Ethik

«Ethisches Handeln hat grundsätzlich eine Auswirkung aufs Wirtschaftliche»

Antoinette Hunziker-Ebneter ist seit 20 Jahren im Investment tätig. Doch die ehemalige Chefin der Schweizer Börse 
hinterfragte die Nachhaltigkeit der Branche. Sie entschied, sich künftig noch konsquenter auf ihre Werte zu besinnen, 
und gründete die Forma Futura Invest AG. Im Interview mit HR Today teilt sie ihre Visionen über die Möglichkeiten ethischen Handelns in der Finanzbranche.

Was ist für Sie ein ethisches Investment?

Antoinette Hunziker-Ebneter: Das sind Anlagen, die die Lebensqualität fördern. Für die Lebensqualität nutzen wir die Definition vom Millennium Ecosystem Assessment (1). Das heisst, die Anlagen fördern die Gesundheit, die Sicherheit, die Abdeckung der materiellen Grundbedürfnisse, gute soziale Beziehungen und die Wahl- und Handlungsfreiheit von Menschen.

Wie messen Sie ethisches Handeln?

In unseren Analysen wenden wir 200 Kriterien an, die sehr stark darauf fokussieren, wie ein Unternehmen geführt wird. Aber wir untersuchen auch den Produktionsprozess: Wie viel CO2 wird ausgestossen, wie wird mit Wasser und Energie umgegangen, wie sind die Arbeitsbedingungen, vor allem auch in den Entwicklungsländern, wie wird mit Menschenrechten umgegangen? Und worauf wir besonders achten, ist, ob ein Unternehmen nachhaltiges und ethisches Handeln mit der Entlöhnung verknüpft. Die Firma Holcim zum Beispiel verbindet die CO2-Ziele ihrer Regionalleiter direkt mit deren Bonus. Unserer Ansicht nach muss es immer eine Rückkopplung ins Wirtschaftliche geben, denn ethisches Handeln hat grundsätzlich eine Auswirkung auf das Betriebswirtschaftliche. Und wenn eine Firma Kosten verursacht, indem sie die Umwelt schädigt, dann berücksichtigen wir das in unserer Bewertung. Denn letztlich geht das zu Lasten des Steuerzahlers.

Ist nachhaltiges Wirtschaften für Sie gleich ethisches Wirtschaften?

Ja. Entscheidend sind die Werte der Unternehmen. Und da reicht es uns nicht, dass diese in einem Leitbild festgeschrieben sind. Wir wollen auch Beispiele sehen, wie dieses Leitbild umgesetzt wird.

Das ist schwer messbar ...

Wir haben Nachhaltigkeitskriterien entwickelt, wie wir dies messen können, und wir investieren auch nur in Unternehmen, in denen entweder wir selbst oder jemand vom Nachhaltigen Analysten Research Netzwerk oder vom Professorennetzwerk einen Vertreter des Führungsgremiums oder andere Schlüsselpersonen kennt. Wie die Führung die Werte umsetzt, ob sie ein Vorbild ist, ob die Personen abgehoben sind oder mit beiden Füssen auf dem Boden stehen, ist für den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen entscheidend. Ich habe zehn Jahre lang Investmentbanking-Abteilungen geleitet und kann aus Erfahrung sagen, dass wir immer dann Geld verloren haben, wenn Firmenvertreter gelogen oder zu hohe Erwartungen geweckt haben. Es ist also ganz wichtig, die Werte der CEO, des Verwaltungsrates und der Konzernleitung zu analysieren und zu schauen, ob sich deren Wissen ergänzt. Und vor allem muss der Verwaltungsrat dem CEO Paroli bieten können. Um das zu beurteilen, schauen wir auch auf das Salär dieser Leute: Wenn ein CEO sehr viel verdient und Verwaltungsräte um sich schart, die auch sehr viel verdienen, können Sie fast davon ausgehen, dass es sich um ein Ja-Sager-Gremium handelt. Geld korrumpiert, und wenn zu viel gezahlt wird, wird oft einfach nur noch abgenickt.

Was braucht eine Führungskraft, die ethisch handelt?

Authentizität – und die bekommt man nur, wenn Denken, Fühlen und Handeln im Einklang sind. Sich als Unternehmen ethisch zu verhalten, ist nur möglich, wenn die Mitarbeiter genau wissen, was die gemeinsame Wertebasis ist. Und diese muss gemeinsam erarbeitet und auch miteinander umgesetzt werden. Und wenn das nicht geschieht und die Leute sich nicht ernst genommen und respektiert fühlen, müssen sie mit übermässigen Salären gekauft werden. Und es ist schwer, da wieder raus zu kommen, wie sich zurzeit bei gewissen Bankern beobachten lässt.

Wie kamen Sie darauf, ethische Investments anzubieten?

Auf die Idee kam ich während vieler Kundengespräche, denen ich als Handelschefin beiwohnen durfte. Diese liefen immer auf ähnliche Art ab. Ich habe mich also gefragt, ob man nicht individualisierter auf die Kunden eingehen kann, um herauszufinden, was ihnen im Leben wirklich wichtig ist und was sie mit dem Geld, das sie anlegen, bewirken wollen. Als ich angefangen habe, in den Gesprächen diese Fragen zu stellen, habe ich gemerkt, dass die Kunden grosses Interesse daran zeigten. Ich war damals auch an einem Wendepunkt in meinem Leben und habe beschlossen, in meiner zweiten Lebenshälfte meine Werte noch konsequenter zu leben. Mein Ziel ist es heute, den Leuten bewusst zu machen, was sie mit ihrem Geld nachhaltig und auf alternative Weise bewirken können.

Gibt es einen Trend hin zu Ethik und Nachhaltigkeit?

Ja. Wir merken das gerade jetzt. Die Krise hat bewirkt, dass sich die Menschen hinterfragen und nicht mehr so weitermachen wollen wie bisher. Sie wollen nicht  einfach nur anlegen, sondern sinnvoll anlegen und damit einen Beitrag zu einer nachhaltigen Lebensqualität leisten.

Wer investiert ethisch?

Unsere Kunden kommen aus allen Altersgruppen, Branchen und Bildungshintergründen, wirklich sehr gemischt. Es sind einfach Menschen, die bewusst leben wollen.

Kann man mit Ethik Geld verdienen?

Dieser Meinung bin ich absolut. Man kann sicher nicht die Spitzensaläre erreichen, die sich die Banker ausgezahlt haben. Aber diese haben den Kunden ja auch hochmargige Produkte verkauft und ethische Grenzen überschritten. In den Portfolios unserer Kunden befinden sich nur nachhaltige Aktien, Obligationen und Aktienfonds mit Margen von durchschnittlich 1 Prozent und nicht 3 bis 5 Prozent, wie bei gewissen strukturierten Produkten.

Haben Ihre Kunden im Zuge der Finanzkrise viel Geld verloren?

Letztes Jahr haben auch unsere Kunden gemäss ihrem Risikoprofil Geld verloren. Im Mai 2007 sind wir aus den Investmentbanken ausgestiegen, weil diese unsere Nachhaltigkeitskriterien nicht mehr erfüllt haben. Das hat der Performance geholfen und in den vergangenen Monaten haben wir mit den meisten unserer Anlagen wieder Geld verdient. Wir investieren nur in Firmen, die etwas produzieren, das die nachhaltige Lebensqualität steigert und auf der Welt gebraucht wird und somit eine natürliche Nachfrage hat.

Haben Sie ein Beispiel für ein Unternehmen, das nach ethischen Grundsätzen handelt?

Das dänische Unternehmen Vestas – ein Hersteller von Windenergie. Die Firma verfolgt einen integrierten Ansatz von Nachhaltigkeit: Es gibt also nicht nur ein nachhaltiges Produkt, also die Windenergie. Im Verwaltungsrat sind vier Mitarbeiter vertreten, die dadurch in alle strategischen Entscheidungen eingebunden sind.

Gibt es etwas, in das sie nie investieren würden?

Natürlich Waffen oder genmanipulierte Lebensmittel. Aber wir haben nicht einfach nur ein paar Ausschlusskriterien aneinandergereiht. So ist Nachhaltigkeit früher betrieben worden, aber heute ist die Welt zu komplex, als das man so einfach vorgehen könnte. Deshalb haben wir unsere Nachhaltigkeitskriterien entwickelt, die wir bei einer Beurteilung von Firmen zusätzlich zu einer konventionellen Finanzanalyse anwenden.

Wie könnten Börsen ethischer arbeiten?

Börsen könnten als Superkatalysator fungieren, indem sie im Kotierungsreglement einführen, das die Firmen verpflichtet sind, gewisse Nachhaltigkeitskriterien zu erfüllen.

Ich glaube, wenn die Börsen weltweit diese Verantwortung wahrnehmen würden, könnte nachhaltiges Investment einen riesigen Sprung nach vorn machen. Im Moment gibt es weltweit rund 8 Prozent nachhaltige Anlagen. Mein persönliches Ziel ist es, noch zu leben, wenn 25 Prozent nachhaltig angelegt werden. Und die Börsen könnten diesen Prozess beschleunigen. An den Börsen von Johannesburg oder São Paolo gibt es auch schon Ansätze in dieser Richtung und auch der NYSE/Euronext überlegt sich zurzeit, welche Schritte unternommen werden können, um Nachhaltigkeit zu fördern.

Wie steht es um die ethische Kompetenz in den Unternehmen?

Ethische Grundsätze werden einem im Elternhaus oder in der Unternehmung vorgelebt oder eben nicht. Am effektivsten ist durch Eltern und Führungskräfte vorgelebte Ethik. Falls diese Kompetenz nicht durch das Elternhaus mitgegeben wurde, sollte sie während der Ausbildungszeit geschult werden. Leider ist es so, dass Hochschulen im Betriebswirtschaftsstudium Ethik oft nur als ein Nebenfach anbieten, für das sich dann vielleicht eine kleine Gruppe von Studierenden interessiert. Nur wenige Hochschulen integrieren Ethik direkt in das Wirtschaftsstudium. Dabei ist es ja gerade das Spannende, Firmen auch in Bezug auf die ethischen Komponenten ihres Handels zu bewerten und sich zu überlegen, wie Ethik messbar gemacht werden kann. Die Wissensgebiete zusammenzubringen, anstatt sie nebeneinander laufen zu lassen, ist eine wichtige Aufgabe. Denn wohin uns das eindimensionale Denken führt, haben wir gesehen. Damit fahren wir an die Wand.

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Das Millennium Ecosystem Assessment (MA) ist die bislang umfassendste Studie zum Zustand und zu den Entwicklungstrends der Ökosysteme der Erde. Das MA wurde im Jahre 2001 von den Vereinten Nationen in Auftrag gegeben und von über 1300 Wissenschaftlern aus 95 Ländern innerhalb von vier Jahren erarbeitet.

Antoinette Hunziker-Ebneter

ist CEO und Gründungsmitglied der Forma Futura Invest AG. Zuvor war sie bei der Bank Julius Bär & Co als Mitglied der Konzernleitung für den Handel und Verkauf verantwortlich. Davor war sie Vorsitzende der Schweizer Börse und CEO von virt-x, der ersten paneuropäischen Börse mit Sitz in London. Antoinette Hunziker-Ebneter ist 
Vizepräsidentin des VR der BKW FMB 
Energie AG und Mitglied des VR der Gebäudeversicherung Bern. Sie hat ein Lizenziat in Wirtschaftswissenschaften. 2008 wurde sie mit dem Women’s Finance Award ausgezeichnet.

 

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