HR Today Nr. 5/2021: Praxis – HR-Start-up Markt

Die Nadel im Heuhaufen

Die Arbeit von Investmentgesellschaften gleicht einer Detektivarbeit. Zwar gibt es auch im HR-Bereich vielversprechende Start-ups, doch nur wenige vermögen mit ihrer Dienstleistung zu überzeugen. Zukunftsträchtige Firmen in der Masse an Neugründungen zu finden, ist nicht einfach. Wie das dennoch gelingt.

Trotz hitziger Diskussionen führt ein Unternehmen eine neue App ein, um die Fitness und die Motivation der Mitarbeitenden zu verbessern. Die Triathletin im Management war von Anfang an begeistert, der etwas beleibte Genussmensch eher skeptisch. Den Stichentscheid gab der Zahlenmensch, der mit dem zu erwartenden Return on Investment dank weniger Absenztagen argumentierte. Doch wie so viele gute Vorsätze versandete auch die anfängliche Euphorie der Mitarbeitenden. Einen Monat nach dem Start nutzte nur noch ein Dutzend Mitarbeitende die von einem Start-up entwickelte App regelmässig. Nach Ablauf der Vertragslaufzeit wurde das Projekt deshalb klanglos begraben. Das Beispiel illustriert einen Trend: Corporate Health Management ist ein 50-Milliarden-Dollar-Markt, der rasch wächst, weil Europa im Vergleich zum Trendsetter USA aufholt.

Wenn man als Kapitalgeber von Start-ups agiert, schaut man in die Zukunft und darf die Realität nicht ausser Acht lassen. Als Investmentkriterien gelten: Firmen müssen ein Problem lösen und ihre Kunden von ihrem Produkt überzeugen. Bei Software-Firmen achtet Verve Ventures beispielsweise genau darauf, wie sich die Zahl der Kunden und die Umsätze entwickeln und prüft, weshalb Kunden abgesprungen sind. Waren sie unzufrieden oder gab es andere Gründe dafür wie eine Restrukturierung? Ist ein Start-up schon länger auf dem Markt, sind seine Geschäftszahlen belastbarer. Das gibt Investoren eine gewisse Sicherheit. Benötigt eine Firma jedoch ein frühes Investment, berücksichtigt das Verve-Ventures-Investment-Team nebst der Kundenzufriedenheit und den Verkaufszahlen auch andere Indikatoren. Etwa, wie hoch das Nutzerengagement ist. Wird eine App beispielsweise von vielen Personen regelmässig genutzt, trifft sie offensichtlich den Zeitgeist.

Ein Paradebeispiel dafür ist das Schweizer Start-up Beekeeper dessen mobile App dazu dient, Mitarbeitende zu informieren, die keinen PC-Arbeitsplatz oder teils nicht einmal eine Firmen-E-Mail haben. Firmen aus diversen Bereichen wie Industrie, Hotellerie, Gesundheit und Detailhandel in über 130 Ländern nutzen diese App bereits. Deshalb hat Beekeeper das Potenzial, in absehbarer Zeit zu einem «Unicorn» mit einer Bewertung von über einer Milliarde Franken zu werden. Privatinvestoren und Firmen haben seit 2017 wiederholt investiert. 2020 hat das Unternehmen eine weitere Finanzierungsrunde von über 60 Millionen US-Dollar abgeschlossen.

HR-Tech als interessante Nische

Mit jobs.ch, die 2012 an Tamedia und Ringier ging, hat die Schweiz schon 2000 eine erfolgreiche Recruiting-Plattform hervorgebracht. Es ist nicht die einzige. So sind in der Datenbank Dealroom.co derzeit 73 Schweizer Start-ups im Recruitingbereich aufgeführt. Allerdings mehrheitlich Kleinstfirmen, die keine externe Finanzierung aufgenommen haben. Nur wenige schaffen den Durchbruch. In ganz Europa ist es wenig mehr als 250 Start-ups gelungen, über eine Million Franken Kapital aufzutreiben. Zum Vergleich: In Europa sind auf der Start-up-Datenbank etwa sechsmal so viele Fintech- wie HR-Tech vertreten.

Ein Blick über die Schweizer Landesgrenzen zeigt, dass sich zahlreiche Start-ups auf einzelne Segmente des Recruitingmarkts fokussieren. Etwa auf Softwareentwickler (Landing.jobs) oder Fintech-Experten (Storm2). Eine weitere Achse, auf der sich die Angebote differenzieren, ist das Alter der Nutzer. So betreibt das Genfer Start-up Goodwall beispielsweise eine internationale Plattform, auf der sich junge Talente wie Studenten und Berufsanfänger tummeln. Goodwall verbindet über eine Million Nutzer mit einem Angebot von mehr als fünf Millionen Jobs.

Wie viel effizienter Software die interne Personalbesetzung in Unternehmen machen kann, zeigt das Beispiel von Andjaro, das sich von Paris aus zu einem internationalen und mit 34 Millionen Euro zu einem gut finanzierten Start-up entwickelt hat. Egal ob Baufirma oder Starbucks: Andjaros Kunden setzen Mitarbeitende an mehreren Standorten ein. Fällt ein Mitarbeitender aus, müssen sie möglichst rasch einen Ersatz für die betreffende Schicht finden. Mit Andjaros Software wissen Manager jedoch, welche Mitarbeitenden mit welchen Qualifikationen wann arbeiten wollen. Das erlaubt es ihnen, Ausfälle meist mit eigenem Personal auszugleichen, ohne auf teure Temporärbüros zurückzugreifen. Eine weitere besonders vielversprechende Form des Recruitings ermöglicht die Software von Firstbird mit Sitz in Wien. Damit können Mitarbeitende ihren Kollegen Stellen ihres Arbeitgebers vorschlagen. Dieser Ansatz macht Stelleninserate und Headhunter zu einem gewissen Grad überflüssig und kann Mitarbeitende motivieren, Empfehlungen auszusprechen.

Diese auf Firmen fokussierte Software-Startups (B2B) sind aus Sicht von Verve Ventures grundsätzlich attraktive Investments. Ihr Geschäftsmodell ist nämlich rasch skalierbar und kann sich rasant verbreiten. Eine gute Idee reicht dazu aber nicht. Zunächst muss ein Start-up namhafte Kunden mit hohen Ansprüchen überzeugen. Start-up-Gründer müssen also nicht nur technisch versiert sein, sondern potenziellen Firmenkunden genau aufzeigen, worin der Vorteil der Software besteht, und dies auch beziffern können. Ein Grosskunde von Firstbird besetzt beispielsweise jede dritte Stelle durch Mitarbeiterempfehlungen, was entsprechend grosse Einsparungen erlaubt.

Mitarbeiterengagement stärken

Auch wenn Trends kein gutes Kriterium sind, um Start-ups auszuwählen, ist doch feststellbar, dass das Interesse an Themen wie Mitarbeiterbindung zu vermehrten Investments führt. So hat der Software-Anbieter Workday im Januar 2021 die Mitarbeiter-Feedback-App Peakon für 700 Millionen US-Dollar gekauft.

Auch in der Schweiz ist dies ein Thema, beispielsweise, um Freiwilligeneinsätze innerhalb des Unternehmens zu vermitteln. Um ihr gesellschaftliches Engagement zu steuern und besser Rechenschaft darüber abzulegen, nutzen namhafte Kunden wie L’Oréal oder die Privatbank Lombard Odier hierzu die Plattform von Alaya. Nicht nur Mitarbeiterempfehlungen oder Freiwilligenarbeit stehen hoch im Kurs. Firmen sind auch bereit, für Software zu bezahlen, die das interne Unternehmertum fördert. Ein Beispiel? Das Schweizer Start-up GetKickBox.

Nicht zuletzt ist wie eingangs geschildert auch die Mitarbeitergesundheit ein Trendthema, auf das Investoren und Firmen zunehmend setzen. Aber eben nur, wenn der Nutzen der Software belegbar ist und sich daraus für ein Unternehmen ein Vorteil ergibt und die Zahl der Nutzer innerhalb einer Firma über längere Zeit engagiert bleibt. Ein Beispiel dafür ist die deutsche Gesundheitsapp Humanoo. Deren Erfolg ist nicht zuletzt der grossen Auswahl an digitalen Inhalten wie häufig aufgerufenen Einschlafübungen sowie der engen Zusammenarbeit mit den Krankenkassen geschuldet. Sind Arbeitnehmende dadurch bei der Arbeit wach, freut das nicht nur ihre Chefs, sondern auch die Investoren. Letztere wissen, dass nützliche Apps nicht so leicht zu ersetzen sind.

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Eugen Stamm schreibt über Start-ups bei Verve Ventures, einer Plattform, über die Privatpersonen und Firmen bisher knapp 150 Millionen Franken in über 100 Start-ups investiert haben. Er ist zudem Buchautor und hat für die NZZ sowie die NZZ am Sonntag über Wirtschafts- und Finanzthemen geschrieben.

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