Prozent mit Hilfsbereitschaft und 21 Prozent ambivalent und verunsichert, das heisst sowohl mit Ärger wie auch mit Hilfsbereitschaft.

Nur jedes dritte Team kann demnach potenziell hilfreich reagieren. In jedem dritten Fall hat sich das Teamklima deutlich verschlechtert, wobei dies in denjenigen Teams besonders selten war, die einen offenen Fehlerumgang pflegen.

Wie intervenieren die Chefs?

Zunächst gar nicht: Die Vorgesetzten haben das Problem zwar sehr rasch bemerkt, aber es erst mit monate- bis jahrelanger Verzögerung bewusst als Problem realisiert. Vorgesetzte und HR-Verantwortliche führen Gespräche, sprechen Konsequenzen an, appellieren an die Leistungsmotivation, unterstützen die Arbeitskollegen. Der häufigste Interventionstyp (46 Prozent aller Chefs) zeichnet sich dadurch aus, dass vom Betroffenen Leistung eingefordert wird, nur 14 Prozent aller Chefs ziehen professionelle Hilfe bei. Es zeigte sich, dass die Art des problematischen Mitarbeiterverhaltens in keinerlei Zusammenhang steht mit der Art, wie die Verantwortlichen reagieren: Die Chefs reagieren in solchen Situationen so, wie sie immer reagieren – unabhängig vom Problem. Chefs, die professionelle Hilfe beigezogen haben, konnten das Team entlasten und hilfsbereiter machen. Chefs, die mit viel Aktivismus reagierten, haben das Team verunsichert und die Hilfsbereitschaft reduziert.

Häufige «Lösung»: Kündigung

Die Verantwortlichen gaben in rund der Hälfte aller Fälle an, dass das Problem gelöst werden konnte. Diese Lösung bestand allerdings in neun von zehn Fällen in der Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Das zeigt, dass normalerweise alle Beteiligten bei belastenden Mitarbeitern mit psychischen Problemen überfordert sind. Es handelte sich meist um persönlichkeitsbedingte psychische Probleme, die eher als moralische «Charakterprobleme» wahrgenommen werden denn als psychisches Leiden, weswegen oft auch keine externe Hilfe beigezogen wird.

Abgesehen davon schätzen die HR-Verantwortlichen, dass 30 Prozent der Mitarbeitenden schon einmal zumindest leichtere psychische Probleme gehabt haben, die sich auf die Arbeitsfähigkeit ausgewirkt haben. Gesundheitsförderung, Absenzenmanagement und andere Massnahmen sind wichtig, können derartige Problemsituationen aber nicht lösen. Wenn psychisch belastete Mitarbeiter künftig vermehrt am Arbeitsplatz gehalten werden sollen, setzt dies eine betriebliche Sensibilisierung, Vorgesetztenschulung und effiziente Abläufe mit professionellen Partnern voraus.

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Dr. Niklas Baer ist Psychologe und Leiter der Fachstelle für Psychiatrische Rehabilitation der Psychiatrie Baselland. Er ist Mitglied der OECD-Arbeitsgruppe «Mental Health and Work».

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