Im Gespräch

Die virtuelle Welt ruft

Das Human Resource Management hat zahlreiche Aufgaben, die es mit Hilfe virtueller Tools besser bewältigen kann: Die Anforderungen reichen vom Employer Branding über Retention bis hin zu Wissensmanagement. Auf Dauer kann sich davor niemand verschliessen – und mit den richtigen Instrumenten ist der Weg zum digitalen HRM ein Kinderspiel.

Die letzten Jahrzehnte haben zu einer Digitalisierung der Arbeitswelt geführt. Mit den Wertschöpfungsangeboten sind auch die Arbeitsinhalte dematerialisiert worden. Das verlangt nach Ansätzen in Management und Leadership, die dem Verwachsen von Realität mit Virtualität gerecht werden. Dabei ist einerseits die Relativierung von Raum und Zeit, andererseits die Veränderung von Aufbau- und Ablauforganisation zu berücksichtigen: Die geschlossenen, pyramidenähnlich aufgebauten Unternehmen werden durch die ökonomische, soziale und technische Vernetzung zu offenen organismusähnlichen Netzwerken. In diesen schwinden die Hierarchien und die Grenzen zwischen den Abteilungen beziehungsweise den involvierten Anspruchsgruppen. Die meisten Wissensprozesse werden im Internet abgebildet oder verschieben sich ganz in den digitalen Raum. Die Organisation findet gleichzeitig im analogen und im digitalen Raum statt. Es ist deshalb nicht weniger als ein digitales HRM gefragt.

Die Aufgaben: Präsenz zeigen und Personen vernetzen

Das digitale HRM bezieht sich auf jene Wirklichkeiten, die durch das Internet unterstützt oder überhaupt erst ermöglicht werden. Im Kontext des Personalwesens sind vor allem jene Räume gemeint, in denen Menschen interagieren. Konkret sind die sozialen Netzwerke angesprochen, wobei das Internet die Trennung zwischen beruflichen und privaten Netzwerken aufhebt. Ziel des digitalen Human Resource Managements bleibt auch im virtuellen Raum die Optimierung des Humankapitals – die Kombination des Wissens, der Fähigkeiten und der Einstellungen aller Menschen, die zu einem Unternehmen gehören. Zu diesen gehören neben den Mitarbeitenden auch die Kunden, welche die Produkte und Prozesse häufig am besten kennen. Die Digitalisierung beschleunigt die Auflösung der Anspruchsgruppenrollen: Wir werden in naher Zukunft vermehrt als Quasi-Selbständige in mehreren Organisationen tätig sein und als Kunden in unseren bevorzugten Unternehmen mitarbeiten.

Um das Humankapital zu optimieren, wird das HRM in verschiedene Aufgaben zerlegt. Sie orientieren sich entweder an personellen Prozessen oder an organisationalen Notwendigkeiten, die sich aus dem Unternehmenszweck und davon abgeleiteten Strategien ergeben. Die Aufgaben werden im Falle der Notwendigkeiten nicht aus Sicht der Einzelperson, sondern abstrakter aus den kurz-, mittel- und langfristigen Herausforderungen der Gesamtorganisation gedacht.

Dieser zweite Ansatz scheint für die Skizzierung eines digitalen HRM geeigneter, weil durch das Internet standardisierte Personalprozesse relativiert werden. Im Internet gibt es keinen Anfang und kein Ende, über Reihenfolgen und Prioritäten entscheidet der Betrachter. Fix definierte Prozesse verlieren durch Digitalisierung und Individualisierung an Bedeutung. Die Aufgaben des  HRM richten sich situativ an allen Menschen aus, deren Humankapital in irgendeiner Form für das Unternehmen relevant sein könnte. In der Folge werden die vier Aufgaben des digitalen HRM vorgestellt:

Markieren: Das Unternehmen markiert im digitalen Raum Präsenz, um in den Gedankenwelten seiner Anspruchsgruppen präsent zu sein. Um Aufmerksamkeit zu generieren, braucht es eine starke Markenführung. Das Generieren von Aufmerksamkeit reicht nicht, es braucht ebenso den Transport von Botschaften und Werten. Im Vergleich zum realen Raum wird hier offensichtlich, dass eine Marke nicht mehr von Unternehmen vorgegeben wird, vielmehr entsteht sie in der Interaktion mit und zwischen den Anspruchsgruppen.

Involvieren: Um das Humankapital der Anspruchsgruppen zu nutzen, gilt es, diese in die Prozesse des Unternehmens zu integrieren. Das gelingt am besten, wenn die Marke an der Identität des Gegenübers ­anschliesst. Das Eingehen auf die Bedürfnisse und Eigenarten des Gegenübers steigert dessen Bereitschaft, sein Humankapital für das Unternehmen einzusetzen. Während gewisse Menschen langfristig und intensiv durch ein Arbeitsverhältnis an das Unternehmen gebunden werden sollen, scheint bei anderen eine kurzfristige Projektkooperation für beide Seiten die sinnvollere Variante.

Moderieren: Das Unternehmen ist ein Wissenskörper, der Wissen als Ressource aufnimmt und durch Wissensprozesse in Nutzen für seine Anspruchsgruppen verwandelt. Diese Verwandlung passiert durch die Arbeitsprozesse der beteiligten Mitarbeitenden, wobei es durch das Human Resource Management auch zunehmend Kunden in die Wissensprozesse des Unternehmens zu integrieren gilt. Das Suchen, Kombinieren und Inszenieren des Wissens wird von der ­Organisation eher moderiert denn im klassischen Sinne geführt. Wissensprozesse werden durch Identitäten und nicht durch Hier­archien gelenkt. Die Moderation dient der Kanalisierung von Feedbacks und der gemeinsamen Erarbeitung von Wissen.

Visualisieren: Die Visualisierung von Wissensprozessen und Wissenskulturen erlaubt die Reduktion der wahrgenommenen Komplexität. Dadurch verbessert sich die Produktivität der gemeinsamen Wissensentwicklung. Durch grafische Darstellungen wird Wissen in und über die Organisa­tion transparent. Transparenz bildet die Grundlage, damit Wissen neu kombiniert ­werden kann. Die Visualisierung fördert die Innova­tionskraft und ermöglicht neuartige Controlling-Prozesse. Sie fördert aber insbesondere die organisationale Selbstreflexion, die für eine selbstorganisierte Weiterentwicklung unumgänglich ist.

Die Instrumente gleich beim Start bestimmen

Die Aufgaben des HRM im digitalen Raum finden an zentralen Stellen der Interaktion zwischen der Organisation und ihren Anspruchsgruppen statt. Diese Interaktionsstellen zu bestimmen, gehört zu den ersten Schritten der Initialisierung der digitalen Personalarbeit. Für jedes Unternehmen sind andere virtuelle Treffpunkte wichtig, wobei sich die Treffpunkte rasch verändern. In der Folge werden zwecks eines allgemeinen Überblicks vier allgemeingültige Interaktionsstellen beschrieben:

Facebook erlaubt es, soziale Netzwerke zu erstellen und zu betreiben. Jeder User hat wie in einem digitalen Buch eine Seite, die er gemäss seinen Bedürfnissen einsetzen kann, um seine Kontakte über sein Leben auf dem Laufenden zu halten. In die Netzwerke werden auch Unternehmen integriert. Unter­nehmen können sich über die Plattform ihren Stakeholdern präsentieren und in Kontakt mit diesen treten.

Twitter ist ein Mikroblogging-System, auf dem Nachrichten mit maximal 140 Zeichen veröffentlicht werden. Die Nutzer vernetzen sich, indem sie die Nachrichten anderer User abonnieren. Dadurch bilden sich überSelbst­organisation Netzwerke von Usern mit ähnlichen Interessen und Werten. Unternehmen haben einen Account, um Diskussionen zu verfolgen, aber auch um diese bewusst auszulösen oder zielführend zu moderieren.

Businessplattformen: Auf LinkedIn und Xing werden bestehende Geschäftskontakte dokumentiert und neue Kontakte geknüpft. Auf Businessplattformen werden Nutzer weiterempfohlen, Diskussionen geführt, Stellen ausgeschrieben und Anlässe vermarktet. Die Zukunft solcher Kompetenz-Plattformen wird über das heutige Archivieren von beruflichen Netzwerken weit hinausgehen und das gezielte Vermitteln von Wissensarbeit erlauben.

Corporate Blogs: Auf einem Blog halten Autoren Gedanken zu ihnen wichtigen Themen fest. Die Beiträge werden chronologisch aufgelistet und durch Links mit anderen Beiträgen vernetzt. Unternehmen können so Themen im virtuellen Raum besetzen und Zielgruppen direkt ansprechen. Über einen Blog können die Autoren und Leser Meinungen auf einfache Weise diskutieren und teilen. Heute sind Blogs oft mit anderen Social-Media-Plattformen verbunden.
Die Tabelle auf Seite 8 verknüpft die Aufgaben des digitalen HRM mit den porträtierten Interaktionsstellen. Es wird exemplarisch aufgezeigt, wie es den digitalen Raum nutzen kann, um seinen Auftrag zu erfüllen.

Das Fazit: ohne Aktivitäten im digitalen Raum kein Erfolg

Das Internet und mit ihm die sozialen Medien eröffnen neue Möglichkeiten und Notwendigkeiten für das HRM. Vernachlässigt es den virtuellen Raum, bleibt die Arbeit unvollständig. Im digitalen Raum darf das HRM die Aufmerksamkeit nicht nur auf die bestehenden und potenziellen Mitarbeitenden richten, denn auch Kunden und die kritischen Beobachtenden der breiten Öffentlichkeit besitzen Humankapital, das ein Unternehmen für die Produkt- und Unternehmensentwicklung nutzen kann. Die Bearbeitung beziehungsweise die Zivilisierung des virtuellen Raums erlaubt es Unternehmen, gezielter, das heisst effizienter und effektiver auf das Humankapital seiner Anspruchsgruppen zuzugreifen. Der Aufenthalt im virtuellen Raum ist aber nicht ungefährlich, weil die digitale Interaktion eine neue Offenheit verlangt und damit zu einer grösseren Verwundbarkeit führt. Zu den Gefahren gehören auch die re­lativ hohen zeitlichen Aufwände, die für das Pflegen sämtlicher Netzwerke nötig sind. Am gefährlichsten aber ist es, den virtuellen Raum zu ignorieren und so zu tun, als würde die organisationale Wirklichkeit vor den Toren des Internets enden.

Literatur
Beck, Christoph: Personalmarketing 2.0. (2007). Köln: Luchterhand.
Bernauer, Dominik; Hesse, Gero; Laick, Steffen & Bernd Schmitz: Social Media im Personalmarketing. (2010). Köln: Luchterhand.
Brafman, Ori & Beckström, Rod. A.: Der Seestern und die Spinne. (2007) Weinheim: Wiley.
Ambühl, Roger: Facebook-Marketing. (2011) Norderstedt: BoD.
Barabasi, Albert-Laszlo: Linked. (2009) New York: Penguin.
Cachelin, Joël-Luc: Management in der Multioptions­gesellschaft. (2009) Gabler: Wiesbaden.
Tapscott, Don & Williams, Anthony D.: Wikinomics: Die ­Revolution im Netz. (2009) Stuttgart: DTV.

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Joël Luc Cachelin inspiriert und begleitetet mit der Wissensfabrik Unternehmen in der digitalen Transformation. Er hat an der Universität St.Gallen BWL studiert und zur Zukunft des Managements doktoriert. 2016 schloss er an der HWZ Zürich das CAS Disruptive Technologies ab – zurzeit bildet er sich an der Universität Bern in angewandter Statistik weiter. Er hat mehrere Sachbücher über die Digitalisierung veröffentlicht. www.wissensfabrik.ch

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Roger Ambühl ist Geschäftsführer von 6 Grad, einer Social-Media-Agentur in Bern, welche sich auf die Analyse, Beratung und Programmierung in diesem Bereich spezialisiert hat.

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