Internetphänomen

Die Kündigung im Livestream auf TikTok

Ein Phänomen erobert die sozialen Netzwerke: Die jüngeren Generationen teilen ihre Kündigung öffentlich per Video auf TikTok. Was es mit #quittok auf sich hat – und rechtliche sowie karrieretechnische Fragezeichen.

2008 stolzierte Doug Walker mit einem CD-Player in das Gebäude seiner Arbeitsstelle, wo er als Hausmeister angestellt war. Laut spielt Bohemian Rapsody von Queen, während er dramatisch sein Hemd aufgeknöpft und zeigt, dass auf seiner Brust die Worte «I quit» aufgemalt sind. Das Video lädt er dann auf die relativ neue, doch für ihn lukrative Videoplattform Youtube hoch und erhält nicht nur von seinen Abonnenten, sondern auch von Mainstream-Medien viel Aufmerksamkeit.

Sich kreativ und medienwirksam von seiner Arbeitsstelle zu verabschieden, ist so alt wie das Internet. Sei es eine Kündigung via Song auf Youtube, per Blaskapelle oder per selbstgebackenen Kuchen – der Wunsch, sich bei der Kündigung zu inszenieren, ist nicht unbedingt ein neues Phänomen. Sich von einem ungeliebten Arbeitgeber verabschieden, endlich frei sein, etwas zu tun, was einem wirklich gefällt, und dabei auch noch von hunderten, wenn nicht tausenden Menschen angefeuert werden? Wer würde das nicht wollen?

Heutzutage kündigt man allerdings nicht mehr und postet später das Beweisvideo auf Youtube oder Twitter / X, sondern macht das ganz einfach live – nämlich auf TikTok. Die Kurzvideoplattform hat seit 2020 einen steilen Aufstieg durchlaufen und ist gerade bei der jüngeren Generation, den Millennials und Gen Z sehr beliebt. Für das öffentliche Kündigen hat die TikTok Gemeinde natürlich auch einen Trendy-Hashtag erfunden, nämlich #quittok.

Über #quittok seine Probleme in der Arbeitsstelle mit anderen teilen


Millennials und Gen Z werden gerne als egoistisch angesehen. Ältere Generationen werfen ihnen vor, nicht an die Gemeinschaft und nur an sich selbst zu denken. Auch mit #quittok kann dieser Eindruck leicht entstehen, wenn man nicht über den Tellerrand von «Junge Menschen kündigen für Aufmerksamkeit online» hinaussehen möchte.

Wer sich im Hashtag #quittok umsieht, erkennt schnell, dass dieser nicht nur Videos enthält, die sich um Leute drehen, die ihren Job kündigen. Es ist eine Community, die über Probleme am Arbeitsplatz, toxische Bosse und auch das sogenannte Quiet-Quitting offen miteinander spricht. Mögliche Ungereimtheiten, die man früher vielleicht nur mit der Personalabteilung lösen konnte, können jetzt privat diskutiert werden, vielleicht sogar mit anderen in der gleichen Situation.

Work-Life-Balance, schlechte Arbeitsbedingungen, unfaire Bewerbungsprozesse – #quittok und TikTok-Nutzerinnen und Nutzer allgemein sind offen, wenn es um den Wunsch nach Veränderung geht. Offene Diskussionen über Themen, die früher vielleicht nur am Esstisch und unter vorgehaltener Hand bei der Kaffeepause getätigt wurden, sind jetzt für die breite Masse und international erreichbar. Der Austausch führt dazu, dass jüngere Menschen eine klare Vorstellung haben, was sie von einem Arbeitgeber wollen und auch dazu, dass der Arbeitsmarkt sich wandelt.

Die natürliche Fortführung dieses Austausches ist, dass die Kündigung geteilt wird. Der Wunsch zu zeigen «Ich hab es wirklich gemacht» ist gross, besonders, wenn die Follower schon lange sagen, dass man es tun sollte. Dabei ist es natürlich ein besonders gutes Gefühl, wenn man danach noch positives Feedback bekommt. Immerhin sind Likes, Shares, Follows und Reposts wie eine Injektion von Dopamin.
Als Christina Zumbo im September 2022 ein Video auf Tiktok hochgeladen hat, in dem sie ihre eigene Nervosität zeigte, nachdem sie ihre Kündigung eingereicht hatte, hat sie sicher nicht damit gerechnet, eine Lawine loszutreten. Doch mit über 53'000 Likes und über 3000 Kommentare fanden sich schnell viele Sympathisanten. Sie bereut den Schritt nicht und erzählte der BBC, dass auch Verletzlichkeit manchmal im Internet gezeigt werden sollte.

Das positive Feedback führt zu einem Schneeballeffekt und spornt andere an, ihre Kündigung auch auf TikTok zur Schau zu stellen. Für Zweifel und Nervosität Rückendeckung von Menschen in der ganzen Welt zu bekommen ist fast genauso, wenn nicht wichtiger, als die Aufmerksamkeit, die man dadurch generiert. 

Sicherlich spielen Likes und Shares auch eine Rolle, aber das hat wenig mit der heutigen Generation zu tun, wie die Beispiele von Youtube vor fast 20 Jahren zeigen. #Quittok wechselt die Plattform einfach auf eine andere und kürzt die Länge der Videos ein bisschen, aber die Intention bleibt dieselbe. 

Schon unter normalen Umständen fühlt es sich super an, einer schlechten Arbeitsstelle den Rücken zu kehren. Der Adrenalin-Rush, den das Teilen und mögliche positive Feedback von anderen zusätzlich bringt, kann einen wahrscheinlich tage-, wenn nicht wochenlang breit grinsen lassen. Aber was kommt danach?

Folgen der öffentlichen Kündigung können unterschätzt werden


Auch wenn wir bisher eher positiv darüber gesprochen haben, ist der #quittok-Trend kaum empfehlenswert. Obwohl es natürlich ein Fortschritt des modernen Internets ist, alles teilen zu können und Hilfe, Feedback und Rückendeckung von überall zu bekommen, gibt es trotzdem doch einige Dinge im Leben, die besser offline bleiben sollen.

Eine solche öffentlich einsehbare Kündigung, die oftmals noch viele Jahre später abgerufen werden kann, kann möglicherweise noch Jahre für Probleme sorgen. Wenn man sich öffentlich und wütend von einem Arbeitgeber trennt, dabei vielleicht noch den Namen nennt – dann kann die Arbeitssuche in Zukunft schwierig bis unmöglich sein. Mal abgesehen von der Möglichkeit wegen Verleumdung angezeigt zu werden: Unternehmen sind auch viel weiter vernetzt, als Nutzer von #quittok es vielleicht denken. 

Karriereexperte Caio Sampaio von Zety meint dazu: «Die Arbeitswelt scheint gross und die Optionen endlos, aber in Wirklichkeit sind Unternehmen oft näher in Kontakt, als man das meinen könnte. Besonders in derselben Branche kennt man sich. Wer es sich bei der Kündigung also ganz ordentlich mit einem Unternehmen versalzt, kann möglicherweise bald überhaupt keine Stelle mehr finden und muss fachfremd anfangen. Es ist besser, sich wenigstens neutral von einer ungeliebten Stelle zu verabschieden.»

Die scheinbare Permanenz des Internets verstärkt diesen Effekt: Neue Unternehmen kennen vielleicht den alten Boss nicht, finden aber beim Check der Bewerbung den TikTok-Account des Bewerbers und sehen, wie mit der vorigen Stelle abgerechnet wurde. Das kann bestenfalls zu Fragen im Vorstellungsgespräch und schlimmstenfalls zu einer Absage führen.

Mal von potenziellen neuen Stellen abgesehen ist es offensichtlich warum der grösste Teil von #quittok, die sich bei der Kündigung filmen lassen, aus den USA stammen. Die dortigen Arbeitsgesetze und Arbeitsverträge unterscheiden sich oft stark von den hiesigen. Arbeitnehmende in den USA haben oft die Möglichkeit, sich nach der Kündigung schnell zu verabschieden – die berühmte «two-weeks-notice».

In unseren Gefilden ist das mehrheitlich nicht der Fall. Wer nicht gerade in der Probezeit ist, gilt in vielen Fällen die dreimonatige Kündigungsfrist. Nach der offiziellen Einreichung des Kündigungsschreibens sind Arbeitnehmende also noch mindestens drei Monate an das Unternehmen gebunden und müssen mit Kolleginnen und Kollegen klarkommen – und auch unbeliebten Bossen. Gerade, wenn man früher aus dem Vertrag entlassen werden möchte, ist es kaum ratsam, eben jene Entscheidungsträger im Internet bloss zu stellen.

Auch nicht zu unterschätzen ist die Wichtigkeit des Arbeitszeugnisses. Wenn ein Chef herausfindet, dass über ihn auf TikTok gelästert wurde, kann er unter Umständen ein schlechtes Zeugnis ausstellen – ebenfalls eine Vergeltung.

Hinzu kommt die Angst vor der Verletzung der Privatsphäre. Wer einen Chef oder Kollegen zum Beispiel während der Kündigung filmt oder selbst ihre Stimme aufnimmt und ohne Einverständnis auf Tiktok teilt, kann das auch hier zu Konsequenzen kommen. Von verletzten Gefühlen bis Klage ist da alles drin. Also Vorsicht!

Der Wunsch nach Vergeltung ist verständlich, aber nicht empfehlenswert


Wer möchte dem Boss nicht auch gerne eins reinwürgen, wenn er eine besonders verhasste Stelle endlich verlassen werden kann? Und dann dabei auch noch Rückenwind von 10'000 Zuschauern bekommen, die begeistert klatschen? Den Namen der Stelle in die Welt rausblasen und sagen «Kommt hier nicht her, die Arbeitnehmer werden schlecht behandelt!» Ein rotes Stopp-Schild aufstellen, damit niemand mehr das durchleben muss, was man selbst durchlebt hat.

Die Idee, der Wunsch, die Suche nach Vergeltung ist etwas, das wir gut verstehen können – gerade auf #quittok, wo viel und offen über schlechte Behandlung, miese Bezahlung und toxische Bosse gesprochen wird. Immerhin gibt es tatsächlich unzählige schlechte Arbeitgeber, für die niemand gerne arbeiten möchte.

Trotzdem sind die möglichen Auswirkungen nicht nur für die Arbeitssuche, sondern auch in Betracht auf mögliche Klagen schlicht zu hoch, dass eine Kündigung live auf Social Media wirklich empfehlenswert ist. Doug Walker hätte damals sicher nicht so auftragend gekündigt, wenn er nicht schon ein gutes Einkommen auf Youtube generiert hätte.

#quittok an sich ist aber nichts schlechtes. Da unter dem Hashtag viele Themen diskutiert werden, die die Arbeitswelt betreffen und offen über Wünsche an Arbeitgeber gesprochen wird, lohnt es sich, sich einmal dort umzusehen. Millennials und GenZ sind nicht egoistischer als andere Generationen, auch sie wollen Arbeit. Was sie aber im Gegensatz zu den Generationen vor ihnen haben, ist die Möglichkeit und der Wille, sich über Arbeitsbedingungen auszutauschen und so ein besseres Arbeitsumfeld einzufordern.
Sie haben gesehen, welche Probleme ihre Eltern bei der Arbeit hatten und den Crash 2008 miterlebt. Der Wunsch, es besser und anders zu machen als die Elterngeneration ist nicht einzigartig für diese zwei Generationen. Sich bei der Kündigung zu filmen ist nicht unbedingt Narzissmus, sondern auch das Bestreben, schlechten Bossen ihre Fehler aufzuzeigen.

Arbeitgeber besonders und die Arbeitswelt im Allgemeinen wird sich an diese junge Generation besser anpassen und verändern müssen, wenn sie weiterhin Arbeitskräfte finden wollen. Und vielleicht trägt dazu heute auch das Filmen der eigenen Kündigung bei. Vielleicht gehört das in der Zukunft auch einfach dazu. Bis dahin aber: Es ist besser, zunächst mit Familie oder Freunden über einen vorigen Arbeitgeber zu lästern – am besten offline.

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Das Bild zeigt die Autorin, eine junge Frau mit blauer Bluse und rostroten Haaren. Sie hat die Arme vor dem Körper verschränkt.

Kathrin Przadkiewicz ist Autorin für Zety. Sie vefügt über einen linguistischen Hintergrund, den sie gerne einbringt, um hilfreiche Artikel zu verfassen, die Lesern praktische und einfach umzusetzende Ratschläge zu Karrierethemen bieten. Ihre Artikel wurden unter anderem von Business Insider Deutschland und der Frankfurter Rundschau zitiert.

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