Die Lücke zwischen Forschung und Praxis im HRM

Die angehende Psychologin Nina Rimpl interessiert sich für die menschlichen Aspekte beim Wandel von Unternehmen. Wichtig dabei sind die Trends, die das HR in Zukunft bestimmen werden. Für ihre Bachelorarbeit hat sie Experten befragt und so festgestellt, dass es grosse Unterschiede zwischen Forschung und Praxis gibt.

Was ist im HR der Zukunft wirklich wichtig? Die Meinungen zu dieser Frage gehen auseinander – gerade, wenn man Forschung und Praxis vergleicht. Im Rahmen meines Studiums in Arbeits- und Organisationspsychologie an der ZHAW beobachte ich immer wieder Lücken zwischen dem aktuellen Stand theoretischer Erkenntnisse und der gelebten HR-Praxis. Das Phänomen bezeichnet die Fachliteratur als Research-Practice-Gap.

Um diese Lücke genauer zu erkunden, habe ich zwölf Interviews mit Meinungsführern und Vordenkern der wissenschaftlichen und angewandten HR-Community in der Schweiz durchgeführt. Bei den befragten Expertinnen und Experten handelt es sich um in der Schweiz tätige Universitäts- und Fachhochschulprofessoren sowie HR-Leiter von Schweizer Grossunternehmen und global tätigen Unternehmensberatungen.

Geteilte Meinungen

Digitalisierung, Fähigkeiten und Kompetenzen, Kultur und Diversität sowie Organisationsentwicklung: Diese Themenfelder sehen HR-Expertinnen und -Experten als die Trends der Zukunft.

Bereits hier driftet die Haltung zwischen Forschung und Praxis stark auseinander: Die Praxis-Experten sehen die Digitalisierung und deren Folgen als Hauptthema für HR. Die Forscherinnen und Forscher halten diese Thematik jedoch für völlig überbewertet, da die Digitalisierung ja sowieso stattfindet.

Der Research-Practice Gap

Die Praktikerinnen und Praktiker geben für das Auseinanderdriften der Meinungen den Forschenden die «Schuld». Sie würden sich zu wenig an den Bedürfnissen der Praxis orientieren und seien durch geltende Forschungsstandards eingeschränkt. Beispielsweise durch den stetigen Zwang zu Publizieren oder durch die Suche nach Anerkennung in einer in sich geschlossenen wissenschaftlichen Community.

Andere sehen die Gründe bei den Zielen. Diese seien schlicht zu verschieden: Die Praxis will primär Lösungen für konkrete Problemstellungen und eine gute Vorbereitung auf anstehende Veränderungen. Die Forschung zielt eher auf langfristige Grundlagen ab.

Ihrerseits werfen die Forschenden den HR-Praktikern vor, sich zu wenig Zeit zu nehmen. Es brauche aber Zeit, wenn man sich mit den langen und komplex formulierten Fachartikeln wirklich auseinandersetzen will. Eine weitere Herausforderung auf Seiten der Forschung seien die vielen Hürden, wie zum Beispiel der «peer review»-Prozess, den ein Fachartikel durchlaufen und «überstehen» muss, bevor er überhaupt publiziert werden kann. Wichtige Informationen werden dadurch verlangsamt einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dazu kommt, dass HR-Praktiker eher kürzere, verdauliche Formate konsumieren, wie zum Beispiel Journale oder schnelllebige Online-Netzwerke wie LinkedIn.

Diese Unterschiede im Konsum von Informationen sind für beide Seiten bedauerlich: Der Praxis entgehen damit evidenz-basierte, sprich «realitäts-geprüfte», Erkenntnisse aus der Forschung. Die Forschungsergebnisse wiederum werden nicht gelesen und bleiben oftmals wirkungslos.

Lösungsvorschläge der Experten

Damit eine Brücke zwischen Forschung und Praxis entsteht, die diesen «Gap» überwindet, plädieren die befragten Expertinnen und Experten in einem ersten Schritt dafür, sich der Lücke erst einmal bewusst zu werden. Dann sei es die Aufgabe der Wissenschaftler, die Glaubwürdigkeit von Forschungsergebnissen und den damit verbundenen Nutzen im Praxisalltag aufzuzeigen. Eine leserfreundlichere Art des Schreibens könnte hier sicherlich helfen.

Eine weitere Möglichkeit zum Aufbau neuer Brücken ist praxisnahe Forschung. So könnten zum Beispiel beim Thema Digitalisierung interessante und wertvolle Kollaborationsprojekte entstehen.

Zukunft des HRM: Dialog als Lösung

Trotz Lösungsvorschlägen sehen die befragten HR-Experten zurzeit keinen konkreten Hoffnungsschimmer. Der Leidensdruck, die Lücke schliessen zu wollen und mehr voneinander zu profitieren, ist im Berufsalltag sowohl für die Forschung als auch für die Praxis zu tief.

Ich bin der Meinung: Solange spannende Forschungsresultate in Fachzeitschriften verstauben und keinen Anklang in der Praxis finden, muss es das Ziel bleiben, den Dialog weiter zu fördern. Durch den vertieften Dialog steigt auch das Bewusstsein für gemeinsame Probleme – mit dem Resultat gewinnbringender Potenziale für eine engere Zusammenarbeit in der Zukunft.

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Nina Rimpl ist angehende Psychologin mit Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie sowie Kunsthistorikerin. Sie arbeitet am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und ist zudem als selbstständige Organisationsberaterin für kleine Unternehmen und Start-ups tätig.

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