Arbeitsrecht

Betriebsübernahme aus einem Konkurs

Ins Zentrum des Interesses gerückt ist OR 333 über die Betriebsübernahme im Zusammenhang mit der Frage seiner Anwendbarkeit in Sanierungssituationen von Unternehmungen, insbesondere im Nachlass- und Konkursverfahren.

Uneinigkeit besteht darüber, ob überhaupt und wenn ja in welchen Fällen von einer Anwendung von OR 333 beziehungsweise von der Solidarhaftung gemäss Absatz 3 abgesehen werden kann.

Klarheit schafft nun ein Bundesgerichtsentscheid (Nr. 4C.316/2002 vom 25. März 2003) zumindest in einem Punkt: der Erwerber eines Betriebes haftet nicht solidarisch für die vor der Konkurseröffnung des bisherigen Arbeitgebers fällig gewordenen Lohnforderungen des Arbeitnehmers, wenn der Betrieb aus der Konkursmasse übernommen worden ist.

Sachverhalt

Über eine Metallbau-Einzelfirma wurde der Konkurs eröffnet. Deren Inventar wurde von einer Metallbau-GmbH zwecks Fortführung der Betriebstätigkeit aus der Konkursmasse zunächst in Miete übernommen, später jedoch käuflich erworben. Im Zusammenhang mit dem Konkurs der Einzelfirma bezahlte die öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn den Mitarbeitern rund 80'000 Franken Insolvenzentschädigung für fällige Lohnforderungen. Daraufhin klagte die Kasse gegen die Metallbau-GmbH, da sie der Auffassung war, diese hafte als Übernehmerin nach OR 333/3 mit dem bisherigen Arbeitgeber solidarisch für die vor der Übernahme des Betriebes verfallenen Lohnforderungen.

Erwägungen des Bundesgerichts

Bedeutung erlangt hat die Frage der Solidarhaftung von Betriebsveräusserer und Betriebserwerber bei einer Betriebsübernahme aus einem Konkurs mit der Revision 1993, da seither der Übernehmer den Übergang nicht mehr ablehnen kann. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat sich bisher nicht zu dieser strittigen Frage geäussert.

Aufgrund der relativ zwingenden Natur von OR 333/3 ist es nicht möglich, diese Haftung in einer Vereinbarung zwischen den Arbeitnehmern und dem Erwerber auszuschliessen.

In der Lehre ist weitgehend unbestritten, dass aus dem Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung für den Konkursfall nicht auf die Solidarhaftung im Konkurs geschlossen werden kann.

Die Solidarhaftung des Erwerbers eines Betriebes aus einer Konkursmasse im Sinne von OR 333/3 würde gemäss Bundesgericht dazu führen, dass Betriebsübernahmen je nach Zusammensetzung der Gläubigerversammlung und dem Verhältnis des Wertes der Betriebsaktiven zum Betrag der offenen Lohnforderungen scheitern könnten oder gar von vornherein zum Scheitern verurteilt wären. Insbesondere in Fällen, in denen der Fortführungswert des Betriebes aus Sicht des Erwerbers nicht zur Deckung der offenen Lohnforderungen ausreicht und eine Solidarhaftung den übernommenen Arbeitnehmern erhebliche Vorteile bringen könnte, würde eine Übernahme kaum je zustande kommen. Der mit der Revision 1993 angestrebte Zweck der Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes würde daher in den meisten Fällen in sein Gegenteil verkehrt, wenn OR 333/3 auch in Konkursfällen angewendet würde.

Das Bundesgericht widerlegt die Befürchtung, die Träger des alten Betriebes könnten Lohnforderungen bei Ausschluss der Haftung nach OR 333/3 missbräuchlich auf die Arbeitslosenversicherung abwälzen, indem sie ihren Betrieb über eine Auffanggesellschaft aus der Konkursmasse erwerben. Wenn Übernahmen von konkursiten Betrieben nicht erschwert werden und die Entstehung von Arbeitslosigkeit verhindert werden kann, trägt dies zur Entlastung der Arbeitslosenversicherung bei. Zudem sind die auf die Arbeitslosenkasse übergegangenen Lohnforderungen im Konkurs als Erstklassforderungen privilegiert.

Die Arbeitslosenkasse kann sich daher in allen Fällen, in denen der Erlös aus den Betriebsaktiven zur Deckung sämtlicher Arbeitnehmerforderungen ausreicht, vollständig schadlos halten. Gegen eine Missbrauchsgefahr spricht auch, dass eine Auffanggesellschaft im Konkursverfahren lediglich die Möglichkeit hat, eine Übernahmeofferte zu unterbreiten. Ob diese angenommen und der Betrieb entsprechend übertragen wird, entscheidet nicht sie, sondern die Konkursverwaltung bzw. die Gläubigerversammlung. Die befürchtete Gefahr einer «Sozialisierung» von Lohnkosten besteht von vornherein nur in Fällen, in denen der Erlös aus den Betriebsaktiven nicht zur Deckung der offenen Lohnforderungen der übernommenen Arbeitnehmer ausreicht. Die Missbrauchsgefahr könnte zwar durch eine Solidarhaftung gebannt werden, dies würde aber bewirken, dass bei solchen Konstellationen sämtliche Übernahmen zum Scheitern verurteilt wären, unabhängig davon, ob ein Missbrauchsfall vorliegt.

Für eine Nichtanwendung von OR 333/3 im Konkursfall spricht auch eine europarechtskonforme Auslegung der Bestimmung. Das Recht der EU hat zwar keine unmittelbaren verbindlichen Auswirkungen auf das schweizerische Recht, ist jedoch als Auslegungshilfe beizuziehen.

Schliesslich ist einer entsprechenden Auslegung auch deshalb der Vorzug zu geben, weil Bestrebungen zu einer Reform von OR 333/3 im Gange sind, die nach ihrem gegenwärtigen Stand in dieselbe Richtung weisen: Die Rechtskommission des Nationalrates hat am 15. November 1999 einen Gesetzesentwurf gutgeheissen, wonach die solidarische Haftung nach OR 333/3 nicht greifen soll, wenn der Betrieb aus einem Konkurs übernommen wird. Die Sache liegt zur Zeit immer noch beim Bundesrat.

Kommentar

Vor allem bei höheren Lohnausständen kann es sich aufgrund der neusten Rechtsprechung empfehlen, eine allfällige Betriebsübernahme erst nach erfolgter Konkurseröffnung vorzunehmen.

Weitere Informationen zum Betriebsübergang finden Sie im «Handbuch des Arbeitgebers» im Kapitel IV-6. Vgl. auch Publikation «Arbeitsrecht» Nr. 34 Oktober 2001.

  • Dieser Text entstammt der Publikation «Arbeitsrecht» Nr. 54 des Centre Patronal.
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Peter Schüpbach, lic. iur., ist verantwortlicher Redaktor der Publikation «Arbeitsrecht» des Centre Patronal.