Im Gespräch

Das vergessene Alter

Das betriebliche Altersmanagement wird in vielen Unternehmen vernachlässigt und auch das Thema Gleichberechtigung wird 
vor allem für junge Frauen diskutiert. Dabei nimmt die Zahl 
von älteren Mitarbeiterinnen in den Firmen zu. Eine Forschungsgruppe der Universität Lausanne hat untersucht, warum 
Frauen in der zweiten Karrierehälfte gegenüber Männern oft benachteiligt sind.

Prognosen weisen darauf hin, dass bis 2060 zwischen 20 und 25 Prozent der aktiven Arbeitsbevölkerung etwa 55 Jahre oder älter sein werden (siehe Grafik 1). Die Schweiz ist den meisten ihrer europäischen Nachbarn hinsichtlich der Beschäftigung von Seniorinnen und Senioren1 bereits voraus (siehe Tabelle 1). Mit einer Beschäftigungsrate von 70,5 Prozent bei den 55- bis 64-Jährigen zählt sie zu den wenigen Ländern, in denen die Mehrzahl der Beschäftigten bis zum gesetzlichen Rentenalter im Beruf bleibt.

Obwohl immer noch doppelt so viele Männer wie Frauen über das gesetzliche Rentenalter hinaus berufstätig sind, ist der derzeitige Aufwärtstrend bei der Beschäftigung Älterer hauptsächlich auf den Anstieg der weiblichen Erwerbsquote zurückzuführen. Dieser ist besonders in der Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen ausgeprägt, wo der Anteil der Frauen auf dem Arbeitsmarkt von 55 Prozent im Jahr 1991 auf 72 Prozent im Jahr 2010 gestiegen ist.

Zwar werden in der Schweiz immer mehr ältere Arbeitnehmer beschäftigt – dabei werden hierzulande jedoch spezifische Eigenarten bewahrt. 2010 war bei den Älteren der Anteil der Selbständigen doppelt so hoch wie in den übrigen Altersklassen (siehe Grafik 2). Ausserdem ist diese Altersgruppe proportional betrachtet häufiger in Teilzeit beschäftigt (39,2 Prozent gegenüber 33,2 bei den Jüngeren). Das gilt sowohl für die Männer als auch für die Frauen.

Gleichstellung bei älteren Arbeitnehmenden

Vor diesem Hintergrund – und unter dem Einfluss des «Europäischen Jahres für aktives Altern2» im Jahr 2012 – hat eine Forschungsgruppe des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Universität Lausanne eine Umfrage zum Thema Gleichstellung in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens durchgeführt. Das Projekt Egalise behandelt die Aspekte des aktiven Alterns unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten. Es ist Teil des Nationalen Forschungsprogramms «Gleichstellung der Geschlechter» (NFP 60). In Zusammenarbeit mit vier grossen schweizerischen Unternehmen aus drei verschiedenen Tätigkeitsbereichen (Handel, Gesundheit, Verkehr) untersuchte das Projekt folgende Hypothese: «Aufgrund ihres unterschiedlichen Werdegangs sind Mann und Frau in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens nicht gleichgestellt.»

Das Projekt Egalise hat analysiert, was ältere Erwerbstätige daran hindert, sich auf dem Arbeitsmarkt zu entfalten, und welche Faktoren in der zweiten Karrierehälfte erneut dazu führen können, dass Frauen ungleich behandelt werden.

Auf europäischer Ebene werden eine Reihe von Massnahmen gefordert, die ältere Arbeitnehmer länger im Erwerbsleben halten sollen. Gemäss diesen Forderungen versuchen auch die schweizerischen Behörden, den Austritt aus dem Arbeitsmarkt nach hinten zu verschieben (wie die jüngsten Revisionen der AHV, der Arbeitslosenversicherung, der Invalidenversicherung und der beruflichen Vorsorge zeigen).

Es gibt jedoch auf europäischer Ebene in der allgemeinen Politik des «aktiven Alterns» weitere Themen, die in der Schweiz bislang noch wenig umgesetzt werden. Dabei handelt es sich um die Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund des Alters, die Förderung des lebenslangen Lernens und die Anpassung der Arbeitsplätze an die Bedürfnisse älterer Erwerbstätiger. Dass solche Massnahmen fehlen, ist für diese Mitarbeitergruppe besonders schädlich.

Durch die schnelle Entwicklung des Rentensystems verändert sich auch das Verhalten älterer Arbeitnehmer. Die Unternehmen sehen sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert.

Das Interesse, das die öffentlichen Behörden für das «aktive Altern» hegen, scheinen Verantwortliche des Personalmanagements kaum zu teilen. Noch bis vor kurzem beschränkte sich das «Altersmanagement» auf flankierende Massnahmen für den vorzeitigen Ausstieg aus dem Berufsleben. Die meisten der von grossen Unternehmen eingeführten Massnahmen zielten faktisch darauf, den Übergang zur Rente zu gestalten und die Arbeitszeit in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens progressiv zu reduzieren. Überdies richteten sich diese Massnahmen vorrangig an höher Qualifizierte in Leitungsfunktionen mit der Aussicht auf eine relativ üppige Rente. Mindestens bis 2008 erhöhte eine hohe Qualifizierung die Wahrscheinlichkeit einer Frühpensionierung (BFS, 2012). Paradoxerweise konnten Unternehmen ihr Führungspersonal lange dadurch an sich binden, dass sie ihnen die Frühpensionierung versprachen …

Vor allem Frauen sind betroffen

Der zunehmende Wechsel von einem Beruf, Unternehmen oder Beschäftigungsstatus zum nächsten, verbunden mit den finanziellen Nachteilen eines verfrühten Ausscheidens aus dem Arbeitsmarkt, bewirkt, dass sich das Erwerbsleben effektiv verlängert. Selbst ältere Arbeitnehmende, die unter arbeitsbedingten Verschleisserscheinungen leiden, können nicht mehr freiwillig ausscheiden. In manchen Fällen müssen sie die Schädigung ihrer Gesundheit in Kauf nehmen, um weiter arbeiten zu können. Zudem treiben die Berechnungsmodalitäten der Renten die älteren Arbeitnehmenden dazu, ihre Arbeitszeiten eher auszuweiten als zu verringern, was insbesondere für Frauen gilt, die zuvor in Teilzeit beschäftigt waren.

Trotzdem handeln die meisten grösseren Unternehmen in Sachen «aktives Altern» äusserst ambivalent, was sich – abgesehen von Vorruhestandsmassnahmen – anhand relativ zaghafter Investitionen in das «betriebliche Altersmanagement» äussert. Feldstudien haben gezeigt, dass Alter weiterhin mit Verschleiss, Veralterung oder Kompetenzverlust assoziiert wird und nicht mit wertvollen Erfahrungen, die an Jüngere weitergegeben werden können.  Aus diesem Grund werden über 50-Jährige von Schweizer Unternehmen nie bevorzugt rekrutiert oder ihr Verbleib in der Firma gefördert.

In der Schweiz steigen vermehrt Frauen in der zweiten Karrierehälfte wieder ins Berufsleben ein. Da ihre erste Hälfte des Erwerbslebens häufiger durch Unterbrechungen oder Teilzeitarbeit gekennzeichnet ist, sind sie hinsichtlich der zweiten und dritten Säule besonders benachteiligt (siehe Grafik 3). Ab einem Alter von 50 Jahren geraten sie unter starken Druck, weiter oder sogar mehr zu arbeiten, obwohl potenziell neue familiäre Belastungen auf sie zukommen (Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger, «aushilfsweise» oder regelmässige Betreuung von Enkelkindern etc.) und die Hausarbeit meist weiter ungleich verteilt ist. Dieser Druck ist besonders ausgeprägt bei Frauen, deren Ehe in die Brüche gegangen ist, nachdem sie sich jahrelang vorwiegend um die Familie gekümmert haben.

Trotz der zunehmenden Präsenz älterer Arbeitnehmerinnen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt werden diese von der Gleichstellungspolitik vieler schweizerischer Unternehmen nicht berücksichtigt. Diese neigen dazu, Massnahmen zugunsten der Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben auf die Geburts- und Kleinkindphase zuzuschneiden und die berufliche Förderung von Frauen mit Studienabschluss auf unter 40-Jährige zu beschränken. Die zweite Hälfte des Erwerbslebens bleibt dabei vollkommen aussen vor, und geringqualifizierte Frauen werden nur selten berücksichtigt.

Lösungsvorschläge von Egalise

Folgende zwei Lösungsansätze stehen im Mittelpunkt von Egalise: Einerseits wird das Konzept der linearen und dreiphasigen Laufbahnentwicklung (Ausbildung – Arbeit – Rente) in Frage gestellt, das auf einem Modell beruht, das heute der Situation der meisten Männer nicht mehr entspricht und derjenigen der meisten Frauen noch nie entsprochen hat.

Andererseits wird gefordert, den Bereich der Weiterbildung tiefgreifend zu erneuern. Die Weiterbildung ist ein Instrument, das sich im Altersmanagement hervorragend nutzen liesse, sofern es die erworbenen Kompetenzen der älteren Arbeitnehmenden berücksichtigt und sinnvoll ergänzt. Dazu zählt auch die altersgerechte Anpassung der Arbeitsumgebung. Nur unter diesen Voraussetzungen und mittels besserer Verzahnung von Altersmanagementansätzen und Massnahmen zur Gleichstellungsförderung können die Unternehmen sicherstellen, dass ihre Reaktionen auf die politischen Vorgaben im Bereich des «aktiven Alterns» nicht die Geschlechterungleichheit verschärfen.

Autoren: Nicky Le Feuvre, Morgane Kuehni, Magdalena Rosende, Céline Schoeni

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Nicky Le Feuvre ist Professorin am Sozialwissenschaftlichen Institut der Universität Lausanne.

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