HR Today Nr. 6/2017: Fehlerkultur

Du musst nicht perfekt sein, du musst schnell sein

Das Perfektions- und Qualitätsdenken hat die Schweiz international erfolgreich gemacht. In Zeiten der digitalen Umwälzungen erweist sich dieses Denken jedoch zunehmend als Stolperstein, konstatiert Firmengründerin und Unternehmensberaterin Sunnie J. Groeneveld.

Niemand ist perfekt. Und doch halten sich viele Firmen für unfehlbar. Das gilt besonders in der Schweiz, denn der Anspruch an Perfektion und Qualität hat das Land auf der Weltwirtschaftsbühne gross gemacht. So wird die Schweiz seit Jahrzehnten mit hoher Qualität, Effizienz und Präzision assoziiert.  Im 21. Jahrhundert werden diese Schweizer Tugenden für viele Unternehmen jedoch zum Stolperstein, denn der Perfektionismus bremst den Mut zum Experiment. Viele Ideen erblicken in der Schweiz nie das Licht der Welt, weil man sie aus Angst vor dem Scheitern gar nicht erst mitteilt, geschweige denn umsetzt, denn,  «wer nichts macht, macht nichts falsch». Oder wie es der Publizist und Philosoph Richard David Precht kürzlich ausdrückte: «Wir dekorieren auf der Titanic die Liegestühle um.» Diese Attitüde könnte besonders hinsichtlich der Digitalisierung der Arbeitswelt verheerend sein.

Demgegenüber steht das Mantra des Silicon Valley, das Epizentrum der digitalen Innovation: «Fail fast. Fail forward», was so viel bedeutet wie «Scheitere schnell. Scheitere vorwärts». Wer hier auch nur einen Tag arbeitet, merkt: Du musst nicht perfekt sein, du musst schnell sein. In diesem Zusammenhang wird auch Reid Hofmann, Gründer von Linkedin, oft zitiert: «Wenn du dich nicht für die erste Version deines Produktes schämst, hast Du es zu spät lanciert.» Imperfektion gilt also als etwas Positives, als Zeichen, dass man es mit der Geschwindigkeit ernst gemeint hat. Bestseller wie «Lean Start­up» von Eric Ries oder «Sprint» von Jake Knapp beschreiben den Prozess des schnellen Starts und ständigen Iterierens detailliert. Fazit: Scheitern ist ein notwendiger Schritt auf dem Weg zum Erfolg. Oder wie Thomas Edison es gegenüber einem Reporter, der ihn auf die 1000 erfolglosen Versuche ansprach, eine marktreife Glühbirne zu entwickeln, ausdrückte: «Ich bin nicht gescheitert. Ich kenne jetzt 1000 Wege, wie man keine Glühbirne baut.»

Mehr als Lippenbekenntnisse

Dass diese Mentalität mit allen Vor- und Nachteilen nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, beweist der in Kalifornien beheimatete Unternehmer Elon Musk auf eindrückliche Weise. Mit seinem 2002 gegründeten Raketenunternehmen SpaceX misslang ihm in den Anfangsjahren dreimal der Start (2006, 2007 und 2008), was ihn fast Konkurs gehen liess. Dennoch trieb er sein Team unermüdlich an, es ein viertes Mal zu versuchen. «Wenn etwas wichtig genug ist, solltest du es tun, auch wenn die Erfolgschancen gering sind», sagte er rückblickend. Wer seine Biografie liest, findet zahlreiche weitere Anekdoten, in denen er das Scheitern als Sprungbrett zum Erfolg nutzt. Die Resultate sind beeindruckend: Jede von ihm gegründete Firma revolutioniert eine ganze Branche: SpaceX die Raumfahrtindustrie, Tesla die Autoindustrie, Solar-City die Energieindus­trie und Pay-Pal die Finanzindustrie. 

Fakt ist: Wir sind in einer immer schnelleren, flexibleren Arbeitswelt tätig, in der die einzige Konstante die ständige Veränderung zu sein scheint. Damit einher geht eine Portion Ungewissheit. Ist das, was ich heute tue, morgen schon wieder veraltet? Ist die Digitalisierung eigentlich gut oder schlecht? Das wird die Zukunft zeigen. Heute wissen wir nur so viel: Die Digitalisierung ist da und will gestaltet werden. Nichts tun ist keine Option, nur ein Vorbote für Disruption. Und die Geschwindigkeit ist oft sehr entscheidend. Nicht die Grossen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen. Doch können wir unserem «Made-in-Switzerland-Qualitätsgütesigel» treu bleiben und gleichzeitig eine «Fail Fast. Fail Forward»-Mentalität entwickeln?

Unterschiedliche Lösungsansätze

Eine omnipotente Antwort auf diese Fragestellung gibt es nicht, nur Ansätze von einzelnen Firmen, die den Brückenschlag zwischen zwei grundverschiedenen Kulturwerten auf die eine oder andere Weise geschafft haben. An dieser Stelle zwei Beispiele: Als Steve Ballmer seinen CEO-Posten bei Microsoft 2014 an Satya Nadella übergab, war es wichtig für die Firma, auch einen kulturellen Wandel einzuleiten und die neuen Schlüsselbotschaften an über 120 000 Mitarbeitende weltweit zu vermitteln. Unter Ballmer war die Kultur sehr produkt- und transaktionsorientiert, Satya Nadella hingegen strebt danach, eine integrierte Experience über alle Produkte und Devices hinweg anzubieten. Cloud und Mensch stehen für ihn im Mittelpunkt. Um diese Schlüsselbotschaften intern zu streuen, so dass sich die Mitarbeitenden auch emotional damit identifizieren, entschied sich Microsoft für eine Zusammenarbeit mit Hugh MacLeod, dem Cartoonisten und Gründer von Gapingvoid. 2015 lancierte Microsoft eine interne Kampagne, die den kulturellen Wandel der Firma auf interaktive Art und Weise für alle Mitarbeitenden zugänglich machen sollte. Das Herzstück der Storytelling-Kampagne war die von Hugh MacLeod illustrierte und digital-animierte Website «Guide to Life Inside Microsoft». Diese wurde zusammen mit zahlreichen Porträts ausserordentlicher Mitarbeitender und Kunden veröffentlicht, die diese neuen Werte und Ideen bereits verkörperten. Auch physische Objekte wie Kaffeekartonbecher oder Stofffiguren wurden basierend auf Gapingvoids «Illustrationen zur Transformation» produziert und innerhalb der Firma an verschiedenen Anlässen verteilt. Zweifelsohne könnte eine solche Storytelling-Kampagne auch in Schweizer Unternehmen angewendet werden, um einen Brückenschlag zwischen Qualitätsbewusstsein und einer modernen Fehlerkultur zu bewerkstelligen.

Einen anderen Weg schlug das Logistikunternehmen DPD Schweiz ein, um den kulturellen Nährboden für mehr Offenheit gegenüber Neuem zu schaffen: Zusammen mit der ETH Spin-off Community und Inspire 925 veranstaltete das Unternehmen in der Logistikhalle einen Innovationstag und lud ausgewählte Mitarbeitende und Führungskräfte sowie acht ETH Spin-offs zu einem Pitch und einem Workshop ein. Nebst den dort entstandenen Ideen und angedachten

Synergiemöglichkeiten färbte insbesondere im Workshop die unternehmerische Can-Do-Mentalität der Gründer auf die DPD-Mitarbeitenden ab. Brücken zwischen Jungunternehmen und etablierten Firmen zu bauen hilft nicht nur, innovative Technologien und Geschäftsideen kennenzulernen, sondern wirkt auch beflügelnd, um die eigene Unternehmenskultur zu modernisieren.

Digitalisierung auf Schweizer Art

Wie man es auch angeht: Mitarbeitende müssen in der Digitalisierung zunehmend differenzieren können, wann sie schnell und agil vorzugehen haben und in welchen Situationen der perfektionistische Schweizer Qualitätsanspruch über die Geschwindigkeit gestellt werden sollte.

Um die Digitalisierung auf Schweizer Art mitzugestalten, braucht es vermutlich beides. Bei manchen Aufgaben und Tätigkeitsfeldern ist es wichtig, dass man präzise wie ein Schweizer Uhrwerk vorgeht. In anderen ist es wiederum entscheidend, dass man losmarschiert, getreu dem Motto «Ein Weg entsteht, wenn man ihn geht». Und wenn es auch mal nicht so klappt, wie man es vorgesehen hat, dann lieber «Fail Fast. Fail Forward», als sich mit dem «Umdekorieren der Liegestühle auf der Titanic» zu beschäftigen.

Damit beide Spielvarianten rege und situativ von allen Mitarbeitenden genutzt werden, braucht es vor allem eines: Mut. Hierbei sind die HR-Verantwortlichen und die Führungskräfte besonders gefordert, denn richtig mutig werden Mitarbeitende nur, wenn sie Wertschätzung dafür erfahren, dass sie etwas Neues ausprobieren und dabei riskieren, einen Fehlschlag zu erleiden, als wenn sie nichts dergleichen tun. In diesem Sinne: Tragen Sie dazu bei, dass in Ihrem Unternehmen eine Unternehmenskultur gelebt wird, in der Mut belohnt und Geschwindigkeit sowie Qualitätsbewusstsein situativ angestrebt werden.

Zur Bildwelt

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2015 lancierte Microsoft eine ausgefallene Kulturwandel-Kampagne. Das Herzstück der interaktiv konzipierten Story­tellings war die vom Cartoonisten Hugh MacLeod illustrierte und digital animierte Website «Guide to Life Inside Microsoft». MacLeod ist Gründer und Chief Creative der Gapingvoid Culture Design Group, die basierend auf den «Illustrationen zur Transformation» auch Objekte wie Kaffeebecher oder Stofffiguren produziert. In der Schweiz wird Gapingvoid von Inspire 925 repräsentiert.

 

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Sunnie J. Groeneveld ist Gründerin und Managing Partner von Inspire 925, einer Beratungsfirma, die auf Mitarbeiter-Engagement, Zusammenarbeit und Innovation spezialisiert ist. Die Bloggerin ist ausserdem Studiengangsleiterin des EMBA Digital Leadership, Workshopleiterin, Referentin, Mitglied beim Future Work Forum, Autorin des Buches «Inspired at Work» und hat Wirtschaft an der Yale Universität studiert.

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