Mitarbeiterumfragen

Individuelles HR-Controlling: 
Weiche Faktoren treiben harte Fakten

Die Emotionen der Mitarbeitenden haben einen grossen Einfluss auf das operative Betriebsergebnis. Tönt plausibel – 
war aber bisher kaum messbar. Forscher des ISG Instituts in St. Gallen haben eine Methode entwickelt, die es ermöglicht, 
weiche Faktoren zu ermitteln, in einer digitalen Cockpitlösung abzubilden und in Management-Tools zu integrieren.

Dass weiche Faktoren einen Einfluss auf das quantitative Unternehmensergebnis haben, ist kein Geheimnis mehr. Bisher war es jedoch schwierig, den weichen Faktoren auf die Spur zu kommen und sie ins Verhältnis zu den harten Unternehmensfakten wie Umsatz, Gewinn oder Produktivität zu setzen, zeigen doch Personalerhebungen der herkömmlichen Methoden lediglich einen eher schwammigen Handlungsbedarf auf. Gezielte Massnahmen und Ansätze zur Veränderung können in der Regel daraus nicht präzise abgeleitet werden, denn ein indexierter Gesamtwert lässt meistens keinen Rückschluss auf die individuellen Beweggründe der Mitarbeitenden für ihre Verhaltensweisen zu.

Im Dunkeln liegen die Antworten auf so grundlegende und gleichermassen entscheidende Fragen wie: Was beschäftigt die Mitarbeitenden? Was ist ihnen wichtig? Womit sind sie zufrieden, womit unzufrieden? «Wir haben uns gewundert, warum es bisher noch nicht möglich war, weiche Faktoren zu operationalisieren», sagt Oliver Fiechter, Gründer des ISG Instituts in St. Gallen.

Die Forscher des Instituts haben basierend auf dieser Ausgangsfrage einen methodischen Rahmen entwickelt, der es ermöglicht, weiche Faktoren zu ermitteln und in digitale Cockpit-Lösungen zu integrieren. Grundlage für diese Systeminnovation ist ein neues Verständnis im Umgang mit Befragungsdaten im Human Ressources gegenüber der klassischen Zufriedenheitsforschung. Ziel ist es, die weichen Indikatoren zu messen und sichtbar zu machen, um so die Mitarbeiteremotionen und deren Einfluss auf den Unternehmenserfolg abzubilden. Anhand dieser Informationen lassen sich dann die Treiber hinter harten HR-Kennzahlen besser analysieren und konkrete Handlungsempfehlungen ableiten – von der Individualebene des Mitarbeitenden bis zur Ebene der Gesamtorganisation.

Dieser neuartige Ansatz im HR-Controlling bricht mit der HR-Tradition, dem Dogma, Personalbefragungen zwangsläufig anonym durchzuführen. «Das Thema wird aktuell im Human Resources heftig diskutiert», sagt Fiechter. «Bei vielen Mitarbeitenden sind anonyme Befragungen gar nicht gewünscht, denn sie möchten mit ihren eigenen Bedürfnissen und in ihrer eigenen Identität ernst genommen werden.» Eine Messung der Mitarbeiterzufriedenheit ohne Kenntnisse der individuellen Präferenzen und Leistungstreiber sei demnach nicht verwertbar, weil sie nicht handlungsorientiert ist.  Um die Mitarbeiterzufriedenheit gezielt beeinflussen können, ist es zudem von zentraler Bedeutung, zu unterscheiden, welche Faktoren im Einflussbereich des Unternehmens und welche im Einflussbereich des Mitarbeitenden liegen.

«Es gilt, die objektive Wirklichkeit des Managements der gefühlten Realität des Mitarbeitenden gegenüberzustellen und diese mit gezielten Massnahmen in Einklang zu bringen», so Fiechter. Die Individualisierung des HR-Managements lasse einen konstruktiven und strukturierten Dialog zu, der anhand klassischer Methoden so nicht möglich gewesen sei.

Der Mensch und seine Motivation

Jeder Mensch hat unterschiedliche Präferenzen und Werte. Mit den Ergebnissen der Messmethode des ISG Instituts können konkrete Aussagen über das Individuum gemacht werden. Denn: Was dem einen gefällt, muss den anderen noch lange nicht glücklich machen. Diese Form der Werte-Relativität wird mit dem  neuen HR-Controlling-Instrument ein Stück weit kalkulierbar. Anstatt nur rationale Zahlen abzubilden, zeigen die Ergebnisse auch die emotionalen Realitäten auf. Die Grundüberlegung ist simpel: Der Mensch steht im Mittelpunkt. Jeder Mitarbeitende wird mit seinem individuellen Präferenzbild erfasst. Die Messung orientiert sich beispielsweise im Bereich der Dienstleistungsindustrie an fünf Kerndimensionen:

  • Arbeitsinhalt
  • 
Persönliche Entwicklungsperspektive
  • 
Führungsqualität durch den direkten Vorgesetzten
  • 
Soziales Umfeld und Teamqualität
  • 
Image und Reputation der Firma

Als erster Schritt werden die persönlichen Präferenzen der einzelnen Mitarbeitenden erfragt. Jeder der fünf Kerndimensionen liegen weitere sechs bis acht Merkmale zugrunde, anhand derer in einem zweiten Schritt die individuellen Bedeutungskriterien erfasst werden können. Das sind beim Punkt «soziales Umfeld» unter anderem Kriterien wie Dialogfähigkeit oder Vertrauen, beim Punkt «Reputation» sind es Merkmale wie das Ansehen des Unternehmens, die Integrität des Managements oder die Wertekongruenz. Der Mitarbeitende gibt seine individuelle Gewichtung der einzelnen Aspekte für seine eigene Motivation an. Als dritter Schritt erfolgt die Auswertung, inwiefern diese individuellen «Motivatoren» erfüllt sind. Je nachdem, welcher Motivationsbereich bei den Mitarbeitern ausgeprägt ist, spiegelt sich ein bestimmtes Mitarbeiterprofil:

Typ 1: Findet seine Zufriedenheit hauptsächlich in seiner Arbeit, in den Anforderungen und im Produkt.

Typ 2: Persönliche Entwicklungschancen, eine klare Karrierenplanung und die Erweiterung des persönlichen Horizonts sind wichtig für diesen Mitarbeitenden.

Typ 3: Seine Zufriedenheit hängt in hohem Mass davon ab, wie er von seinen direkten Vorgesetzten behandelt und geführt wird.

Typ 4: Das Verhältnis und die Beziehung zu seinen Kollegen auf gleicher Stufe sind für ihn entscheidenden für seine Zufriedenheit.

Typ 5: Für diesen Mitarbeiter ist es wichtig, auf seine Firma stolz sein zu können.

Die Ergebnisse können dann in Beziehung gesetzt werden zum Beitrag, den der Mitarbeitende zum Erfolg des Unternehmens leistet, und Aufschluss darüber geben, welche Mitarbeitergruppen eine bessere oder schlechtere Wertschöpfung haben und warum. Für Typ 1 und Typ 2 sind eher die harten Fakten treibend, für Typ 3, Typ 4 und Typ 5 mehr die weichen Faktoren. «Für einen Mitarbeiter, der das Profil des Typs 5 zeigt, ist die Bindung an das Unternehmen sicherlich stärker und beständiger als für einen Mitarbeiter des Typs 1», erläutert Fiechter. Die individuellen Profile, Treibermodelle und Präferenzbilder und die einzelnen Bewertungen lassen sich im digitalen Cockpit (siehe Grafik) visualisieren.

«Da der Mitarbeitende sich von der Befragung Vorteile in seinen Arbeitsbedingungen verspricht, kann eine ehrliche Beantwortung der Fragen vorausgesetzt werden», erklärt Fiechter. Eingebaute Konsistenz- und Querprüfungen filtern Datensätze mit zu geringer Güte oder Widersprüchen heraus und vermeiden Verfälschungen.

Fallbeispiel

Eine Dienstleistungsfirma hat seit einigen Jahren mit einer hohen Fluktuation zu kämpfen. Diese Tatsache hat einen starken Einfluss nicht nur auf die Unternehmenskosten, sondern auch auf die Arbeitsmotivation der Mitarbeitenden, die im Unternehmen verbleiben. Die Arbeitsbelastung erhöht sich, die Mitarbeitenden sind demnach weniger motiviert. Es ist klar, dass dies einen negativen Einfluss auf die Prozessentwicklung und damit auf die Qualität der Leistung hat. Auch die Geschäftsleitung weiss um diesen Zusammenhang. Immer wieder entbrennen heisse Diskussionen darum, jeder Manager hat seine eigene Interpretation und Erklärung für die Frage: Wie erklärt sich die harte Unternehmenskennzahl «Fluktuation» qualitativ auf die weichen Faktoren bezogen? Hilfreich wäre eine objektive Erklärung, die die nötigen konkreten Handlungsansätze bietet.

Durch das HR-Controlling-Tool zeigte sich im gesamten Beispielunternehmen in der Schweizer Dépendance eine starke Teampräferenz. Das heisst, die Mitarbeitenden haben vorwiegend ihre Präferenz im sozialen Umfeld, die wenigsten haben ihre Präferenz in der Reputation. Aus Forschungen ist bekannt,  dass ein Mitarbeitender, dessen Motivation auf intrinsischen Faktoren basiert, eine grössere Loyalität zum Unternehmen zeigt als ein Mitarbeitender, der seine Grundmotivation aus extrinsischen Faktoren schöpft. Das Ergebnis im Beispielunternehmen macht klar, dass die Mitarbeitenden zwar eine hohe Teampräferenz haben, aber nur eine Zufriedenheit von 64 Prozent angeben. Welche präzisen Handlungsfaktoren relevant sind, lässt sich aus den motivatorischen Merkmalen ablesen: Fast alle Mitarbeitenden geben einen Faktor an, der für sie 100 Prozent von Bedeutung ist: Vertrauen und Loyalität. Reagiert der Linienverantwortliche oder Teamleiter nun zielgerichtet, weiss er, dass er team- und vertrauensbildende Massnahmen ergreifen muss, um sein Team positiv zu entwickeln und die Fluktuationstendenz negativ zu beeinflussen.

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