Der Qualität im E-Learning auf der Spur
Sollen E-Learning-Angebote auf ihre Qualität überprüft werden, so besteht eine der Herausforderungen darin, die richtigen Kriterien zu messen. Die Forschung hat sechs Bereiche identifiziert, die eine relevante Rolle spielen.
Eine Bemerkung vorneweg: Qualitätssicherung beim E-Learning ist ein vielschichtiger und umstrittener Prozess. Dies liegt zum einen darin, dass in der Bildung ein klassischer produktbezogener Qualitätssicherungsansatz, welcher zum Beispiel die physikalischen Eigenschaften eines Produkts misst, nicht angewendet werden kann. Ebenso greifen anwendungsbezogene Ansätze (die vor allem die Nutzung eines Produkts oder Diensts durch die Kunden fokussieren) sowie fertigungsbezogene Ansätze (die Standards bei der Entwicklung und Produktion von Produkten beziehungsweise Diensten dokumentieren und überprüfen) zu kurz. Woran liegt das?
Lehrende und Lernende tauschen ihre Rollen
In der Bildung löst sich das in der Wirtschaft übliche Anbieter-Kunden-Verhältnis auf. Ein Bildungsprodukt ist eine wechselseitige «Ko-Produktion» von Lehrenden und Lernenden. Betrachtet man die Interaktionsprozesse von Lehrenden und Lernenden genauer, so entdeckt man, dass gerade in der Erwachsenen- und beruflichen Bildung sich die Rollen zeitweise sogar verschieben, indem Lernende Wissen und Kompetenzen innehaben, über die Lehrende nicht verfügen.
In dieser Situation werden in einem geschickten Lehrarrangement die Rollen getauscht. Gerade E-Learning beziehungsweise Blended-Learning-Szenarien, die über den Ansatz von Drill und Practice von klassischen Lernprogrammen hinausgehen, wird heute ein grosses Potenzial bei der Entwicklung der genannten Ko-Produktionen respektive Ko-Konstruktionen von Wissen zugeschrieben. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob sich die bestehenden Qualitätssicherungsverfahren in angepasster Form überhaupt anwenden lassen? Oder anders gefragt: Auf welche Kriterien sollte eine personalverantwortliche Person achten, die von der Geschäftsleitung beauftragt worden ist, das bestehende E-Learning-Angebot, das sich in den letzten Jahren stark entwickelt hat, zu evaluieren und in ein kontinuierliches QM-Verfahren zu überführen?
Die Perspektive von allen Prozessbeteiligten einbringen
Grundsätzlich gibt es im europäischen Raum eine Reihe von Zertifizierungsinitiativen. Im deutschsprachigen Gebiet ist die bekannteste und umfassendste Norm die DIN PAS 1032:2004 «Aus- und Weiterbildung unter Berücksichtigung von E-Learning», die von Fachexperten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz erarbeitet wurde. Diese bildet auch die Grundlage der im Jahr 2005 international harmonisierten ISO-Norm IEC 19796:2005. Ohne weiter auf Details einzugehen, kann man davon ausgehen, dass diese eine gute Beschreibung und Dokumentation von E-Learning-Prozessen in der Planung, Entwicklung, Einführung und Evaluation von Bildungsangeboten mit E-Learning-Komponenten ermöglicht. Jedoch ist sogleich auch darauf hinzuweisen, dass die mit diesen Normen versuchten Harmonisierungsbestrebungen genau deren Schwäche bilden.
In der Praxis beziehungsweise bei der Durchführung von Bildungsangeboten stellt sich weniger die Frage, wie sich diese mit anderen Angeboten vergleichen lassen, sondern vielmehr die, mit welchen Methoden, Prozessen und Massnahmen man das gewünschte Ziel umfassend und effektiv erreicht. Da gerade beim E-Learning die Methodenvielfalt und der Methodenmix in Kombination mit einer guten technischen Infrastruktur und spezifischen Anforderung an die Lernorganisation massgebend sind, geht es darum, Kriterien (Benchmarks) anzuwenden, welche die Perspektive aller an den Prozessen Beteiligten einbringen, technologische und organisatorische Rahmenbedingungen sowie den Faktor Nachhaltigkeit berücksichtigen. In den Jahren 2006 bis 2009 haben sich in zwei europäischen Projekten (E-xcellence und E-xcellence+) 13 Universitäten und Akkreditierungsorganisationen diese Frage gestellt. Es hat sich gezeigt, dass sechs Bereiche eine relevante Rolle spielen:
- Management (Fragen der Strategie und Pläne, Rolle des E-Learning-Angebots in der Organisation, Kooperationen sowie die Innovation und Entwicklung des E-Learnings)
- Lehrplan-Design (Fragen der Flexibilität, des Inhalts und des Fachwissens, der Entwicklung der Lernprozesse, der Lernziele beziehungsweise des erwünschten Wissens und der Fähigkeiten)
- Kurs-Design (Fragen der Didaktik, des Prozesses der Kursentwicklung, der Lehrmaterialproduktion und des Testens von Wissen und Fähigkeiten)
- Kursdistribution (Fragen der Infrastruktur und Plattformen)
- Unterstützung der Lernenden (Fragen der technischen und didaktischen Unterstützung sowie der Lernkompetenzen)
- Unterstützung der Lehrenden (Fragen der technischen Unterstützung, der didaktischen Ressourcen, der Lehrkompetenz mit Medien, der Ressourcen und der Betreuung).
Es ist zu empfehlen, ein Qualitätsverfahren zu wählen, das diese sechs Bereiche berücksichtigt und das, im Sinne einer prozessorientierten Perspektive, wiederholt und auf einfache sowie nicht aufwändige Weise relevante Kriterien misst.
Bücher
- Jan Martin Pawlowski, Ulf-Daniel Ehlers (Hrsg.): Handbook on Quality and Standardisation in e-Learning. Springer Verlag 2009, 575 Seiten, Englisch
- Ulf-Daniel Ehlers, Peter Schenkel (Hrsg.): Bildungscontrolling im E-Learning: Erfolgreiche Strategien und Erfahrungen jenseits des ROI. Springer Verlag 2004, 358 Seiten