Bildung und Karriere

Die Weiterbildungsbranche und die 
Krise: Wer spart an welchem Ende?

Unternehmen zeigen sich derzeit zurückhaltender, was die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter angeht. Was bedeutet 
das für die Weiterbildungs-Insitutionen? Eine Umfrage des Schweizerischen Verbandes für Weiterbildung (SVEB) 
kommt zu überraschenden Ergebnissen.

In fünf von 18 befragten Weiterbildungsinstitutionen in der Deutschschweiz hat die Wirtschaftskrise einen klar positiven Effekt auf die Teilnehmerzahlen, zwei Anbieter beurteilen die Situation eher positiv, während neun allenfalls eine Verlagerung bei gleich bleibenden Teilnehmerzahlen registrieren. Lediglich zwei Weiterbildungsinstitutionen stellen derzeit einen Teilnehmerrückgang fest. 

Zurückhaltende Unternehmen

Die Unternehmen sind zurückhaltender geworden bei der Übernahme von Weiterbildungskosten. Dafür hat sich der Anteil der Selbstzahlenden erhöht, wie Franz Liechti vom Zürcher Eric-Berne-Institut und Hans-
Peter Hauser von der EB Zürich feststellen. Da die EB Zürich einen hohen Anteil an Privatkundschaft verzeichnet, ist die Nachfrage gar etwas angestiegen. Doch sei von einer Weiterbildungsoffensive im Zusammenhang mit der Kurzarbeit bisher nichts zu spüren. Hans-Peter Hauser hofft, dass sie 2010 zu greifen beginnt. Da das dritte Konjunkturpaket verabschiedet worden ist, können staatliche Beiträge für Weiterbildungen Abhilfe schaffen. Sie sollen direkt an die Betriebe fliessen.

Ein antizyklisches Verhalten nimmt 
André Gnägi vom Zentrum für berufliche Weiterbildung (ZbW) St. Gallen wahr. Die Teilnehmenden stammen aus Gewerbe und Industrie. Die Weiterbildungen würden in der ganzen Breite gut nachgefragt. Und was erwartet er für 2010? «Wenn die Krise so schnell aufhört, wie sie begonnen hat, wird sich 2010 nichts ändern. Wenn es allerdings zu grossen Entlassungen kommt, spüren wir den Einbruch via Maschinenindustrie in der Ostschweiz.»

Die Wirtschafts- und Kaderschule KV Bern (WKS) führt seit August im BMS-Vollzeit-Bereich neun statt sieben Klassen, was einer Steigerung von 20 Prozent entspricht. Die Schule profitiert davon, dass viele Lehrbetriebe ihre Lernenden nach dem Lehrabschluss nicht weiterbeschäftigen. Im Bereich der höheren Berufsbildung seien besonders Führungsausbildungen bis hin zur ersten Führungsstufe gefragt. Dass Bern eine klassische Dienstleistungsstadt ist, trägt zur Krisenresistenz bei. Gute Anmeldezahlen über die ganze Angebotspalette meldet Christian Walder von der Bénédict-Schule Zürich: «Aus dem Verkauf wissen wir, dass viele Leute die Kurzarbeit zur Weiterbildung nutzen.» Die Lernwerkstatt Olten, die sich auf die Ausbildung für Ausbildende konzentriert, bildet gleich viele Leute aus wie letztes Jahr und ist auch für 2010 optimistisch.

Beratungsaufwand ist gestiegen

Für Isabelle Wyss von der Zürcher Hull’s School wirkt sich die Krise sowohl positiv als auch negativ aus. Während grössere Unternehmen keine neuen Sprachklassen eröffnen, buchen kleinere Unternehmen vermehrt Gruppenkurse und Privatstunden für ihre Mitarbeitenden. Der Beratungsaufwand sei gestiegen, Privatkundinnen und -kunden erwiesen sich als kostenbewusster: «Sie überprüfen genau, ob das Angebot optimal auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist, und konzentrieren sich auf jene Sprachen, die sie wirklich brauchen.»

Die Fernschulgruppe Klett Akademie meldet einen Rückgang in den Fachbereichen Kreativität, Persönlichkeit und Sprachen, nicht aber bei den Lehrgängen, die auf einen Abschluss der höheren Berufsbildung vorbereiten. Ähnliche Erfahrungen macht Erika Bigler vom St. Galler BALance-netz. Stark rückläufig seien Angebote, die es nicht zum Überleben brauche. Gut nachgefragt würden dagegen Bewerbungscoachings und Selbstvermarktungskurse. Die BALance Arbeitslosenkurse sind voll.

Wenig von der Wirtschaftskrise spürt Andreas Zellweger von der Akademie St. Gallen. Die Sachbearbeiter-Lehrgänge wiesen eine gute Nachfrage auf. Doch stellt auch er fest: «Die Leute, die sich anmelden, kommen eher aus eigener Motivation, und nicht auf Anregung des Arbeitgebers.» Auch hier gilt: «Die Leute vergleichen mehr.» Und: «Wir müssen sehr viel stärker akquisitorisch tätig sein als vor drei bis fünf Jahren.» Generell gehe der Trend eher weg von den eidgenössischen Berufsprüfungen und mehr in Richtung höhere Fachschulen. Keinerlei Auswirkungen der Krise registriert das Zentrum für Weiterbildung an der ETH Zürich bei den Neueintritten zu den akademischen Weiterbildungslehrgängen CAS, DAS und MAS.

Nachhaltige Entwicklung ist gefragt

Gelassen bis optimistisch ist man dort, wo es um Sinnfragen und Nachhaltigkeit geht, so etwa in der Paulus-Akademie in Zürich, beim Bildungshaus Gutenberg in Balzers und im Lasalle-Haus in Edlibach. «Unsere neuen Ethikangebote sind gut angelaufen», sagt Lasalle-Geschäftsführer Gerhard Ruff. «Die Bereitschaft, darauf zu hören, dass es noch etwas anderes gibt als 14 Prozent Rendite, hat zugenommen.»

Bei sanu, Bildung für nachhaltige Entwicklung in Biel, sind vor allem jene Angebote stark gefragt, die sich an die Bauwirtschaft richten. Den klassischen Eintages-Seminarbetrieb sieht Direktor Peter Lehmann unter Druck, da er vielen Arbeitgebern dazu diene, verdiente Mitarbeitende zu belohnen. Qualifizierte Lehrgänge und massgeschneiderte Inhouse-Schulungen seien in wirtschaftlich schwierigen Zeiten besser positioniert.

«Wir gehen generell davon aus, dass das Thema der nachhaltigen Entwicklung gerade wegen der Wirtschaftskrise, die unseres Erachtens eine Gesellschaftskrise ist, stärkere Beachtung auch in der Weiterbildung erfährt», sagt Peter Lehmann. Es gebe sicher Unternehmen, die bei der Weiterbildung sparen, aber es gebe auch vorausblickende Unternehmen, die erkennen, dass die jetzige Lage nicht eine vorübergehende Laune der Konjunktur sei und dass eine Neuausrichtung und Produktivitätssteigerung vieler Branchen nottue. «Sie nutzen die Gunst der Minderauslastung zur Stärkung der hausinternen Kompetenz. Diese muss möglichst massgeschneidert und wirkungsorientiert sein, damit sie einen Return ermöglicht und als Investition in die Zukunft betrachtet wird.»

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Jolanda Spirig ist die Medienbeauftragte des SVEB. Sie arbeitet als selbständige Kommunikationsberaterin und Buchautorin in Marbach SG.
www.alice.ch, www.medienarbeit.ch

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