Praxisbeispiel

Code of Conduct: Mehr als ein Stück totes Papier

Spätestens seit der Finanzkrise entwickeln immer mehr Firmen Verhaltenskodizes, um sich auf klare Regeln zu verständigen und so die Reputation und die Integrität ihres Unternehmens zu schützen. Aber wie macht man das, wenn man nicht will, dass dabei nur ein totes Stück Papier herauskommt?

Wie gewinnt man die Herzen und Köpfe seiner Mitarbeitenden für eine nachhaltige Umsetzung der in einem Code of Conduct verankerten Werte und Regeln? Wie befähigt man die Führungskräfte, ihrer Rolle als Vorbild glaubwürdig und überzeugend gerecht zu werden? Ist es sinnvoll, einen Code of Conduct einzuführen, wenn das betroffene Unternehmen sich gerade in einer Umbruchsphase befindet?

Auf diesen Fragen musste der Medienvermarkter PubliGroupe überzeugende und praktikable Antworten finden, als eine Analyse des Risikomanagements der Wirtschaftsprüfer gezeigt hatte, dass das Unternehmen einen Code of Conduct brauchte. Der Bereich HR erhielt den Auftrag ein solches Dokument zu entwickeln. Doch dort wollte man mehr erreichen als nur ein neues Regelwerk zu schreiben, man wollte einen kulturellen Wandel, der helfen sollte, die aktuellen Unternehmensherausforderungen zu meistern. Deshalb sollte der Code in ein Statement zu den Unternehmenswerten eingebettet werden und nicht nur aus einer Liste an Verboten bestehen.

Partizipative Mitarbeiterworkshops

Ausserdem wollte man die Mitarbeiter nicht einfach mit einem neuen Regelkatalog überraschen, sondern sie für mehr eigenverantwortliches Handeln und Entscheiden gewinnen. Deshalb entschloss man sich, die Inhalte des Code of Conduct in partizipativen Mitarbeiterworkshops herauszuarbeiten. So konnte man den Praxisbezug des Codes gewährleisten und die Mitarbeiter von Anfang an einbinden.

Dieses Vorgehen war nicht ohne Risiko: Wie viele Medienunternehmen durchlief auch die PubliGroupe in den letzten Jahren Zeiten des Umbruchs mit vielen Herausforderungen. Häufig schrecken Firmen davor zurück, in wirtschaftlich angespannten Zeiten, in denen zudem Personal abgebaut wird, einen Kommunikationsprozess über die Werte und Regeln des Unternehmens zu initiieren.

PubliGroupe sah diese Herausforderung als Chance. Gerade in Zeiten des Umbruchs kann es sinnvoll und nützlich sein, wenn sich Mitarbeiter mit den gemeinsamen Werten und Regeln des Unternehmens auseinandersetzen. Im Falle von PubliGroupe musste sich die alte Unternehmenskultur eines etablierten Marktführers an die neuen dynamischen Entwicklungen des Marktes und der neuen Technologien anpassen.

Zentrale Leitwerte

Die Teilnahme an der Workshopserie war freiwillig und die aktuellen Herausforderungen des Unternehmens wurden offen angesprochen. Diese Offenheit wurde von den Teilnehmern der Workshops positiv aufgenommen und es wurde sehr schnell klar, dass es ein grosses Bedürfnis gab, darüber zu reden, was eigentlich die Werte und Regeln waren, für die die neue PubliGroupe stehen sollte.

In einem moderierten Dialog wurden die folgenden drei zentralen Leitwerte herausgearbeitet:

  • Kunden- und Serviceorientierung
  • Unternehmergeist und Intrapreneurship
  • Transparenz und Integrität

Diese Selbstvergewisserung auf gemeinsame Grundwerte gab den Mitarbeitern Orientierung und Sicherheit in einem Alltag, der von Veränderung und Dynamik geprägt ist. So erwies sich der Code of Conduct schon in der Entwicklungsphase als nützliches Element für die Umsetzung der Unternehmensstrategie.

Anschauliche Praxisbeispiele

Im zweiten Teil der Workshops ging es um die ethischen Dilemmasituationen im Arbeitsalltag. Hier kam ein Simulationsspiel zum Einsatz, in dem die Teilnehmer konkrete Fallbeispiele von heiklen Entscheidungssituationen diskutierten. Es ging um Führungsverhalten, Annahme von Geschenken, Insider-Trading oder Mobbing. In Kleingruppen besprachen die Teilnehmer diverse Fälle. Die offene und partizipative Methodik der Workshops hat bei den Mitarbeitern Vertrauen geschaffen und ihnen die Zuversicht auf einen nachhaltigen Wandel der Unternehmenskultur vermittelt.

Durch den spielerischen Ansatz erzielte man einen hohen Grad an Engagement der Teilnehmer und gewann Informationen über die konkreten Dilemmasituationen in deren Arbeitsalltag. Durch die intensive und interaktive Auseinandersetzung mit praxisnahen Beispielen fielen den Teilnehmern automatisch eigene Dilemmafälle ein, die sie selbst erlebt oder beobachtet hatten. Diese authentischen Fälle wurden gesammelt und ergaben einen Überblick über die bestehenden Integritätsrisiken und ethischen Grauzonen im Unternehmen.

So konnte man zum Beispiel feststellen, dass die Mitarbeiter verlässlichere Regeln in Bezug auf Einladungen und Geschenke brauchten. Diese Informationen wurden für die Entwicklung des Textes des Code of Conduct genutzt. Dadurch reflektieren die Themen und Regeln des Codes die Unternehmensrealität. Statt der üblichen Standardthemen, die man häufig in austauschbaren Formulierungen in vielen Codes of Conducts findet, konnten so Themen identifiziert werden, die für PubliGroupe spezifisch sind.

Die einzelnen Verhaltensrichtlinien des Codes wurden zudem mit praktischen Fallbeispielen, die man in den Workshops gefunden hatte, illustriert. Wenn es etwa im Code um die Vermeidung von Interessenkonflikten geht, findet der Mitarbeiter diesen Fall: «Während eines Vergabeverfahrens ist die mit der Auswahl betraute Mitarbeiterin mit dem Geschäftsführer eines der Bieterunternehmen verwandt.  Was soll sie tun?»

Wenn nun eine Mitarbeiterin herausfinden will, was die vom Unternehmen erwarteten Antworten auf derartige Dilemmafälle sind, absolviert sie das E-learning-Programm zum Code. Auch hier werden die Teilnehmer mit konkreten Fallbeispielen konfrontiert (vgl. Bild), sie müssen sich für eine vorformulierte Antwort entscheiden und erhalten Hintergrundinformationen und Hilfestellungen zu deren Lösung. In den Lösungen wird dann auch wieder Bezug auf die Unternehmenswerte genommen. Im obigen Fall etwa ist, klar, dass die verwandtschaftliche Beziehung der Mitarbeiterin aufgrund der PubliGroupe-Werte «Transparenz und Integrität» offengelegt werden und die Mitarbeiterin aus dem Vergabeprozess aussteigen muss.

Compliance Officer und Helpline

Um den Code of Conduct über das Training hinaus nachhaltig in der Organisation zu verankern, wurde ein Compliance Officer ernannt, ein Berichtswesen aufgebaut und eine externe Helpline (whistleblowing) eingerichtet. Es wurden Fragen zum Code of Conduct in die Mitarbeiterbefragung und in die 360-Grad-Beurteilung der Führungskräfte integriert.

Seit seiner Einführung wird der Code of Conduct bei PubliGroupe als sehr positiv empfunden: Er dient als übergeordnetes Regelwerk, schafft Klarheit und hat das Unternehmen dazu motiviert, sich als verantwortungsbewussten Arbeitgeber zu positionieren. Durch die tragende Rolle des HR Bereichs in dem gesamten Projekt, wurde zudem dessen Position und im Unternehmen gestärkt. Für Brigitte Schleipen, Head of HR, ist klar: «Der Code of Conduct hat uns geholfen, einen kulturellen Wandel zu initiieren.»

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Bettina Palazzo arbeitet seit über 20 Jahren im Bereich Unternehmensethik und Corporate Social Responsibility (CSR). Als Beraterin unterstützt sie Unternehmen u.a. bei der Entwicklung und Umsetzung eines nachhaltigen Werte- und Compliance Managements. Dabei geht es ihr besonders darum, die Grauzone ethischer Dilemmasituationen in den Griff zu bekommen und für die psychologischen Einflussfaktoren unethischen Handelns zu sensibilisieren. Neben ihrer Beratungstätigkeit unterrichtet sie an verschiedenen Schweizer Universitäten. www.palazzo-palazzo.com

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