Dank der Akademisierung entwickelt sich die Pflege weiter
Im Frühjahr verlassen die ersten Pflegefachleute mit Masterabschluss die Schweizer Fachhochschulen. Wie sieht ihre künftige Rolle im Spital, im Pflegeheim oder in der Spitex aus? Fachleute aus der Praxis sind sich einig: Die medizinische Entwicklung bringt neue Herausforderungen – hochqualifizierte Pflegefachleute übernehmen wichtige neue Aufgaben.
Seit 2006 kann Pflege an der Fachhochschule studiert werden. Bereits sind mehrere Jahrgänge von Pflegefachleuten mit Bachelorabschluss (BSc) im Beruf tätig. Sie bereichern die Pflegepraxis durch ihr umfassendes klinisches Wissen sowie ihre wissenschaftlich fundierten Kenntnisse.
Der Entscheid, ein anschliessendes (konsekutives) Masterstudium (MSc) Pflege anzubieten, wurde anfangs zum Teil kritisiert. Im Frühjahr schliessen die Absolvierenden des ersten Masterstudiengangs an der Berner Fachhochschule ab. Ist der Markt bereit für diese hochqualifizierten Pflegefachleute?
Es werden bereits Pflegende mit Masterabschluss gesucht
Schon heute werden Stellen explizit für Pflegefachpersonen mit Masterabschluss ausgeschrieben. Bisher wurden diese oft aus dem benachbarten Ausland rekrutiert – dank Schweizer Masterstudium werden wir künftig mehr hochqualifizierte Pflegefachleute haben, die mit unserer Kultur und dem Schweizer Gesundheitswesen bestens vertraut sind.
Die St. Galler Regierungsrätin Heidi Hanselmann begrüsst die Möglichkeit, dass Pflegewissenschaft mit Master und auch Doktorat abgeschlossen werden kann. «Es braucht die unterschiedlichen Ausbildungsmöglichkeiten von einer dreijährigen Ausbildung bis hin zum Studienabschluss im Bereich der Pflege. Es sind ergänzende Ausbildungen und nicht konkurrenzierende», so Hanselmann, die sich schweizweit als Gesundheitspolitikerin profiliert hat.
Im Universitätsspital Basel gibt es zurzeit 15 Fachleute, die einen Masterabschluss in Pflege haben respektive ihn berufsbegleitend erwerben. Ulrich von Allmen, Direktor Pflege am Berner Inselspital, ist überzeugt, «dass wir vermehrt Masterabsolvierende brauchen – um die Probleme der Zukunft anzugehen». Gemäss von Allmen bringen Pflegefachleute mit akademischem Abschluss auf die Dauer mehr: «Sie managen komplexe Pflegesituationen, haben eine längere Berufsverweildauer und bringen die Voraussetzung mit, Führungsverantwortung zu übernehmen.»
Eduard Haeni von der Pflegeheimgruppe Senevita AG differenziert: «Im Akutspital haben technische Aspekte der Krankenpflege stark an Bedeutung gewonnen – hier braucht es eher akademisch ausgebildetes Pflegepersonal. In der Langzeitpflege ist die Beziehung zur Bewohnerin, zum Bewohner sehr wichtig – Empathie und Sozialkompetenz lernt man nicht an der Hochschule. Wir brauchen Pflegefachleute mit unterschiedlichstem Ausbildungsstand – jede und jeder am richtigen Ort mit den entsprechenden Aufgaben.» Der Leiter Betriebe bei Senevita sieht Pflegefachleute mit MSc auch als Führungskräfte oder als gezielte Entlastung von Medizinern.
Neue Schlüsselrollen in Managed-Care-Organisationen
Wie stehen Ärzte dazu, dass Pflegefachleute mit Masterabschluss gewisse ihrer Aufgaben übernehmen? «Tendenziell brauchen wir in der Pflege künftig mehr Fachleute, gerade auch bestausgebildete Pflegefachleute», sagt Jacques de Haller, FMH-Präsident. «In Zeiten zunehmenden Ärztemangels könnten hochqualifizierte Pflegefachleute neue Aufgaben und Verantwortung übernehmen. Im Rahmen von Managed-Care-Organisationen ist vorgesehen, dass Pflegefachleute mit entsprechender Ausbildung mehr Kompetenzen erhalten können.»
Zwar gebe es Ärztinnen und Ärzte, welche die Akademisierung der Pflege mit gemischten Gefühlen verfolgen, so de Haller. «Wenn wir gemeinsam die Rollen und somit auch das Selbstverständnis von Ärzten und anderen Gesundheitsfachleuten klären, werden sich die Vorbehalte vermindern und letztlich können alle profitieren.»
Marc Müller, Präsident des Berufsverbands Hausärzte Schweiz, ergänzt: «Jeder Beruf, der sich weiterentwickeln will, braucht auch eine Berufsgruppe, die diese Entwicklung akademisch erforscht, plant und begleitet. In diesem Sinn ist eine Akademisierung der Pflegeberufe zu begrüssen.» Vordringliches Ziel muss laut Müller aber sein, dadurch die Attraktivität des Pflegeberufes zu steigern – auf allen Niveaus.
Mehr Aufstiegschancen – mehr Interesse am Pflegeberuf
Die Option, einen Bachelor oder Master zu erwerben, hat den Pflegeberuf attraktiver -gemacht. Auch die neuen Ausbildungen auf Niveau Berufslehre und Attestausbildung (Fachangestellte/r Gesundheit respektive Assistent/in Gesundheit und Soziales) haben die Pflege bei jungen Menschen zur interessanten Berufsoption gemacht. Während oder nach der Lehre die Berufsmatura absolvieren, anschliessend an der Fachhochschule studieren – eventuell gar mit angewandter Forschung den Beruf aktiv weiterentwickeln: Solche Aussichten erhöhen die Attraktivität des Pflegeberufs deutlich. Ein wichtiges Argument – gerade in Zeiten akuten Mangels an Pflegefachpersonal auf allen Stufen.
Auf die ersten Absolvierenden des Masterstudiums an der Fachhochschule warten also verschiedene spannende Aufgaben. Die aktuellen Entwicklungen in der Medizin, insbesondere die integrierte Versorgung, werden den Bedarf an hochqualifizierten Pflegefachleuten weiter ansteigen lassen.