Coaching

Das virtuelle Coaching schliesst 
eine strategische PE-Lücke

Für untere Führungskräfte fehlen oft passende PE-Produkte. Denn Präsenz-Coaching ist manchen Firmen 
zu teuer, Trainings dagegen führen zu höheren Arbeitsausfallzeiten. Hier kann das virtuelle Coaching einen 
Beitrag leisten: ein Telefoncoaching mit Trainingselementen, ergänzt durch die Möglichkeiten des Internets.  

Coaching – als Präsenzformat – ist das Deluxe-Produkt der Personalentwicklung: Unter vier Augen und mit Verschwiegenheitszusicherung bespricht ein Coach mit dem Klienten, was diesen bedrückt beziehungsweise herausfordert, und entwickelt mit ihm eine massgeschneiderte Lösung, deren Umsetzung durch ein anschliessendes Individualtraining sorgfältig unterstützt wird. – Und das hat seinen Preis: Laut einer Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften(1) dauert ein durchschnittliches Coaching acht Sitzungen à 82 Minuten und kostet 203 Franken pro Stunde, also 2219 Franken insgesamt. Bei zwölf Coaching-Prozessen verdienten die Coachs 2010 also durchschnittlich rund 26 628 Franken.

Unvergleichlich niedriger hingegen sind die Kosten für Trainings, das wichtigste Konkurrenz-Produkt zum Coaching: Geht man zum Beispiel von einem dreitägigen Training für 15 Trainees und einem Trainer-Honorar von rund 4500 Franken aus, bedeutet das, dass die Trainingsmassnahme pro Trainee 300 Franken kostet. Rechnet man hierzu noch Hotel- und Anreisekosten in Höhe von rund 200 Franken pro Person hinzu, ist Coaching sieben Mal so teuer wie ein dreitägiges Training.

Eine Neubewertung des Portfolios 
betrieblicher Weiterbildung wird nötig

Diese grosse Kostendifferenz erklärt erstens, warum das Budget für Coaching in den meisten Unternehmen sehr viel kleiner ist als dasjenige für Training, und zweitens, warum Coaching relativ grosszügig mittleren und vor allem oberen Führungskräften, sehr viel selektiver hingegen unteren Führungskräften und Fachkräften angeboten wird.

Eine solche Betrachtung ist natürlich einseitig, solange nur auf die Kosten geschaut und nicht gleichzeitig auch der Nutzen berücksichtigt wird. Dieser aber ist bekanntlich äusserst schwer zu kalkulieren. Aus diesem Grund orientieren sich Unternehmen vorrangig an den Kosten. Aber zumindest eines kann bei einem Nutzenvergleich festgestellt werden, nämlich dass die Wirksamkeit von Trainings vergleichsweise sehr niedrig ist. So vermuten Praktiker, dass nur 10 bis 20 Prozent von dem, was in Verhaltenstrainings tatsächlich gelernt wurde, längerfristig am Arbeitsplatz angewendet wird. Bei Coaching hingegen dürfte der Nachhaltigkeitsfaktor bei 60 bis 80 Prozent liegen. Dafür sprechen zwei Gründe: Coaching kann als eine 1:1-Massnahme sehr viel genauer den Lern- und Entwicklungsbedarf des Einzelnen treffen. Hinzu kommt der Vorteil des zeitlichen Settings, dass Coaching viele Sitzungen umfasst und sich über einen Zeitraum von sechs bis neun Monaten erstreckt. Es ist deshalb möglich, immer wieder sorgfältig zu besprechen, wie gut die praktische Umsetzung der erarbeiteten Problemlösungsaktivitäten gelungen ist.

Zu diesem Nutzenvorteil von Coaching kommen noch zwei weitere Argumente hinzu. Das erste und wichtigste ist, dass obere und teilweise auch mittlere Führungskräfte schwer zu motivieren sind, an Trainings teilzunehmen, sodass die Personalentwicklung froh ist, mit Coaching endlich ein Weiterbildungsformat anbieten zu können, das von dieser Zielgruppe angenommen wird. Hinzu kommt zweitens, dass die Qualitätssteigerung der Humanressourcen bei oberen Führungskräften eine deutlich grössere Hebelwirkung hat als bei unteren Führungskräften, sodass die Kosten-Nutzen-Relation von Coaching bei oberen Führungskräften deutlich besser ist als bei unteren Führungskräften.

Diese Überlegung lenkt den Blick auf eine Entwicklung, die sich in den letzten drei Jahrzehnten weltweit in allen Industrieländern vollzogen hat und noch keineswegs abgeschlossen ist: nämlich die tiefgreifende Rationalisierung aller Wertschöpfungsprozesse und die damit verbundene Arbeitsverdichtung und Wertsteigerung der Arbeitskraft. Diese sich keineswegs einheitlich, sondern mit grossen branchenspezifischen und regionalen Unterschieden und zeitlichen Beschleunigungen beziehungsweise Verzögerungen vollziehende Veränderung zwingt zu einer grundlegenden Neubewertung des betrieblichen Personals und auch des Portfolios betrieblicher Weiterbildung. Für unsere Thematik bedeutet das: Vor allem Unternehmen, die sich an der Spitze dieser Entwicklung befinden, müssen sich zunehmend fragen, ob sie weiterhin mit einem Weiterbildungsportfolio arbeiten wollen, das aufgrund der grossen preislichen Unterschiede von Präsenz-Coaching und Training 
zu einer so markanten Segmentierung der betrieblichen Zielgruppen zwingt.

Diese strategische Lücke lässt sich durch die PE-Innovation des virtuellen Coachings (VC) schliessen. Wie bei vielen Innovationen ist das Innovative vor allem die neuartige Verbindung bereits bekannter Komponenten. In diesem Sinne verbindet das virtuelle Coaching die im Coaching entwickelte methodische Komponente der Beratung als Hilfe zur Selbsthilfe mit der für Trainings charakteristischen Komponente einer erwachsenenpädagogisch-didaktischen Lernanleitung und -steuerung. Zu dieser an sich bereits hochgradig innovativen Verbindung kommt als dritte Komponente die Nutzung der modernen Medien, das heisst des Telefons und des Internets hinzu. Konkret: Das Gespräch zwischen Coach und Klient, bei dem sich Coaching und Training mischt, wird als Telefonat geführt und inhaltlich durch textliches Material angeleitet, das Coach und Klient per Internet zugänglich ist.

Honorarkosten liegen zwischen jenen für Präsenz-Coaching und Training

Virtuelles Coaching wendet sich insbesondere an Unternehmen, die infolge des gestiegenen Qualifizierungsbedarfs vor allem der unteren Führungskräfte sowie ausgewählter Fachkräfte in das Dilemma geraten sind, diesen Zielgruppen weder Coaching noch Training hinreichend anbieten zu können. Denn Coaching ist für diese Zielgruppe zu hochpreisig und Training wird wegen der hohen Arbeitsausfallzeiten zunehmend problematischer. Das Problem sind dabei weniger die Arbeitsausfallkosten, die das Trainerhonorar um ein Vielfaches übersteigen, sondern vor allem der Schaden, der dem Unternehmen durch die trainingsbedingte Abwesenheit wichtiger Fach- und Führungskräfte entsteht.

In solchen Problemlagen ist virtuelles Coaching eine ideale Lösung. Denn es ist ähnlich hochwirksam wie Präsenz-Coaching, belastet den Wertschöpfungsprozess nicht durch lange Abwesenheitszeiten, und die Honorarkosten liegen zwischen denen für Präsenz-Coaching und Training.

Erfolgskritische Aktivitäten 
bestimmen und beeinflussen

Diese Nutzenargumentation soll am Beispiel eines der insgesamt neun bisher vorliegenden Programme des virtuellen Coachings verdeutlicht werden, nämlich anhand des Virtuellen Führungscoachings (VFC). Ebenso wie die anderen Programme ist es passgenau auf einen bestimmten zielgruppentypischen Bedarf zugeschnitten: Es richtet sich an Führungskräfte, die trotz guter Qualifikation und Motivation mit der Performance ihres Organisationsbereichs nicht zufrieden sind und sie 
verbessern wollen, ohne allerdings ihre bereits hohe Arbeitszeitbelastung noch weiter zu steigern. Die Antwort auf diesen speziellen – aber für untere und mittlere Führungskräfte typischen – Bedarf besteht aus einer Mischung von Coaching und Einzeltraining.

Der erste Schritt ist die Identifizierung der drei wichtigsten erfolgskritischen Aktivitäten, das heisst derjenigen Aktivitäten der Führungskraft, die für ihren Erfolg – und auch Misserfolg – die grösste Hebelwirkung haben. Die meisten Führungskräfte haben nur eine recht vage Vorstellung jener Aktivitäten, was zur Folge hat, dass sie ihre Zeit und Energie viel zu viel auf Aktivitäten richten, die nur eine relativ geringe Hebelwirkung, das heisst Erfolgswirksamkeit, haben.

Die Klärung ihrer erfolgskritischen Aktivitäten vollzieht sich in einem ein- bis anderthalbstündigen Telefoncoaching, das inhaltlich durch 12 internetbasierte Coachingfragen angeleitet wird. Mit Unterstützung des Coachs beantwortet der Klient, das heisst die Führungskraft, diese Fragen schriftlich und erstellt so ein Sitzungsprotokoll.

Der zweite Schritt des Programms ist die Umsetzung der im ersten Schritt erarbeiteten (Selbst-)Erkenntnis. Auch dabei wird der Klient durch internetbasierte Coachingfragen unterstützt. Sie beziehen sich zum einen auf die Erfahrungen, die der Klient in den letzten zwei oder drei Wochen mit der Umsetzung seiner drei wichtigsten erfolgskritischen Aktivitäten gemacht hat, und zum anderen auf die Konsequenzen, die er aus diesen Erfahrungen mit Blick auf die nächsten zwei oder drei Wochen zieht. Die entsprechenden Coachingfragen muss der Klient vor dem zweiten Telefoncoaching im Rahmen eines Selbstcoachings schriftlich beantworten. Letzteres macht es möglich, dass das zweite Telefoncoaching auf 30 bis 45 Minuten beschränkt werden kann.

Dieser Arbeitsschritt wird mehrmals wiederholt, und zwar so lange, bis der Klient die von ihm gewünschte Führungsperformance erreicht hat. Das gelingt meistens nach etwa sechs Monaten beziehungsweise nach fünf bis sieben Telefoncoachings. Die damit verbundenen Kosten liegen in der Regel zwischen 1200 und 1800 Franken.

Damit wird deutlich: Virtuelles Coaching ist nicht die «abgespeckte Billigversion» des Präsenz-Coachings, sondern ein eigenständiges PE-Produkt. Seine Besonderheit ist neben der Nutzung der modernen Medien die detaillierte Ausrichtung auf spezielle zielgruppentypische PE-Bedarfe. Diese spezifische Bedarfsausrichtung ermöglicht die Arbeit mit inhaltsleitenden Programmen, die virtuelles Coaching in die Nähe von kognitiven Verhaltenstrainings rücken und Selbstcoaching zu einem zentralen Programmbaustein machen. Auf diese Weise wird es möglich, dass die 
Coachingsitzungen bei hoher Wirksamkeit deutlich kürzer sind als im Präsenz-Coaching. Hinzu kommt, dass alle Reisekosten wegfallen. Virtuelles Coaching ist deshalb ein vergleichsweise niedrigpreisiges hochwirksames PE-Produkt.

(1) 
«Der Schweizerische Coachingmarkt 2010 aus der Sicht von Coachs»,  ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Departement Angewandte Psychologie. www.psychologie.zhaw.ch

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Harald Geissler leitet das Competence Center Coaching  an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg und betreibt die Internetplattformen www.virtuelles-coaching.com und www.coaching-gutachten.de.

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