Ethik

«Die breite Akzeptanz von Bestechung hat mich am meisten überrascht»

Die neue Studie «European Fraud Survey 2009» von Ernst & Young hat eine beunruhigende Toleranz gegenüber unethischem Verhalten ans Licht gebracht. Eine der Ursachen liegt in der Wirtschaftskrise: In unsicheren Zeiten bieten sich mehr Motive und auch Gelegenheiten für Betrug. Interview mit Michael Faske, dem Leiter der Studie.

Welche Zahl aus der Studie oder welche Tendenz hat Sie am meisten überrascht?

Michael Faske: Wir haben mit der Studie festzustellen versucht, ob und wie sich die Wirtschaftskrise auf das Verhalten der Mitarbeiter auswirkt. Dazu haben wir gefragt, welche Massnahmen als noch erlaubt angesehen werden, um die Wirtschaftskrise heil zu überstehen. 20 Prozent der Schweizer Befragten haben geantwortet, dass sie es auch in Erwägung ziehen, Bargeldzahlungen zu leisten, um ein neues Geschäft zu akquirieren. Diese breite Akzeptanz von Bestechung hat mich eigentlich am meisten überrascht.

Ist das eine Veränderung zur Situation vor der Krise?

Wir haben diese Frage zuvor nicht genau so gestellt. Wir hatten aber im vergangenen Jahr auch die Korruption thematisiert, nur eben nicht im Zusammenhang mit der Krise. Damals war die Akzeptanz jedoch deutlich geringer.

Wieso gedeiht unethisches oder betrügerisches Verhalten in Krisenzeiten besser?

Die Grundbedingungen für unethisches oder kriminelles Verhalten sind einerseits das Motiv, andererseits die Gelegenheit. In Zeiten der Krise sehen wir auf der Motivseite eine abnehmende Loyalität der Mitarbeiter. Die Leute haben Angst um ihre Arbeitsplätze, jeder versucht, zunächst einmal an sich selbst zu denken. Das heisst, wenn Gehälter oder Boni gekürzt werden, herrscht bei vielen die Meinung vor: «Ich nehme nur, was mir zusteht, ich habe mir das verdient, oder warum soll ich für etwas geradestehen, wofür ich nichts kann?» Und auch die Gelegenheiten sind in Krisen tendenziell häufiger: Wenn das Geld knapp ist, konzentrieren sich Unternehmen auf ihr Kerngeschäft, den Umsatz, die Akquisition. Und dann wird gern zuerst an den internen Stellen gespart, beispielsweise bei der Revision. Zudem sind manche Abteilungen vielleicht unterbesetzt. Das eröffnet dann Gelegenheiten.

Bei wem liegt die Verantwortung für diese Entwicklungen?

Erst mal ist jeder selbst für sein Verhalten verantwortlich – auch in Krisenzeiten. Dennoch haben wir festgestellt, dass die Befragten eine klare Erwartungshaltung in Richtung Aufsichtsbehörden haben: Sie wünschen sich, dass es zu einer stärkeren Aufsicht kommt, dass Unternehmensleitungen stärker kontrolliert werden und dem freien Spiel der Kräfte gewisse Grenzen gesetzt werden.

71 Prozent der Schweizer Befragten gaben an, die Seriosität ihres Managements zu bezweifeln. Welche Konsequenzen hat das?

Das ist eines der Hauptprobleme. Man spricht auch vom «Tone at the top». Das heisst, die Mitarbeiter werden sich fragen, warum sie sich verantwortlich verhalten sollen, wenn ihnen das vom Topmanagement nicht vorgelebt wird.

Was können Unternehmen tun?

Sie können Richtlinien wie einen Code of Conduct (siehe auch Seite 22) aufstellen. Dabei geht es nicht um esoterische, salbungsvolle Worte. Stattdessen müssen Dilemma
situationen, Risiken und potenzielle Grauzonen, in die Mitarbeiter kommen können, klar identifiziert und benannt werden. Einem Mitarbeiter im Einkauf beispielsweise, dem immer wieder Geschenke von Lieferanten angeboten werden, müssen klare Entscheidungshilfen für solche Situationen an die Hand gegeben werden.

Kann man Mitarbeitern ethisches Verhalten antrainieren?

Ich denke schon. Vor allen Dingen muss ihnen aufgezeigt werden, was passiert, wenn man sich nicht an ethische Grundsätze hält: Das hat persönliche Konsequenzen und auch Konsequenzen für das Unternehmen. Es ist ein Leichtes, das den Mitarbeitern klarzumachen. Reichen tut das aber noch nicht. Vielmehr muss ein Unternehmen diese Massnahmen in ein ganzheitliches Präventionskonzept einbinden. Hierzu gehört auch, die Unternehmenskultur entsprechend zu verbessern. Das kann beispielsweise durch Mitarbeiterprogramme wie Flexibilität bei der Arbeitszeit, angemessene Entlöhnung oder vielleicht durch die Möglichkeit zur Kinderbetreuung erreicht werden.

Die Schweiz steht im Vergleich zum europäischen Durchschnitt noch vergleichsweise ethisch da. Warum?

Das hat einerseits ökonomische Ursachen: Die wirtschaftliche Lage ist in der Schweiz noch nicht so dramatisch wie beispielsweise in Osteuropa. Andererseits gibt es aber auch gesetzliche Hintergründe. Die Schweiz hat früh begonnen, Erlasse wie die OECD-Konvention gegen Korruption umzusetzen. Das Anti-Korruptions-Strafrecht ist hier stark ausgeprägt. Und es gibt auch kulturelle Gründe: In der Schweiz gibt es ein ausgeprägtes Vertrauensklima. Das schafft eine gute Basis.

Die Studie

Für den «European Fraud Survey» hat Ernst & Young in 22 Ländern über 2200 Beschäftigte befragt. An der Studie nahmen Beschäftigte von börsennotierten oder multinationalen Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitenden teil.

Die wichtigste Erkenntnis aus der Untersuchung ist sicher, dass unethisches Verhalten in der Krise eher toleriert wird – in der Schweiz beispielsweise stuften 40 Prozent der Befragten eine oder mehrere Arten unethischen Verhaltens als akzeptabel ein, im europäischen Durchschnitt gar 47 Prozent. Die Aussichten für die Zukunft sind den Erkenntnissen zufolge nicht besser: 55 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass die Wirtschaftskriminalität in den kommenden Jahren eher zu- als abnimmt. Dazu tragen nach Ansicht der Befragten auch Fusionen bei, deren Zahl im Zuge der Krise wohl noch zunehmen wird. Knapp die Hälfte der Befragten meint demnach, dass unterschiedliche Firmenkulturen und Verhaltensstandards bei der Zusammenlegung von Firmen dazu führen, dass Massnahmen zur Bekämpfung von unethischem und kriminellem Verhalten untergraben werden.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Dr. Michael Faske ist Leiter Fraud Investigation & Dispute Services bei Ernst & Young Schweiz und verantwortlich für die Studie.

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