Ratgeber

Deutsche und Schweizer: Gegensätzliche Führungsstile bergen Konflikte

Eine Befragung der Fachhochschule Nordwestschweiz untersucht, wie sich Schweizer und deutsche Mitarbeitende 
gegenseitig wahrnehmen. Das Ergebnis: Grundsätzlich wird das Verhältnis als wenig konfliktreich wahrgenommen. 
Erst wenn Menschen verschiedener Hierarchiestufen aufeinandertreffen, entstehen Schwierigkeiten. 

Ausgehend von diesen Fragestellungen hat ein deutsch-schweizerisches Forscherinnenteam an der Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Soziale Arbeit, mit einer Onlinebefragung (www.ch-d.ch) 2008 Probleme und Bedürfnisse eruiert.

Auf Aufrufe in der Tagespresse hin haben 252 Personen zu den 25 Items meist ausführlich und differenziert Stellung bezogen. Davon waren etwas mehr als die Hälfte Deutsche (54,4 Prozent) und Männer (56,4 Prozent), mit eher überdurchschnittlichen Bildungsabschlüssen und rund 40 Prozent in Vorgesetztenstellung, vorab Beschäftigte in der Industrie und im Dienstleistungsbereich (Bildungs- und Gesundheitswesen, Banken und Versicherungen, IT). Die Fragen zielten auf das Verhältnis zwischen Schweizern und Deutschen in der Zusammenarbeit, auf mögliche Unterschiede im Führungsverhalten, den Umgang mit etwaigen Konflikten im Unternehmen sowie Erfahrungen im privaten und öffentlichen Raum.

Hierarchiegefälle lässt Missverständnisse gravierender erscheinen

Die Ergebnisse zeigen, dass das Verhältnis von den meisten Teilnehmenden als wenig konfliktreich eingeschätzt wird. Wenn Schwierigkeiten entstehen, dann betreffen diese meist allgemein die Kommunikation und Mentalität oder sie resultieren aus der Beziehung von Vorgesetzten zu Unterstellten. Denn während kommunikative Missverständnisse und Mentalitätsunterschiede unter Gleichgestellten noch durchgelassen werden und als nicht so schwerwiegend empfunden werden, haben sie im Hierarchiegefälle massivere Auswirkungen. Eine weitere Frage eruierte, wie Schweizer auf Deutsche zugehen und umgekehrt. Hier gibt die Hälfte an, jeweils «offen und unbelastet» auf die anderen zuzugehen. Doch ebenso viele berichten, dass sie «vorsichtig und kritisch» oder auch «mit Distanz» auf die anderen zugehen würden, wobei hier die Schweizer Beschäftigten etwas übervertreten sind.

Auf die Frage, welche Phänomene zwischen Schweizern und Deutschen im eigenen Unternehmen festzustellen seien, werden ebenfalls etwa je zur Hälfte positive und negative Faktoren aufgezählt. Unter den negativen Aspekten steht Misstrauen und Voreingenommenheit an erster Stelle, gefolgt von Seilschaften und Bevorzugung sowie Frontenbildung und Abschottung. Auf der anderen Seite wird der interkulturelle Kontext mit der Durchmischung von Schweizern und Deutschen auch als positive Bereicherung empfunden, was zur konstruktiven Zusammenarbeit und Auflockerung beitrage.

Was die Führungsstile anbelangt, so gaben die Befragten ganz unterschiedliche Dimensionen als typisch an, sodass zwei «Phänotypen» ausgemacht werden können: ein «partizipativer Schweizer Führungsstil», der versucht, alle Bedürfnisse und Interessen der Mitarbeitenden zu integrieren, Teamwork in den Vordergrund stellt, Mitwirkungsmöglichkeiten gewährt und auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden Rücksicht nimmt. Und auf der anderen Seite der «direktive deutsche Führungsstil», bei dem klare, unmissverständliche Anweisungen, Druckausübung auf die Mitarbeitenden, enge zeitliche Vorgaben sowie Karriere- und Hierarchiedenken im Vordergrund stehen.

Der «direktive deutsche Führungsstil» zeichnet sich zwar prozentual nicht ganz so deutlich wie der «partizipative Schweizer Führungsstil» ab, aber interessanterweise unterscheiden sich die Schweizer und deutschen Teilnehmenden in ihren Bewertungen nur unmerklich. Das heisst, dass beide positiv über den Schweizer Führungsstil urteilen und beide sehr kritisch mit dem deutschen Führungsstil verfahren. Dies legt eine grosse kulturelle Differenz zwischen der Schweiz und Deutschland bezüglich Führungsverhalten, Hierarchiedenken und Mitbestimmungsmöglichkeiten von Mitarbeitenden nahe.

Lerneffekte auf beiden Seiten helfen bei der Annäherung

Dabei sollte nicht vergessen werden, dass es auch ganz unterschiedliche Unternehmenskulturen innerhalb der eigenen Nationalgrenzen gibt und dass die Tendenz zu solchen Bewertungen verinnerlichten Stereotypisierungen entspringen kann. Doch muss angesichts der Differenziertheit des Antwortverhaltens und weiterer diesbezüglicher Ausführungen in den offenen Fragen vieler Teilnehmer davon ausgegangen werden, dass sich hier tatsächlich ein potenzieller Konfliktherd verbirgt.

Insbesondere wenn direktive deutsche Führungskräfte unvorbereitet auf mitwirkungsgewohnte Schweizer Mitarbeitende treffen, ergeben sich meist zwangsläufig Konflikte und Frustrationen. Denn angesichts der Anpassungsleistung, welche von Einwandernden vorausgesetzt wird, erwarten die Schweizer Mitarbeitenden ein Entgegenkommen des oder der Vorgesetzten hin zum «Schweizer Führungshabitus» und fordern ihre Rechte ein. Wird ihnen kein Gehör geschenkt, weil ihre Forderungen als Angriff auf den eigenen Vorgesetztenstatus empfunden werden, bahnt sich ein Machtkampf an, welcher sich in einer Verweigerungshaltung der Schweizer Mitarbeitenden und einer stärker autoritären Durchsetzungshaltung des oder der Vorgesetzten äussern kann (siehe Tabelle).

Viele Teilnehmende stellen jedoch auch Lernprozesse fest. Die Schweizer Beschäftigten berichten vor allem von grösserer Offenheit und positivem Näherkommen. So sagten manche, dass sie Unterschiede nicht mehr so ernst nehmen oder dass ein Ansprechen von Unterschieden dem gegenseitigen Verständnis helfe.

Die teilnehmenden Deutschen durchliefen meist mehrere Lernphasen, welche durch Emotionen wie Erstaunen, Ernüchterung oder Frustration eingeleitet wurden. Denn nach einer ersten unproblematischen Phase folgt meist das überraschende Erkennen von Differenzen. Die Erfahrung mündet oft in einer verstärkten Anpassung und einem Sich-selber-Zurücknehmen oder Auf-Distanz-
Gehen.

Wenn Deutsche in einer Vorgesetztenfunktion sind, merken sie mitunter an, dass sie ihre Mitarbeitenden stärker mit einbeziehen und den basisdemokratischen Ansatz schätzen gelernt haben. Ein solcher Integrationsprozess dauert jedoch nach Angaben der Befragten nicht Monate sondern Jahre, denn es gehe um das «Ablegen der bisher in Deutschland erlernten sozialen Überlebensstrategien», formulierte ein Teilnehmer der Studie.

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Dr. Miryam Eser Davolio ist Erziehungswissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FHNW, Hochschule für Soziale Arbeit, Institut für Sozialplanung und Stadtentwicklung.

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Text: Eva Tov

Dr. Eva Tov ist Professorin und Beauftragte für Qualitätsmanagement an der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

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