Interview mit Zukunftsforscherin

«Der Begriff ‹Human Resources› ist ziemlich unmenschlich»

Friede, Freude, Eierkuchen: Die Trend- und Zukunftsforscherin Oona Strathern glaubt, dass es möglich ist, unsere Wirtschaft freundlicher für Mensch und Planet zu machen, ohne dass der Erfolg ausbleibt. Damit das gelingt, müssen Unternehmen mehr in ihre Mitarbeitenden investieren.

Frau Horx Strathern, was verstehen Sie unter «Kindness Economy»?

Oona Horx Strathern: «Kindness Economy» ist kein neuer Begriff. Er war bereits den Ökonomen des 19. Jahrhunderts, zum Beispiel Adam Smith, bekannt, einfach unter dem Namen «Conscious Economy». Ich selbst stiess auf den Begriff «Kindness Economy» in einem Buch von Mary Portas, einer bekannten Einzelhandelsberaterin. Er reflektiert einen wachsenden Trend in vielen Lebens- und Businessbereichen. Das Prinzip dahinter ist einfach: Statt den Profit als oberstes Ziel zu setzen, denkt man zuerst an den Menschen – Mitarbeitende wie auch Konsumenten – und an den Planeten.

In unserer Wirtschaft ist Profit die oberste Maxime und abhängig von der Konsumgesellschaft. Ist «Kindness Economy» nicht ein Widerspruch?

Um eine «freundliche» Wirtschaft zu verstehen, betrachtet man am besten ihr Gegenteil. An den Negativbeispielen im Umgang mit Mitarbeitenden, zum Beispiel in den Lagerhallen von Amazon oder bei Tesla, erkennt man, dass diese Art zu wirtschaften nicht nachhaltig sein kann. Also braucht es eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Gegenreaktion.

Zukunftsforscherin

Oona Horx Strathern ist in London aufgewachsen und arbeitet seit über 25 Jahren als Trendforscherin, Beraterin, Rednerin und Autorin. Sie hat Bücher über die Geschichte der Futurologie, der Architektur der Zukunft geschrieben und arbeitete an zahlreichen Studien des Zukunftsinstituts mit. Als Trend-Consultant war sie für internationale Firmen wie Unilever, Beiersdorf und Deutsche Bank tätig. Das Spektrum ihrer Vorträge reicht von Architekten-Konferenzen über Universitäten bis zur Bauindustrie und Design-Branche. strathern.eu

 

Wie können Unternehmen und Menschen wie auch die Umwelt gleichermassen profitieren?

Kümmert man sich um Menschen, wächst in ihnen die Bereitschaft, etwas für andere Menschen und die Umwelt zu tun. Die Arbeit wird sinnstiftender. Durch das grössere Engagement ergeben sich weitere und neue Möglichkeiten für wirtschaftlichen Profit.

Welche Handlungsfelder haben bezüglich «Kindness Economy» Priorität?

Transparenz und Vertrauen. Dies beruht auf Gegenseitigkeit: Vertraut man den Mitarbeitenden, kommt das Vertrauen auch zurück. Wichtig ist, dass man offen für neue Werte ist und bestehende hinterfragt. Zum Beispiel ist der Begriff «Human Resources» ziemlich unmenschlich. Wenn Menschen bloss als Ressource angesehen werden, kommen sie einem Wegwerfprodukt gleich und werden auch so behandelt. Eine ethische Neuorientierung geschieht nicht von heute auf morgen.

Wie sollen Unternehmen strategisch vorgehen?

Ich würde als erstes eine oder einen «Chief Kindness Officer» einstellen. Diese Person befasst sich mit der Frage, wie die Zufriedenheit im Unternehmen gesteigert werden kann. Sie findet mit der Zeit heraus, welche Bedürfnisse die Mitarbeitenden haben und wie das Unternehmen sie unterstützen kann – zum Beispiel mit flexibleren Arbeitsmodellen, Rückzugsorten, der Unterstützung für Familien und so weiter.

Haben Sie ein Beispiel?

Eine PR-Firma in Wien bemerkte nach der Corona-Pandemie, dass ihre Mitarbeitenden kaum miteinander kommunizierten und manche Menschen weiterhin sehr einsam waren. Ihre Lösung war es, eine Kaffeemaschine zu kaufen und einen Barista-Workshop zu organisieren. Das bot den Angestellten die Möglichkeit, sich unbefangen auszutauschen. Die Firma ging noch einen Schritt weiter: Weil ihr Büro an einer belebten Strasse lag, fing sie an, den Passantinnen und Passanten durch das Fenster frischgebrühten Kaffee zu reichen. Gutes tun, tut gut: Die sozialen Kontakte verbesserten sich danach.

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«Wenn Menschen bloss als Ressource angesehen werden, kommen sie einem Wegwerfprodukt gleich.»

 

 

 

Es gibt Firmen, die solche Gesten als Vorwand nutzen, um nichts an den Unstimmigkeiten im Unternehmen ändern zu müssen, beispielsweise bessere Löhne zu zahlen oder Arbeitszeiten zu flexibilisieren.

In meinem Buch nenne ich das «Kind Washing». Natürlich wäre ein guter Lohn besser, aber die Hauptsache ist, dass Firmen das tun, was sie können. Selbst eine kleine Investition kann eine grosse Wirkung haben. Man muss nicht alles auf einmal ändern wollen, das geht auch Schritt für Schritt. Was zählt, ist die Summe von kleinen Investitionen, die als Gesamtpaket eine grössere Wirkung haben, als es der erste Anschein erweckt.

Wie kommuniziert man gute Absichten glaubwürdig?

Hier kommen KPI ins Spiel: Es braucht Performance Indicators, die den Effekt der Investitionen nachweisen. Damit erstellt man einen Massstab und eine Grundlage für Zertifikationen. Sie funktionieren wie ein Spiegel, der einem vorgesetzt wird. Ein gutes Beispiel ist das Unternehmen Brewdog, das sich anfangs aufgrund seiner guten Praktiken zur «B Corp» etabliert hatte. Diese wuchs aber zu schnell, behandelte ihre Mitarbeitenden schlecht, verlor die Zertifizierung und damit auch die Fans und den anfänglichen Erfolg. Jetzt baut sie sich langsam wieder auf.

Wo muss sich das HR bezüglich «Kindness» verbessern?

Der Druck auf Arbeitnehmende ist enorm, besonders mit der heutigen hybriden Arbeit. Robert Owens (englischer Unternehmer und Frühsozialist aus dem 18. Jahrhundert, Anm. d. Red.) glaubte, dass es für den Ausgleich acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit und acht Stunden Erholung braucht. Durch die Digitalisierung vermischen sich Arbeit und Privates. Zudem arbeiten die Menschen länger oder zu komischen Zeiten. Vielleicht müssen wir zu Owens Grundgedanken zurückkehren.

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«Man muss nicht alles auf einmal ändern wollen, das geht auch Schritt für Schritt. Was zählt, ist die Summe von kleinen Investitionen, die als Gesamtpaket eine grössere Wirkung haben, als es der erste Anschein erweckt.»

 

 

 

In der jetzigen Wirtschaftslage stehen viele Unternehmen vor schwierigen Entscheidungen: Restrukturierung, Stellenabbau, weitere Sparmassnahmen. Wie handelt man in solchen Situationen ethisch korrekt?

Man muss verstehen, dass Wirtschaftskrisen auch durch «Unkind Economy» («unfreundliche Wirtschaft») entstehen. Damit meine ich eine Wirtschaft, die nur auf Produktivität und Peak-Ausnutzung abzielt. Man darf sich bei solchen Umständen nicht wundern, wenn Mitarbeitende unzufrieden sind und gehen. Es gibt verschiedene Gründe, wieso ein Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten gerät, aber manchmal liegt es auch an der fehlenden Motivation. In einer Krise heisst es oft zuerst «Wo können wir sparen?» anstatt «Was passiert mit den Menschen?». Es ist wichtig, die Prioritäten richtig zu setzen und die eigenen Werte zu überprüfen.

Dafür muss ein Umdenken im grossen Stil stattfinden.

Fast jede Firma setzt sich heute mit Nachhaltigkeit auseinander, erwähnt sie auf ihrer Website und nutzt sie als Werbung. Die nächste Stufe wäre jetzt, in die Mitarbeitenden zu investieren.

Oona Horx Strathern, «Kindness Economy», 2023, Gabal, 224 Seiten.

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Online-Redaktorin, HR Today. jc@hrtoday.ch

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