Arbeit und Recht

Anweisungen vom Chef: Arbeitnehmer müssen nicht allem Folge leisten

Der Inhalt eines Arbeitsverhältnisses wird grundsätzlich in einem Vertrag festgelegt. So weit, so klar. In der Praxis enthält dieser jedoch oft nur die zentralen Eckpunkte, die für das Zustandekommen notwendig sind. Die Details werden mittels konkreter Weisungen vom Vorgesetzten festgelegt. Doch nicht alle Weisungen müssen auch befolgt werden.

Das Gesetz ermöglicht es dem Arbeitgeber gemäss Art. 321d OR, das Arbeitsverhältnis mittels konkreter Weisungen zu gestalten: Das heisst, er kann über Ausführung der Arbeit oder das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb allgemeine Anordnungen erlassen. Im Rahmen dieses Weisungsrechtes muss der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber Folge leisten. Dem sind jedoch Grenzen gesetzt: Der Arbeitgeber muss beim Erteilen der Weisungen Schranken beachten.

Erste Schranke: Die Weisungen des Arbeitgebers müssen sich innerhalb des arbeitsvertraglichen Pflichtenheftes bewegen. Weisungen, die den Arbeitsvertrag ändern, sind nicht zulässig. Eine Vertragsänderung ist nur im gegenseitigen Einverständnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber möglich. Beispiel: Der Chemiker ist für Forschungsaufgaben im Bereich der Medikamentenentwicklung angestellt. Er kann somit nicht mittels Weisung dazu verpflichtet werden, für seinen Vorgesetzten Briefe abzutippen.

Zweite Schranke: Die Weisungen des Arbeitgebers dürfen die Persönlichkeit des Arbeitnehmers nicht verletzen. Es darf gemäss einem Gerichtsurteil ein Boutiquebesitzer von einer Mitarbeiterin nicht verlangen, dass sie die Kundschaft in einer durchsichtigen Bluse bedient. Hingegen darf ein Arbeitgeber gewisse Kleidervorschriften mittels Weisungsrecht dann geltend machen, wenn er ein sachlich berechtigtes Interesse an dieser Weisung hat, wenn diese Weisung nicht persönlichkeitsverletzend ist und diese mit der beruflichen Tätigkeit der Angestellten zu tun hat. Beispiel: Eine Bank darf von ihren Angestellten verlangen, dass sie – sofern Kundenkontakt vorhanden ist – ein entsprechendes Outfit berücksichtigen (Krawatte für den Herrn, entsprechende Kleidung für die Dame).

Dritte Schranke: Schikaneverbot. Die Weisungen des Arbeitgebers dürfen keine schikanösen Gründe haben. Ein Arbeitgeber, der seinen Lageristen jeden Morgen verpflichtet, die entsprechenden Lagerbestände neu zu zählen, obwohl hierzu kein berechtigter Anlass besteht, verstösst gegen dieses Schikaneverbot. Eine solche Weisung muss der Arbeitnehmer nicht befolgen.

Vierte Schranke: Die Weisungen des Arbeitgebers dürfen nicht gegen das arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsprinzip verstossen. Wenn ein Abteilungsleiter für die betriebsinterne Organisation in einem Umzugsunternehmen verantwortlich ist, darf er nicht immer den gleichen Angestellten verpflichten, die schwersten Gegenstände zu transportieren. Diese Weisung würde gegen das arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsprinzip verstossen und müsste somit nicht befolgt werden.

Fünfte Schranke: Das Weisungsrecht des 
Arbeitgebers ist gegenüber jenen Arbeitnehmern, die über ein spezielles Fachwissen verfügen, eingeschränkt. Es ist somit nicht möglich, dass ein Spitaldirektor dem Chefarzt Anweisungen für die Ausübung seiner ärztlichen Tätigkeit gibt. Hierzu fehlen ihm die notwendigen speziellen Fachkenntnisse. Dies gilt auch dann, wenn der Spitaldirektor organisatorisch gegenüber dem Chefarzt eine 
Vorgesetztenstellung einnimmt. Solche Beschränkungen bestehen auch für künstlerische, wissenschaftliche, erzieherische und publizistische Tätigkeiten. Man spricht in diesem Zusammenhang von fachlich weisungsfreien Arbeitnehmern. Im Weiteren ist Zurückhaltung gegenüber Arbeitnehmern in leitender Stellung geboten. Zur sinnvollen Erfüllung ihrer Aufgabe benötigen sie ein gewisses Mass an Selbständigkeit, wofür sie entsprechende Eigenverantwortung zu übernehmen haben.

Sechste Schranke: Die Weisungen dürfen die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht beeinträchtigen. Somit ist es nicht statthaft, dass ein Arbeitgeber vom Arbeitnehmer 
verlangt, mit veralteten, gesundheitsgefährdenden Arbeitsutensilien zu arbeiten. So ist es auch nicht statthaft, dass ein Arbeitgeber vom Arbeitnehmer verlangt, dass er in Folge einer akuten Knappheit von Baumaschinen eine Arbeit mit einer alten Maschine verrichten muss, die dermassen laut ist, dass der Arbeitnehmer nach einer Stunde über starke Kopfschmerzen klagt.   

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Text: Edi Class

Prof. Dr. Edi Class ist 
Rechtsanwalt und Konsulent bei der Kanzlei Bratschi, Wiederkehr & Buob Rechtsanwälte.
 

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