Personal Swiss 2014

Enterprise 2.0 werden und sein

Web 2.0-Plattformen sind weiter im Aufwind. Extern und intern. Mit ihnen verändern sich Organisationen grundlegend. Als HR zu sagen: «Da kümmert sich die IT drum!», funktioniert nicht. Doch die wenigsten HR-Bereiche sind sich bewusst, was für tief greifende Veränderungen auf sie zukommen werden. Vorausschauendes Handeln ist gefragt.

Viele Unternehmen sind unterwegs zum Enterprise 2.0. Waren vor wenigen Jahren noch erste zaghafte Versuche mit inselartiger Nutzung von Wikis, Blogs und Co. die Regel, so beeindruckt inzwischen nicht nur die Zahl der Praxisbeispiele, sondern auch die Eindringtiefe, mit der sich viele Unternehmen des Themas annehmen.

Was steckt hinter «Enterprise 2.0»?

Entscheidend ist das, was vor dem Bildschirm passiert. Das Enterprise 2.0 ist mehr als die Anwendung interner Social-Software-Plattformen. Man könnte es so beschreiben: «Eine Organisation ist dann ein Enterprise 2.0, wenn es ihr gelingt, in ihr Entscheiden und Handeln das jeweils situativ relevante Wissen ihrer Mitarbeiter systematisch einzubeziehen – als Ergänzung (nicht in Konkurrenz!) zum Wissen und den Kompetenzen der formalen Organisation.»

Entsprechende Social-Software-Plattformen spielen dabei eine notwendige Rolle als Befähiger, sind aber kein hinreichendes Merkmal, das ein Unternehmen zum Enterprise 2.0 macht. Entscheidend sind die organisationalen Fähigkeiten, als Unternehmen, als Bereich oder letztlich als einzelner Mitarbeiter aufgrund der besseren Wissens- und Informationsversorgung effektiver und effizienter entscheiden und handeln zu können. Deren Entwicklung bedeutet einen tiefgreifenden Wandel der organisationalen Wissensarbeit.

Mutige HR-Strategien sind gefragt

Hier sind mutige Human-Resources-Strategien gefragt, die das Enterprise-2.0-Werden aktiv und übergreifend gestalten. Veränderungstreiber statt Bewahrer – das sollte die Reaktion auf eine Entwicklung sein, die man ohnehin nicht aufhalten kann. Mut wird belohnt – nachhaltige Transformation vorausgesetzt. Weniger mit «Quick Wins», umso mehr mit «Big Wins». Im Enterprise 2.0 werden Organisationen eines Tages wissen, was sie wissen und was sie nicht wissen. Ersteres wird schneller geteilt, Letzteres wird schneller aufgebaut – sei es über neue Technologien, Produkte oder Kunden.

Entgrenzung der Wissensarbeit

Im Enterprise 2.0 geht es darum, dass im Kontext konkreter Arbeitsaufgaben (also nicht auf Vorrat) aufgrund der Nutzung neuer technischer Möglichkeiten in Kombination veränderten Verhaltens («work out loud») das relevante Wissen am Punkt des Bedarfs zum Zeitpunkt des Bedarfs zusammengeführt wird. Das ist der Unterschied. Deshalb sehen Wissensarbeiter darin einen Mehrwert und machen mit. Sie beteiligen sich, sie vernetzen sich, sie tauschen Ideen, Anregungen und Wissen aus – direkt und ohne Filter entlang ihrer Aufgaben und Interessen. Auch und vor allem jenseits der hierarchischen Kanäle, schlicht so, wie sie es situativ für richtig halten.

Von dieser Art des Austausches lebt das Enterprise 2.0. Die Nutzung entsprechender virtueller Plattformen entgrenzt die kommunikative Reichweite des Einzelnen von Zeit und Raum: An virtuelle Beiträge, Dialoge, Kommentare etc. können Kollegen sich weltweit anschliessen, wann sie wollen. Das Enterprise 2.0 eröffnet so den Zugang zu Wissen und Kreativität der Mitarbeiter in einem ganz anderen Umfang und in neuer Qualität. Aus den sporadischen Zufallsfunden in der Kantine oder an der Kaffeemaschine wird im Enterprise 2.0 ein kontinuierlicher Fluss des kreativen Poten­zials ermöglicht.

Implikationen für die HR-Strategie

Diese Potenziale zu erschliessen und in reale Wertschöpfung zu überführen, ist eine der zentralen Herausforderungen, um aus Organisationen, die über moderne Social-Network-Plattformen verfügen, echte Enterprise-2.0-Organisationen werden zu lassen. HR-strategisch leiten sich daraus vielschichtige Gestaltungskorridore und Herausforderungen ab.

Netzwerk- und Community-Strukturen etablieren

Die vielleicht weitreichendste Veränderung aus Sicht traditioneller Organisationen dürfte darin bestehen, die Emergenz und Einbindung von Netzwerk- und Community-Strukturen zu fördern. Von der Themenfindung über Support und Ressourcen bis hin zur Governance. Diese Gestaltungsfelder gilt es mit langem Atem aufzugreifen – schliesslich sind hier die Wirkungsmechanismen völlig andere als die der klassisch-hierarchischen Strukturbildung. Umso mehr ist eine evolu­tionäre und synergetische Weiterentwicklung beider Pole gefordert: Linien- und Netzwerk- bzw. Community-Organisation, mit besonderem Nachholbedarf bei Letzterer. Denn nur wenn ein Mitarbeiter, der sich qua seines Wissens als Netzwerkknoten etabliert und viele andere «mitzieht», darin gefördert wird, auch und gerade durch seine Linienführung, können entsprechende Ergebnisse letztlich «offiziell» und damit belastbar die reale Wertschöpfung unterstützen.

Führung und Management im Enterprise 2.0

Die Koexistenz klassischer Hierarchie mit der dynamischen virtuellen Wissensvernetzung bedingt neue Rollen- und Verhaltensmuster der Führungskräfte. Hinzu kommt, dass Führungskräfte nach eigenem Ermessen ihre Rollenmodelle situativ anzupassen haben – ganz abgesehen von der Entwicklung der handwerklichen Fähigkeiten im Umgang mit den technischen Systemen. Viele Beispiele zeigen, dass der beste Weg über reflektiertes Tun und Anwenden führt. Überraschungen in Umgang und Nutzung der technischen Möglichkeiten sind normal und sollten ausgehalten werden, initial sogar gefördert werden. Denn in der Regel zeigen sie, dass der unternehmensübergreifende Wissensaustausch lebt und die Mitarbeiter diese neuen Möglichkeiten aufgreifen. Reverse-Mentoring-Programme etablieren sich für das Erlernen der handwerklichen Aspekte.

Das gesamte HR-Kernspektrum weiterentwickeln

Letztlich durchdringt die Entwicklung zum Enterprise 2.0 viele Kernbereiche des HR-Spektrums. Personalentwicklung, Kompetenzmanagement, Fachkarrieresysteme, Employer Branding, Mitarbeitergespräche, Performance-Bewertung, um nur einen evidenten Ausschnitt zu nennen: Alle diese Schwerpunkte des HR-Spektrums verlieren relevante Potenziale, würde man sie nicht auf die neuen Herausforderungen hin interpretieren und weiterentwickeln. Auch HR-seitig ist insofern reflektierendes Agieren in vielerlei Hinsicht gefordert. Denn der Weg zum Enterprise 2.0 führt letztlich immer über unternehmensspezifische und integrierte Massnahmen mit dem angemessenen strategischen Weitblick und Fokus auf die «Big Wins».

Hans-Georg Schnauffer live

An der Personal Swiss referiert Hans-Georg Schnauffer im Rahmen der Swiss Professional Learning 2014 als Keynote-Speaker zum Thema «Wissensvernetzung und Lernen im Enterprise 2.0: Implikationen für modernes Human Resource Management».
Mittwoch, 9. April 09.20–09.50 Uhr, Forum 5 – Halle 6

 

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Hans-Georg Schnauffer ist Beirat der deutschen Gesellschaft für Wissensmanagement, Autor und Dozent. Nach der Fraunhofer-Gesellschaft übernahm er bei ThyssenKrupp die Verantwortung für das strategische Wissensmanagement.

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