Gig Work

«Es braucht immer einen Disruptor»

Glaubt man den Arbeitsmarktprognosen, wird ein Grossteil der Arbeitnehmenden künftig auf Auftragsbasis arbeiten. Wie weit ist «Gig Work» in der Schweiz und wie gut sind wir darauf vorbereitet? Ein Gespräch mit Charles Donkor, Partner bei PwC Schweiz.

«Gig Economy» hat es zum Schlagwort gebracht. Der Begriff ist der Musikerszene entliehen, in der Bands jeweils nach dem Auftritt, Gig, ihre Gage erhalten und zur nächsten Bühne weiterziehen.

In der Gig Economy stellen Arbeitnehmende eine Beschreibung ihrer Fähigkeiten, ihren Stundensatz und ihre Verfügbarkeit auf einem Internetportal ein. Arbeitgeber veröffentlichen im Gegenzug ihre Angebote. Das kann von der stundenweisen Aushilfe an der Bar bis zum Engagement eines IT-Spezialisten zum Aufbau einer Website reichen.

Die Matching-Plattform fungiert nicht nur als Marktplatz, sondern übernimmt üblicherweise die Abrechnungsmodalitäten. Häufig müssen Gig Worker auch ihr Arbeitsmaterial wie Fahrzeuge oder Software selbst stellen. Bekannte Beispiele sind der Taxidienst Uber, Foodora (Fahrradkuriervermittlung für Essenslieferungen) oder MyHammer (Handwerkerdienstleistungen).

Herr Donkor, «Gig Work» gilt als der neue Trend am Arbeitsmarkt. Ist das wirklich etwas Neues?

Charles Donkor: Die Gig Economy basiert auf Matching-Plattformen, die kurzfristig Arbeitnehmende und Arbeitgeber für temporäre Aufgaben zusammenbringen. Die Vergütung und Sozialabgaben sollten über die Plattform laufen. Sie übernimmt im Grunde die Aufgabe des Personalverleihers. Wir beobachten das erst seit etwa fünf Jahren. Vorher gab es dieses Geschäftsmodell nicht. Es fehlte auch an der technologischen Infrastruktur, die solch komplexe Matchingtransaktionen vornehmen konnten.

Ist Gig Work also nun ein Trend?

Noch nicht. Noch hat Gig Work die Arbeitswelt nicht merklich verändert. Aber siehe Uber: Das kann explosionsartig kommen. Langfristig erwarten wir, dass der durchschnittliche Arbeitnehmende etwa sechzig Prozent seiner Arbeitszeit mit einer Festanstellung verbringt. Den Rest ergänzt er durch Gig Jobs, die er sich mittels entsprechender Plattformen sucht.

Weshalb diese Aufteilung?

So hat der Arbeitnehmende beides: Einerseits das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Firma und eine feste Basis, andererseits interessante, sinnstiftende Zusatzaufgaben. Die wenigsten Menschen kommen auf Dauer damit zurecht, nirgendwo dazuzugehören und ohne jede Sicherheit von Auftrag zu Auftrag zu springen. Zudem ist Gig Work für Wiedereinsteiger eine gute Möglichkeit.

Wie wichtig ist Gig Economy in der Schweiz?

Hier ist sie noch kein grosses Thema. Ganz anders als in UK und USA: Dort hat «Gig» aber zum Teil bereits einen negativen Beigeschmack, da es von den Unternehmen knallhart zur Kostensenkung genutzt wird. Sie entlassen Mitarbeitende, um sich dann über Plattformen billigere Arbeitskräfte zu suchen – ohne ihnen gegenüber Verpflichtungen eingehen zu müssen. Viele Menschen glauben, Gig Worker seien nur Hochqualifizierte, die Unabhängigkeit und Flexibilität lieben. Viele arbeiten jedoch auf diese Art, weil sie jeden einzelnen Rappen brauchen und keine Chance auf eine Festanstellung haben.

Es besteht also die Gefahr, dass die neuen Möglichkeiten missbraucht werden können. Wie kann man dem den Riegel vorschieben?

Die Gewerkschaften müssen sich dringend für solche Fälle aufstellen. Noch ist es früh genug und der Markt in der Schweiz klein. Sie müssen von Anfang an darauf pochen, dass die arbeits- und sozialrechtlichen Bedingungen voll erfüllt werden.

Wird sich Gig-Work in der Schweiz durchsetzen?

Es wird für die entstehenden Plattformen schwierig sein, das nötige Volumen zu erreichen. Je kleiner das Land, desto kleiner die Anzahl der möglichen «Gigger». Wer schnell gute Dienstleistungen anbietet wird dominant werden.

Wie gross ist das Potential für Schweizer Matchingplattformen?

Langfristig wird es wohl nur zwei bis drei branchenübergreifende Anbieter vertragen. Dazu kommen Plattformen die international oder branchenspezifisch arbeiten. Wenn ich, sagen wir, eine Plattform für Fachleute in der Energieversorgung anbieten will, muss ich diese länder-übergreifend aufstellen. Sonst ist der potentielle Pool viel zu klein. Bei international agierenden Plattformen ergeben sich vermutlich weitere Fragestellungen. Das ist alles noch nicht geregelt. Was, wenn jemand auf einer österreichischen Plattform registriert ist, aber in die Schweiz zum Arbeiten kommt – wie wird sichergestellt, dass die Abrechnung gesetzeskonform abläuft? Ist der Arbeitgeber haftbar, falls die Plattform fehlerhaft abrechnet? Da sind noch viel Fragen offen.

Ist die Schweizer HR-Landschaft auf Gig-Work vorbereitet?

Noch ist die Entwicklung nicht rasant und entsprechend beschäftigt das Thema das HR noch nicht stark. Es ist gut möglich, dass die Entwicklung plötzlich exponentiell verläuft. Daher sollten sie vorbereitet sein. Wir haben alle im HR die letzten 15 Jahre damit verbracht, die Arbeitsprozesse zu standardisieren und Enterprise-Resource-Planning (ERP) oder jetzt neu auch Cloud Lösungen einzuführen. Jetzt geht es plötzlich darum, möglichst viel Flexibilität zu ermöglichen.

Zur Person

Charles Donkor ist Partner bei PwC Schweiz. Er studierte an der Universität St. Gallen und der London School of Economics und trat nach Abschluss seines Studiums bei PwC ein. Nach einem langjährigen Engagement bei einem anderen Beratungsunternehmen kehrte er 2010 zu PwC zurück.

Was braucht das HR, um die Gig-Economy zu stemmen?

In der künftigen Arbeitswelt wird es eine Vielfalt von Arbeitsmodellen geben. Unternehmen und Arbeitnehmende wollen mehr Flexibilität und müssen sie bekommen. Das muss abgebildet werden. Es braucht effiziente und kostengünstige Prozesse. Das ist eine grosse Herausforderung.

Demnach wird in den HR-Abteilungen bereits proaktiv an Lösungen gefeilt?

Ich sehe nicht, dass die Dringlichkeit in den HR-Abteilungen heute schon so wahrgenommen wird. Das ist bedauerlich. Wenn es tragfähige Lösungen geben soll, müssen jetzt schon wasserdichte Lösungen her. Immerhin bringt Gig-Work den Unternehmen grosse Flexibilität und einen ganz neuen Pool an Mitarbeitenden. Die Vorteile sind so gross, dass man jetzt Arbeit investieren muss, um bereit zu sein, wenn es losgeht.

Welche Fragen müssen geklärt werden?

Die primäre Fragestellung muss sein: Wie wollen wir uns aufstellen, um das Unternehmen agil zu halten? Das Change Management muss rechtzeitig eingeleitet werden. Es muss klar sein: Für welche Aufgaben brauchen wir permanente Mitarbeitende, wofür Festangestellte, die aber zum Teil nur ein oder zwei Jahre bleiben? Wo können wir projektbezogene kurze Aufgaben verteilen? Wo wird es künftig gar niemand mehr brauchen, weil automatisiert werden kann?

Welche Branchen wird es zuerst treffen?

Es braucht immer einen Disruptor, um einen bestehenden Markt neu aufzurollen, wie Uber das für die Taxidienste gemacht hat. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir die nächste Disruption im Banken- und Versicherungssektor beobachten werden. Man munkelt, dass Google und Fintech- und Insurtech-Unternehmen entsprechende Pläne schmieden.

Wären die vorhandenen Player im Markt nicht bestens aufgestellt, um die Veränderungen selbst anzustossen?

Selbstverständlich. Aber dazu fehlt oft die Agilität. Es braucht häufig jemand von aussen, der den Laden aufmischt. Und dieser jemand streckt bereits die Hand nach der Tür aus.

Was ist Ihr Rat ans HR?

Wenn sich Arbeitsmodelle rasant entwickeln, und das kann plötzlich schnell gehen, wie wir das bei Uber oder Airbnb gesehen haben, dann muss sich das HR fragen: Haben wir jemanden, der darauf vorbereitet ist und den wir dafür ansetzen können? Lautet die Antwort «nein», muss gehandelt werden. Es wird in der Zukunft eine Arbeitswelt mit einer Vielfalt von Arbeitsmodellen geben. Da muss das HR mit effizienten und kostengünstigen Prozessabläufen aufwarten können. Das ist eine grosse Herausforderung.

Gig Economy und Matching-Plattformen

Freelancing, Contracting, Gig: Was ist was?

«Gig-Work» ist nicht nur ein neuer Name für Altbekanntes wie Leiharbeit oder Freelancing. Freelancer verhandeln mit ihren Auftraggebern die Vertragsbedingungen selbst und kümmern sich auch um die Abrechnung. Beim Contracting wird gewöhnlich eine längere Verpflichtung bei einem einzelnen Arbeitgeber eingegangen und es handelt sich meist um hochqualifizierte Tätigkeiten. Bei Gig-Work handelt es sich meist um kleine, kurzfristige Einsätze. Gig- Matchingplattformen bringen wie bei klassischen Temporärfirmen Arbeitnehmer und Arbeitgeber für Einsätze zusammen.

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Temporärunternehmen springen auf

Inwiefern die Gig-Economy bereits heute in der Temporärbranche gelebte Realität ist, lässt sich nicht klar beurteilen. Bei 40 Prozent der Mitgliedsunternehmen von Swissstaffing sind nur ein Viertel der Einsätze oder weniger Kurzeinsätze von bis zu vier Wochen. Bei weiteren 30 Prozent liegt der Anteil von Kurzeinsätzen zwischen 25 und 50 Prozent. Der überwiegende Teil der Einsätze dauert über längere Zeiträume an.

Nach einer vom Staatssekretariat für Wirtschaft, SECO, herausgegebenen Studie zählten in den USA im Jahr 2015 nur 0,5 Prozent der Erwerbstätigen zu den Gig Workern. Untersuchungen aus England und Schweden zeigen, dass bereits etwa 3 Prozent der Befragten in den Ländern mehr als die Hälfte ihre Gesamteinkommens durch Gig Work bestreiten. Zahlen für die Schweiz konnten die Studie mangels Masse noch nicht erheben.

Quellen:

  • Swissstaffing, 2018: «Die Personaldienstleister in der Schweiz 2018».
  • FHNW, 2017: «Selbständigerwerbende in der Schweiz». Hrsg.: SECO

 

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Alexandra von Ascheraden ist freie Journalistin.

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