Masseneinwanderungsinitiative

Die ungewisse Zukunft des freien Personenverkehrs

Die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative stellt die Schweiz vor eine grosse Herausforderung. Wegen der sogenannten Guillotineklausel sind auch die bilateralen Verträge gefährdet. Die Zuwanderungsproblematik könnte sich aber durch die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz bald von selbst regeln.

Das Ziel der flankierenden Massnahmen ist es, Sozial- und Lohndumping zulasten der Arbeitnehmer zu verhindern. Diesbezüglich anwendbar ist in erste Linie das sogenannte Entsendegesetz (EntsG). Dieses regelt die minimalen Arbeits- und Lohnbedingungen für Arbeitnehmer, die eine Arbeitgeberin mit Wohnsitz oder Sitz im Ausland in die Schweiz entsendet. Die Gültigkeit der flankierenden Massnahmen ist an jene des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU (FZA) geknüpft. Die Zukunft dieses Abkommens ist jedoch aktuell aufgrund der schwierigen Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) ungewiss.

Am 9. Februar 2014 hat das Schweizer Volk mittels Abstimmung den neuen Artikel 121a (Steuerung der Zuwanderung) und die neue Ziffer 11 zu Artikel 197 (Übergangsbestimmung zu Art. 121a) in die Schweizerische Bundesverfassung (BV) aufgenommen. Dort wird festgehalten, dass die Schweiz die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig steuert. Hierzu werden Höchstzahlen und Kontingente für Aufenthaltsbewilligungen eingeführt. Zudem dürfen keine völkerrechtlichen Verträge abgeschlossen werden, die gegen diesen neuen Artikel verstossen. Bereits abgeschlossene Verträge, die Art. 121a BV widersprechen, sind innerhalb von drei Jahren nach dessen Annahme neu zu verhandeln und anzupassen. Sollte die Ausführungsgesetzgebung zu Art. 121a BV drei Jahre nach dessen Annahme noch nicht in Kraft getreten sein, so hat der Bundesrat auf diesen Zeitpunkt hin eine entsprechende Verordnung zu erlassen.

Die Verhandlungen mit der EU über eine entsprechende Anpassung des Freizügigkeitsabkommens sind bis anhin ohne Ergebnis geblieben. Für den Fall, dass bis zum 9. Februar 2017 keine Einigung erzielt wird, könnte die Zuwanderung mittels einseitiger Schutzklausel gesteuert werden. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats (SPK) wies jüngst darauf hin, dass die Umsetzung zu spät kommen wird. Eine entsprechende Referendumsabstimmung sei frühestens im Mai 2017 möglich.

Problem der Guillotineklausel

Mit Blick auf die MEI ist auf Art. 15 Abs. 2 EntsG hinzuweisen. Bei einer allfälligen Kündigung des Freizügigkeitsabkommens durch die Schweiz oder die EU würde das Entsendegesetz automatisch ausser Kraft treten. Allenfalls würden auch die gestützt auf das Entsendegesetz erlassenen Bestimmungen automatisch dahinfallen, zumindest solche, die im Anhang des EntsG enthalten sind.

Sowohl nach Ansicht des Bundesrats als auch der wohl überwiegenden Lehrauffassung verstösst Art. 121a BV gegen das Freizügigkeitsabkommen. Über eine Anpassung des FZA möchte die EU grundsätzlich nicht verhandeln. Sollte eine Anpassung innert der gesetzten Frist nicht möglich sein, untersagt Art. 197 Ziff. 11 Abs. 1 BV die Anwendung des Freizügigkeitsabkommens. Aufgrund der in Art. 25 Abs. 4 FZA statuierten «Guillotineklausel» hätte eine Kündigung das automatische Ausserkrafttreten des Vertragspakets Bilaterale I zur Folge. Zu beachten ist auch, dass das FZA nicht nur mit der EU, sondern auch mit ihren Mitgliedstaaten abgeschlossen worden ist. Somit müsste eine Änderung auch mit allen Mitgliedstaaten vereinbart werden.

Einwanderung nimmt ab

Aus soziologischer Sicht ist festzuhalten, dass gemäss der aktuellen Ausländerstatistik des Staatssekretariats für Migration (SEM) im ersten Quartal 2016 die Zuwanderung in die Schweiz im Vergleich zur gleichen Periode im Vorjahr zurückgegangen ist. Zwischen Januar und März 2016 sind vergleichsweise um 9,7 Prozent weniger Personen eingewandert. Gleichzeitig hat die Auswanderung um 11,5 Prozent zugenommen. Damit betrug der Wanderungssaldo 15‘027 Personen, was im Vergleich zur Vorjahresperiode ein Minus von 34,5 Prozent ergibt. Erklärt wird der Rückgang vor allem mit wirtschaftlichen Faktoren.

Es wird deshalb oft die Frage gestellt, ob die Zuwanderung nicht bereits durch die wirtschaftliche Entwicklung in der Schweiz geregelt wird. Bei einer sehr guten Lage möchten viele Arbeitskräfte aus dem Ausland in die Schweiz kommen, was für ein Wirtschaftswachstum auch nötig ist. Bei einer stagnierenden oder gar schlechten Wirtschaftslage kommen automatisch weniger bzw. wandern sogar Arbeitskräfte aus der Schweiz in aufstrebende Länder aus. In der Schweiz brauchen wir jedoch qualifizierte Arbeitskräfte.

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MLaw André Tanner ist Jurist, Gerichtsdolmetscher und arbeitet als wissenschaftlicher Assistent am Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitsrecht der Universität St. Gallen (FAA-HSG).

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M.A. Kristina Malkova hat ihren Master in Soziologie der Kommunikation an der Universität Lausanne abgeschlossen. Neben ihrem aktuellen FORCAD-Studium ist sie auch für das Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitsrecht der Universität St. Gallen (FAA-HSG) tätig.

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