Weiterbildung

Diversity in der Weiterbildung: 
Lernen für mich – lernen mit anderen

Wenn der Architekt mit der Lehrerin, die ein Unternehmen geerbt hat, gemeinsam die Schulbank drückt, kann diese 
Heterogenität den Lernprozess fördern. Allerdings braucht es mehr als eine kurze Vorstellungsrunde. Erst durch eine gezielte Steuerung und eine angepasste didaktisch-methodische Gestaltung können die Lernenden voneinander profitieren.

Was haben die Abteilungsleiterin eines mittelgrossen Spitals und der Leiter eines Architektenteams gemeinsam? Und was verbindet den Ingenieur aus einem mittelständischen Unternehmen der Medizinaltechnik mit der Informatikerin aus der Verwaltung? Sie alle haben sich in einem Bildungsgang für Management und Leadership eingeschrieben und wollen den eidgenössischen Fachausweis «Führungsfachfrau/Führungsfachmann» erlangen. Kann das gut gehen, wenn Teilnehmer mit so unterschiedlichem Hintergrund in einer Lerngruppe sitzen? «Ja», sagt Daniel Bürki, Bildungsgangsleiter der EB Zürich, «wichtig ist, die Unterschiede nicht zu verschleiern, sondern sie nutzbringend in den Lernprozess einzubauen.»

Die Lernenden sollen sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit einbringen

Gerade für Weiterbildungswillige aus kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ist Weiterbildung in heterogenen Lerngruppen eine Realität. Sie haben in ihrem Betrieb nur selten eine eigene Weiterbildungsabteilung und sind deshalb auf Angebote von öffentlichen und privaten Institutionen angewiesen. Dort treffen sie auf Gleichgesinnte, die zwar das gleiche Ziel haben, aber mitunter völlig verschiedene Voraussetzungen mitbringen. Welchen Einfluss hat das auf den Lernprozess, wie muss dieser gestaltet werden, damit er für alle erfolgreich ist?

Das Stichwort dazu heisst Diversity Management. Dieses Konzept, das in der Unternehmensführung die Verschiedenheit der Beschäftigten beachtet und zum Vorteil aller Beteiligten nutzen möchte, eröffnet auch in der Weiterbildung neue Perspektiven. Lernveranstaltungen mit den Ansätzen und Methoden des Diversity Management zu planen und zu steuern bedeutet, gezielter als in der Vergangenheit Unterschiede fruchtbar zu machen. Wenn Männer und Frauen zum Beispiel unterschiedliche Lernstrategien haben, so sollen diese gleichberechtigt nebeneinander bestehen und sich gegenseitig ergänzen.

Wie aber müssen Lernveranstaltungen strukturiert sein, die unter dem Aspekt des Diversity Management geplant werden? Schon ganz zu Beginn passiert Entscheidendes. Statt unterschiedliche Voraussetzungen der Lernenden unter den Tisch zu schieben («Das wird sich schon geben»), müssen die Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten in den Lernvoraussetzungen 
transparent gemacht werden. Eine kleine Vorstellungsrunde reicht da nicht aus. Die Teilnehmenden müssen sich respektiert fühlen mit all ihren Werten, Ressourcen und 
Erfahrungen, die sie mitbringen. So werden sie ermutigt, sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit in die Lerngruppe einzubringen.

Anschieben lässt sich das Wahrnehmen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten zum Beispiel mit sogenannten soziometrischen Übungen. Unter verschiedenen 
Aspekten werden Gruppen gebildet, beispielsweise: Wer hat Führungsverantwortung bewusst angestrebt, wer ist eher «reingerutscht»? Wer kann sich ein Job Sharing auch auf Führungsebene vorstellen, wer schreckt davor zurück? Diejenigen Teilnehmenden mit den gleichen Antworten setzen sich zusammen, diskutieren über das Resultat und tauschen sich dann mit den andern «Lagern» aus. Langsam entwickeln sich so Konturen von Biografien und die Menschen, die sich auf einen gemeinsamen Lernprozess eingelassen haben, werden greifbar.

Beim Wahrnehmen der Unterschiede darf es nicht bleiben, denn Vielfalt allein ist noch kein Wert. Diversity Management in der Weiterbildung will die Unterschiede produktiv nutzen. Je nachdem können dafür verschiedene Lernsettings eingesetzt werden. Man kann zum Beispiel in Untergruppen das Gemeinsame verstärken, wenn Teilnehmende aus derselben Branche zusammen diskutieren. Da kumuliert sich bereits vorhandenes Wissen dank des gemeinsamen Hintergrunds. In einer anderen Situation kann es von Vorteil sein, die individuellen Unterschiede bewusst zu verstärken. Teilnehmende mit viel Erfahrung auf einem Gebiet coachen solche, die noch nicht so lange darin tätig sind. Wenn diese allfällige «dumme» Fragen stellen, werden die Erfahreneren zur Reflexion gezwungen, wie sie antworten sollen. «So habe ich das noch nie angeschaut», sagen sie dann allenfalls und lernen dadurch automatisch, ein bestimmtes Problem aus einer andern Perspektive anzuschauen.

Genau wie in Arbeitsteams kann auch in Lerngruppen zu viel Verschiedenheit, zu viel Diversity hinderlich sein. Wenn die individuellen Unterschiede unüberbrückbar sind, ist an ein Voneinanderlernen nicht mehr zu denken. Wichtig sind deshalb gemeinsame Spielregeln. Sie schaffen im Umgang miteinander Vertrauen, damit sich die Lernenden mit ihrer ganzen Persönlichkeit einbringen können und nicht Angst haben müssen, für gewisse Andersartigkeiten zu büssen. «Wir hören einander aufmerksam zu» etwa sorgt als einfache Regel dafür, dass jede Meinungsäusserung ernst genommen wird. Ist dies nicht der Fall, sind zum Beispiel Moderationsformen gefragt, die allen Teilnehmenden Raum zur Entfaltung lassen, das Prinzip «Nur wer laut redet, wird gehört» damit nicht mehr gilt.

Neues und anderes Wissen sinnvoll integrieren, statt es auszublenden

Diversity Management in der Weiterbildung ist ein Prozess, der sich über die ganze Dauer einer Lernveranstaltung hinzieht. Eine aufmerksame Leitung und die Lerngruppe müssen sich deshalb ständig fragen, ob sie auf dem richtigen Weg sind. Eine ständig neue Anpassung der eingesetzten Mittel ist hier vonnöten. Wünschen sich in einer Gruppe die einen mehr Theorie und die andern mehr Praxisbeispiele, kann man diesen Ansprüchen nachgeben. Sinnvoller aber ist es, die Beweggründe für die entsprechenden Wünsche herauszuarbeiten.

Ein gut abgestütztes Diversity Management in der Weiterbildung eröffnet riesiges Potenzial. Es erlaubt, neues und anderes Wissen zu integrieren, anstatt es auszublenden und zu verdrängen. Im Vordergrund steht der Austausch und nicht die Abgrenzung, der Horizont erweitert sich.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Bachelor of 
Science FH, Ausbilderin FA, ist an der EB Zürich, Kantonale Berufsschule für Erwachsene, Projektleiterin für Diversity Management. Kursprogramm unter: 
www.eb-zuerich.ch

Weitere Artikel von Eva Müller-Kälin