HR Today Nr. 4/2019: Debatte

Die Sache mit den Grossraumbüros ...

Klar, es gibt sie: die klassischen Argumente für oder gegen ein Grossraumbüro. Die gängigen Pros und Kontras seien aber völlig überholt, findet Kommunikationsexpertin Ilona Schönle. Und doch machen Grossraumbüros immer wieder Negativschlagzeilen.

«Moderne Open Offices erfordern nicht immer eine komplette Neuerfindung.»

Die leidige Diskussion Grossraumbüro pro oder kontra ist ebenso überholt wie grösstenteils falsch, denn sämtliche althergebrachten Argumente ergeben einen hinkenden Vergleich. Ein modernes und gut geplantes Open-Space-Konzept hat mit dem, was gemeinhin als Grossraumbüro verschrien ist, ungefähr so viel gemeinsam wie eine Schiefertafel mit einem Laptop. Vorneweg: Grossraumbüros im Stil der klassischen USA Cubicles sind natürlich eindeutig schlecht, gehören aber ebenso eindeutig der Vergangenheit an.

Wer heute als Büroplaner und Innenarchitekt unterwegs ist, hat andere Vorstellungen und Herangehensweisen. Räume werden dabei als etwas so Individuelles betrachtet wie das Unternehmensleitbild und die Firmenwerte. Die Architektur erfüllt die expressionistische Funktion der Körpersprache einer Organisation und ist somit eine höchst persönliche Angelegenheit – Copy & Paste ist zum Scheitern verurteilt.

Moderne Open Offices erfordern nicht immer eine komplette Neuerfindung des inneren und äusseren Firmenauftritts. Oftmals sind es nur einzelne Gestaltungsmassnahmen und Eingriffe, die Grosses bewirken können. Ein Büro darf Büro bleiben und muss weder die Intimsphäre bedienen noch zur zweiten Heimat werden. Fest steht jedoch, dass produktiv-interaktives Wohlbefinden in Open-Office-Bereichen leichter zu gestalten und anzubieten ist als in Einzelzellenbüros.

Der kluge und fähige Planer oder Designer ist zugleich ein sehr guter Hinhörer und Beobachter. Der ständige Austausch mit Entscheidern ist wichtig. Konzepte, Ideen und Skizzen markieren die qualitäts- und stabilitätsorientierte, behutsame Vorgehensweise: Welche Stimmung soll erzeugt werden? Welche Funktionen im Sinne von Prozessen und Bedürfnissen hinsichtlich bestehender und vor allem zukünftiger Arbeitsweisen und Aufgaben müssen erfüllt sein? Gelungen ist das Ergebnis einer sorgfältigen Planung vor allem dann, wenn nicht die Handschrift des Gestalters das Wesentliche ist, sondern der Charakter der Unternehmung erkennbar wird. Die Mitarbeitenden sollen sich mit den Räumen und Gebäuden identifizieren können. Teilweise eröffnen sich dadurch Möglichkeiten, in der Öffentlichkeit auch ein ganz neues Bild der Organisation zu erzeugen.

Dabei ist Monotonie das zentrale Kontra-Argument, Abwechslung das erstrebenswerte Pro-Element. Gestaltung, Ausstattung und Mobiliar in einer offenen, klug zonierten Arbeitslandschaft haben die Aufgabe, eine lockere und fantasieanregende Umgebung zu schaffen, die in einem grosszügigen, offenen Bereich besser zur Geltung kommt als in jedem Einzelbüro. Die Psychologie eines Raumes hat letztendlich eine Wirkung auf die Psychologie des Menschen.

«In Grossraumbüros braucht es zwingend klare Verhaltensregeln.»

«Müde, krank, unmotivierend – Hölle Grossraumbüro» titelte kürzlich der Tagesanzeiger. «Kopfhörer bitte! Grossraumbüros machen krank», lautete die Überschrift der Aargauer Zeitung und 20 Minuten berichtete über die Angestellten einer Schweizer Grossbank, die jeden Tag um ihren Arbeitsplatz kämpfen müssen. Selbst der Erfinder des Grossraumbüros – der US-Amerikaner Robert Propst – urteilte vor seinem Tod vernichtend über sein Werk: «Rattenlöcher» nannte er sie und einen «monumentalen Irrsinn».

Gemäss einer Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco und der Hochschule Luzern von 2016 sind Mitarbeitende, die mit mehr als 50 Kolleginnen und Kollegen im gleichen Raum sitzen, rund 50 Prozent häufiger krank als solche in Einzelbüros. Bei Räumen mit bis zu 15 Personen beträgt der Unterschied noch immer mehr als 20 Prozent. Genauso sind Angestellte in Grossraumbüros deutlich öfter müde als andere. Eine Studie der australischen Queensland University of Technology stützt diese Resultate. «Grossraumbüros sind eines der schlimmsten Umfelder, in die man Mitarbeitende stecken kann», kommentierte bei der Publikation Studienleiter Vinesh Oommen.

Die Harvard-Forscher Bernstein und Turban begleiteten letztes Jahr Angestellte zweier grosser US-Unternehmen beim Umzug aus kleineren Arbeitszimmern in ein Grossraumbüro. Sie untersuchten, wie sich dieser Umzug auf das Kommunikationsverhalten auswirkte. Das Ergebnis: Nach dem Wechsel ins Grossraumbüro gingen die Gespräche um satte 70 Prozent zurück. Umgekehrt wuchs die Kommunikation über elektronische Kanäle wie E-Mail um bis zu 50 Prozent.

Als Ursache für den isolierenden Effekt vermutet Bernstein, dass in Grossraumbüros die Rückzugsmöglichkeiten fehlen. Jeder könne sehen, was der andere gerade mache, und man präsentiere sich der Gemeinschaft auf dem Silbertablett – das widerspräche dem Bedürfnis des Menschen nach Privatheit.

Die Probleme verschärfen sich, wenn nicht jeder seinen persönlichen Schreibtisch hat, sondern diese geteilt werden. «Der Ärger fängt direkt bei Arbeitsbeginn an, wenn man sich einen Schreibtisch suchen muss. Meist ist einer frei, alle zwei Wochen aber heisst es warten. Mal zehn Minuten, mal eine halbe und mal eine ganze Stunde, bis einer frei wird», heisst es in einem Rechercheartikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Und weil Grossraumbüros – egal ob mit eigenen oder geteilten Arbeitsplätzen – wahrscheinlich nicht so rasch von der Bildfläche verschwinden werden, fordert Business-Knigge-Expertin Susanne Abplanalp im Tagesanzeiger klare Regeln. Die wichtigste dabei: Rücksichtnahme.

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Ilona Schönle verantwortet bei «Witzig The Office Company» die Unternehmenskommunikation. Sie hat Medienwirtschaft und Philosophie studiert und viele Jahre als Radiojournalistin gearbeitet. Durch ihre Passion für Yoga weiss sie, dass die gekonnte Mischung aus Balance und Bewegung, Anstrengung und Loslassen auch fürs Gesundbleiben bei der Arbeit eine zentrale Rolle spielen.

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Online-Redaktorin, HR Today. es@hrtoday.ch

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