HR Today Nr. 1&2/2020: Personalentwicklung

Mitarbeitende ganzheitlich entwickeln

Wachsende Komplexität und die zunehmende Digitalisierung verändern auch in der Personalentwicklung das Handlungstempo und verlangen ein umfassendes und ganzheitlich funktionierendes Talentmanagement.

In vielen Organisationen hat das Talentmanagement kläglich versagt, obwohl ausgeklügelte Talentförderprogramme mit hohem Zeit- und Ressourceneinsatz entwickelt wurden. Doch tolle Konzepte sind kein Erfolgsgarant, wenn die konsequente Umsetzung an persönlichen Befindlichkeiten, intellektuellen Fähigkeiten, inhaltlichen Anforderungen oder zeitlichen Ressourcen scheitert. Im Kontext der Digitalisierung gehören Entwicklungskonzepte, Karrieren- und Potenzialpläne, die über mehrere Jahre hinweg angelegt wurden, zunehmend der Vergangenheit an. Ebenso wenig sind konventionelle Ausbildungen geeignet, die Bedürfnisse der Personaler sowie der Mitarbeitenden mit Blick auf künftige Herausforderungen abzudecken. Es geht also um ein «Talent on demand», einen Ansatz, den Organisationen aufgreifen müssen, um eine zukunftsgerichtete, stabile und bedarfsgerechte Personalsituation sicherzustellen.

Mit pragmatischen Ansätzen gelingt es kleinen und ­mittelständischen Unternehmen, ihre Mitarbeitenden ­situations- und personengerecht zu entwickeln. Sie gelten nach wie vor als «Talentschmieden» der Sonderklasse. Das Erfolgsrezept? Dieses scheint im direkten und persönlichen Kontakt zu den Mitarbeitenden zu bestehen, der authentischen Vermittlung der Firmenwerte, einem Bewusstsein für den Nutzen personeller Investitionen und der damit verbundenen Mitarbeiterbindung. Arbeitgeber und Arbeitnehmer profitieren dadurch von einer besseren Abstimmung ihrer Bedürfnisse und der Berücksichtigung der Lebensphase des Mitarbeitenden.

Individuelle Förderung statt Giesskannenprinzip

Jeder Arbeitnehmende hat spezielle Eigenschaften und bringt eigene Vorstellungen mit, wie er seine Potenziale und Talente ausleben oder einbringen will. Diversität bedingt zudem eine individualisierte Förderung von Fähigkeiten. Um für Arbeitgebende und Arbeitnehmende einen gegenseitigen Nutzen zu schaffen, ist es wichtig, eine Balance zwischen Förderungsprinzip und persönlicher Befindlichkeit zu erreichen. Entsprechend beinhaltet eine Abklärung seitens der Organisation eine Anforderungsanalyse von Funktionen, Inhalten, Verantwortlichkeiten und Hierarchiestufen.

Beim Mitarbeitenden sind dagegen kognitive Potenziale, Erfahrungs-, Kern- und soziale sowie emotionale Kompetenzen und zeitliche Ressourcen fundiert zu klären und mit der angestrebten Funktion abzustimmen. Wenig hilfreich ist es beiderseits, konstante Weiterbildungen zu lancieren und Jobrotationen von weniger als zwei Jahren zu vollziehen, weil Mitarbeitende dadurch destabilisiert werden können. Das wirkt sich unter Umständen negativ auf andere Lebensbereiche aus.

Ebenso wenig sollten «Talente» nur für eigennützige Unternehmenszwecke «eingespannt» und dem «eigenen Lebensweg» entfremdet werden. Auch das oft benutzte Argument, Mitarbeitende sollten ihre Komfortzone verlassen kann in eine Sackgasse führen, weil sich so geförderte Mitarbeitende in der Weiterbildung nicht mehr finden. Erfolgsversprechend ist deshalb eine Talentförderung, die von beiden Parteien gewünscht ist – und bestenfalls mit einer externen Standortbestimmung sorgfältig reflektiert wird.

Wissensvakuum durch Technologiesprünge

Eine pragmatische Förderung «on the Job» ist jedoch keine Garantie für eine nachhaltige Employability, die trotz der breiten Erfahrung eines Mitarbeitenden verloren gehen kann. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Informatik, weil die technologische Entwicklung dort besonders rasch voranschreitet.

So werden zur bestehenden Informationstechnologie (IT) neue Systeme, welche die alten ablösen, häufig mit externen Fachkräften entwickelt. Vor allem bei langjährigen Arbeitnehmenden entsteht dadurch plötzlich ein grosses Wissensvakuum, was zu einem aussichtslosen Problem wird. Etwa, weil sich in den letzten zehn Jahren in der IT nicht nur die Programmiersprache verändert hat, sondern auch die Architektur sowie die Art, wie Daten produziert, ausgewertet und interpretiert werden. Wem es währenddessen nicht gelungen ist, sich generisches Know-how auf einem neuen Level anzueignen, verfügt über kein aktuelles Wissen mehr.

Employability kann in diesem Kontext nur durch die Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern erreicht werden. Darunter verstehen wir: Eine durchschnittliche IT Fachkraft müsste je nach Höhe ihrer Ausbildung wohl alle 5 bis 10 Jahre eine längere und tiefergreifende Weiterbildung absolvieren, welche schätzungsweise 12 bis 18 Monate dauert. Das bedeutet für einen Arbeitgeber reduzierte zeitliche Ressourcen und ein beidseitiges finanzielles Engagement.

Gerade in der IT gibt es einen unheilvollen Zusammenhang, denn häufig sind es passive Arbeitnehmende, die monieren, sie hätten keine Zeit für eine Ausbildung. Sie möchten im Grund, dass der Arbeitgeber dafür die Verantwortung übernimmt. Wenn von dessen Seite keine konkrete Interaktion erfolgt, verharren solche Mitarbeitende solange in ihren Funktionen, bis ihr Wissen nicht mehr adäquat aktualisiert werden kann und der einzige Ausweg eine Kündigung ist.

Der Arbeitgeber seinerseits ist sich der Kostenintensität von Weiterbildungen bewusst und nutzt die Passivität von Mitarbeitenden solange aus, bis sie nicht mehr beschäftigungsfähig sind. Ersetzt werden sie dann durch jüngere und günstigere Arbeitskräfte mit topaktuellem Wissen, die Freude daran haben, sich zu beweisen. Ebenso unsinnig ist der Besuch von Kursangeboten zum Zweck einer «Zertifikatsammlung», ohne dabei konkrete Berufsperspektiven zu haben. Der Glaube, dadurch seine Arbeitsmarktfähigkeit hoch halten zu können, endet oft in einer Enttäuschung im Bewerbungsverfahren.

Regelmässige Selbstreflexion

Grundsätzlich tragen Mitarbeitende die Verantwortung dafür, dass ihre Fähigkeiten und ihr Fachwissen auf dem aktuellen Stand sind, um ihre interne und externe Arbeitsmarktfähigkeit sicherzustellen. Damit erhöhen sie ihre eigene Attraktivität und Sichtbarkeit. Diese Mitwirkungspflicht setzt jedoch eine grosse Portion Eigenverantwortung, Willen, Fleiss, Disziplin und Resilienz voraus. Es ist für die eigene Berufsplanung unverzichtbar, flankierende Massnahmen zu erarbeiten und mit extern anerkannten Fachausweisen zu festigen. Jeder Mitarbeitende sollte sich regelmässig mit den folgenden Fragen beschäftigen: «Was kann ich? Was will ich? Was tut mir gut? Was fehlt mir?»

Bei einer ausgewogenen Talentförderung können auch klassische Förderprogramme für High Potentials Sinn machen. Etwa, um Potential High Performer mit individuellem Coaching schrittweise und zielgerichtet in eine neue Funktion zu führen. Wichtig ist eine sinnstiftende und überlegte Weiterbildungsdosierung unter Berücksichtigung individueller und sozialer Verpflichtungen der Mitarbeitenden sowie eine regelmässige Reflektion ihrer Erfolge und Misserfolge.

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Monica Fischer ist Gründerin und Geschäftsführerin von Cubus Employability Competence Centre in Luzern.

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