Ethik

Die Integrität bestimmt das ethische Klima – und dieses ist messbar

In Zeiten der Rezession geht die Ethik oft als Erstes über Bord. Kostensenkungen führen dazu, dass Massnahmen gegen unethisches oder betrügerisches Verhalten gestrichen werden – obwohl sie gerade dann am dringendsten benötigt 
werden. Die Messung des ethischen Klimas kann wichtige Hinweise geben, wo Firmen ansetzen können, um die Ethik nicht aus dem Blick zu verlieren.

In einer neuen Studie von KPMG, die in den USA durchgeführt wurde, gaben 74 Prozent der 5000 befragten Angestellten an, in den letzten 12 Monaten ein Fehlverhalten im Rahmen ihrer Organisationen entweder persönlich beobachtet oder durch Wissen aus erster Hand erfahren zu haben. 46 Prozent berichteten, dass diese Vorfälle, falls entdeckt, zu «einem erheblichen Verlust des Vertrauens in der Öffentlichkeit» führen könnten. Im Banken- und Finanzsektor liegt dieser Prozentsatz sogar bei 60 Prozent. Nicht nur Reputationsrisiken, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf die Finanzlage sind die Folge. Obwohl es schwer ist, diese finanziellen Auswirkungen genau zu berechnen, schätzte die Association of Certified Fraud Examiners (ACFE) erst kürzlich, dass im vergangenen Jahr US-Unternehmen im Durchschnitt 7 Prozent ihrer Einnahmen durch Betrug verloren haben.

Ohne Konsequenzen bei Verstössen werden Regeln auch künftig ignoriert

Diese Zahlen sind eng mit dem ethischen 
Klima in einem Unternehmen verknüpft. Um das besser zu verstehen, wurde vor 15 Jahren das so genannte Integrity Thermometer entwickelt und in enger Zusammenarbeit mit der Universität Rotterdam verbessert. Dieses anonyme Online-Tool kann Organisationen helfen, ihr ethisches Klima zu bestimmen und Programme zu entwickeln, die die Integrität in der Unternehmenskultur verstärken.

Das Integrity Thermometer basiert auf sieben Qualitäten der Integrität, die alle zusammen eine ethische Kultur in den Unternehmen schaffen. Jede dieser sieben Qualitäten wurde durch eine Reihe von Fragen operationalisiert. Die sieben Qualitätsmerkmale von Integrität sind:

  • Klarheit
  • Gutes Vorbild
  • Verpflichtung
  • Durchführbarkeit
  • Transparenz
  • Diskussionsbereitschaft
  • Durchsetzungsstärke

Diese Standards aufrechtzuerhalten, ist schwierig. Normen, Grundsätze und Regeln, seien diese implizit oder explizit ausformuliert, sind nicht immer für alle Mitarbeiter klar und verständlich und deshalb schwer einzuhalten. Zudem hat man festgestellt, dass Mitarbeiter das Verhalten ihrer Führungskräfte kopieren. Ein weiterer wichtiger Punkt für die Qualität der Integrität ist die Diskussionsbereitschaft im Unternehmen: Ist es möglich, sensible Themen mit dem Vorgesetzten zu diskutieren? Kann man ihn darauf ansprechen, wenn er ein teures Geschenk eines Kunden annimmt, und darauf hinweisen, dass dies nicht im Einklang mit der Unternehmenspolitik geschieht?

Auch die Durchsetzungsstärke ist ein wichtiges Kriterium. Jeder muss die Konsequenzen von Verstössen kennen, und Sanktionen müssen immer konsequent umgesetzt und kommuniziert werden. Wenn Verstösse gegen aufgestellte Regeln oder Vorschriften keine Konsequenzen nach sich ziehen, wird dies dazu führen, dass solche Verstösse auch in Zukunft vorkommen werden.

Zur Messung des ethischen Klimas werden den Mitarbeitern Fragen und Aussagen unterbreitet. Zum Beispiel:

  • 
«Ich erhalte Informationen und entsprechende Unterstützung, die mir helfen, die ethischen Grundwerte und Prinzipien des Unternehmens zu verstehen.»
  • 
«Ich glaube, dass die Geschäftsführung weiss, wie sich die Mitarbeiter tatsächlich verhalten.»
  • 
«In den letzten 12 Monaten habe ich festgestellt, dass ein Mitarbeiter:
    – Vermögen veruntreut hat
    – Berichte vorsätzlich manipuliert hat» (1)

Sensibilisierung der Mitarbeiter für das Thema Ethik und Integrität

In einer Online-Befragung geben die Mitarbeiter mittels standardisierter Antworten dann Auskunft, wie sie diese Aussagen in Bezug auf ihr Unternehmen und ihre Situation einschätzen und beurteilen. (Die Antworten sind standardisiert.)
Unternehmen, die das Tool einsetzen, können auf verschiedene Art und Weise Nutzen daraus ziehen:

  • Sensibilisierung der Mitarbeiter – Die Mitarbeiter werden durch Fragen, die ihnen gestellt werden, dazu gezwungen, sich mit dem Thema «Ethik und Integrität im Unternehmen» auseinanderzusetzen.
  • Signalwirkung – Mit dem Einsatz des Integrity Thermometer setzt die Unternehmensführung ein deutliches Zeichen und signalisiert ihren Mitarbeitern, welchen Stellenwert sie dem Thema «Unternehmensethik und 
-integrität» beimisst.
  • Das «wahre» Gesicht – Die anonym erhaltenen Informationen werden vertraulich behandelt und aufbereitet. Das Endprodukt zeigt das «wahre» Gesicht der inneren Unternehmensintegrität, weil sich Mitarbeiter offen und ehrlich zum Thema äussern können.
  • Massnahmenpläne – Die wertvollen Daten können gezielt ausgewertet, effiziente Massnahmenpläne erstellt werden. Die Erkenntnisse können in die Erstellung oder Anpassung eines Verhaltenskodex einfliessen.
  • Kontinuierliche Verbesserung – Wird die Umfrage in regelmässigen Abständen (Monate/Jahre) wiederholt, können Fortschritte festgehalten, Defizite erkannt und verbessert werden.
  • Benchmark – Das Ergebnis der Umfrage kann mit anderen Unternehmen und Abteilungen verglichen werden, Verbesserungspotenziale können festgestellt und Synergien genutzt werden.
  • Erster Schritt zur umfassenden Deliktsprävention – In Kombination mit Awareness- und Assessment-Workshops bildet das Integrity Thermometer den ersten Schritt zur wirksamen Deliktsprävention und zum Schutz vor unethischem Verhalten im Unternehmen.
  • Flexibilität des Fragenkataloges – Obwohl es sich um Standardfragen handelt, können weitere beliebig hinzugefügt werden. Damit werden Struktur und Inhalt des Fragebogens besser auf das individuelle Unternehmen zugeschnitten.

Heutzutage benutzen viele Unternehmen das Integrity Thermometer, entweder selbständig oder auch als Teil ihrer Mitarbeiterumfrage, und können so eigene Ethikprogramme entwickeln. Das Vergleichen der eigenen Ergebnisse verschiedener Jahre lässt die Unternehmen ihren Fortschritt und die Wirksamkeit der ergriffenen Initiativen messen. Zudem ermöglichen Datenbanken, die während der letzten zehn Jahre aufgebaut worden sind, die eigene Firma mit anderen zu vergleichen.

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Peter Jonker ist Partner bei der 4N6 Factory GmbH und ein Experte auf dem Gebiet «Corporate Integrity». Er unterstützt seit vielen Jahren mit viel Engagement Unternehmen bei deren Bemühungen, die Werte und Normen ethischen Verhaltens in den Geschäftsaktivitäten zu stärken und aufrecht zu erhalten. Er verfügt zudem über umfangreiche Erfahrung bei der Untersuchung von Mobbing und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. www.4n6-factory.ch

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