Firmen verrenken sich fürs BGM
Das Commitment zu Betrieblichem Gesundheitsmanagement (BGM), so die These, muss im Topmanagement gut verankert sein. Eine transparente Kommunikation ist zentral. Das beste BGM-Projekt bringt wenig, wenn nicht Klarheit über Sinn und Zweck auf oberster Stufe besteht. Auseinandersetzung mit dem Thema Mensch & Arbeit ist ein Bewusstwerdungsprozess und nicht selten ein steiniger Weg voller Sprengkraft.

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Prävention ist einer derjenigen Themenkomplexe, welche das Glück haben, dass sie assoziativ per se positiv besetzt sind. Doch da das Leben potenziell tödlich ist, bleibt kein Anlass zu nichtig, um nicht früher oder später im Fadenkreuz der Prävention aufzutauchen. Meist wird auf Risikoverminderung gezielt, anstatt vorhandene Ressourcen zu nutzen. Verbote und Gebote gehen Hand in Hand, zunehmend auch in der Arbeitswelt. Immer stärker wird das Thema Gesundheit auch in Unternehmen hineingetragen. Mit dem zweifelhaften Effekt, dass Vorgesetzte nun auch zum «Gesundheitscoach» ihrer Mitarbeiter mutieren. Das ist oberflächlich betrachtet nicht grundlegend falsch. Die Theorie sagt es uns ja deutlich: «Gesundheit ist Chef-sache.» Hier verbirgt sich jedoch auch erhöhtes Konfliktpotenzial.
Es ist unbestritten, dass wir viel Zeit am Arbeitsplatz verbringen und mit mehr oder weniger Herzblut bei der Sache sind. Arbeit ist jedoch auch Quell von Selbstverwirklichung, Erfolg, verbunden mit dem Gefühl, gebraucht zu werden. Es ist durchaus kritisch zu hinterfragen, wie sehr der Arbeitgeber letztlich für die Gesundheit seiner Belegschaft in die Pflicht genommen werden soll.
Patrons, Vorgesetzte und Manager sind in ihrem Selbstverständnis Macher. Und da «lösungsorientiert» schon fast zum Mantra einer jeden dynamischen Unternehmenskultur gehört, wird eben gemacht. Und weil auch BGM genuin als gut gilt, wird umgesetzt, was das Zeug hält. Die Praxis zeigt es deutlich: Es wird wenig reflektiert, wo die Grenze zwischen Eigenverantwortung und Delegation ans Kollektiv liegt. Vergessen wir nicht, Firmen sind Arbeitsgemeinschaften, Versicherungen sind Risikogemeinschaften und dergestalt prädestiniert, die Selbstverantwortung des Einzelnen subtil zu unterlaufen. BGM bedingt also einen Prozess der Bewusstwerdung auf Ebene der Verantwortungsträger, was BGM kann und soll.
Muss jeder in BGM investierte Franken einen ROI erzielen?
BGM kann in der Tat einiges (bewirken), das Meiste jedoch nicht. Man erwartet viel, ist sich zu wenig im Klaren, wie Effekte von BGM gemessen werden können, oftmals auf Grundlage von zweifelhaftem Commitment aus der Führungsetage. Zudem ist dem Thema BGM das Dogma inhärent, dass jeder investierte Franken einen Return on Investment (ROI) erzielen muss.
Der simpelsten ökonomischen Logik liegt das Verständnis zugrunde, dass final ein Effekt erzielt werden muss. Auch diesem Credo könnte man recht eigentlich bedenkenlos folgen, wäre da nicht der Umstand, dass das Zielfeld entscheidend dafür ist, wie die Errechnung des besagten ROI ausfällt. So kann man relativ gut messen, ob sich die Absenzquote in die gewünschte Richtung entwickelt. Ob das jedoch nachhaltig zu kürzeren Absenzen führt, ist nur durch vertiefte Analyse zu ermitteln. Es gibt gerade hierzu viel Evidenz, anzunehmen, dass eine zu enge Fokussierung auf Kurzzeitabsenzen zu Präsentismus führt. Also dazu, dass das Individuum noch eine Zeit lang krank zur Arbeit erscheint und dann später längere Zeit ausfällt.(1)
Kann Prävention den Handlungsbedarf abfedern?
Die durch Arbeit verursachten Gesundheitskosten in der Schweiz betragen je nach Lesart zwischen 6 und 12 Milliarden. Daraus Handlungsbedarf abzuleiten, den man mittels Prävention (vulgo: BGM) abfedern kann, erscheint zweifelhaft. Bei Einführung des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) wurde politisch vollmundig das Ziel definiert, die Kosten im Gesundheitswesen einzudämmen.(2) Davon übrig geblieben sind lineare Kostensteigerungen zwischen 5 und 11 Prozent über all die Jahre, was einer Steigerung von rund 3 Millionen Franken pro Tag entspricht.
Jährlich werden in der Schweiz insgesamt rund 1,4 Milliarden Franken für Prävention(3) aufgewendet, was etwa 2,5 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben entspricht. Nun soll auf Gesetzesebene weiter reguliert werden und die Arbeitgeberschaft wird demnächst mit dem Präventionsgesetz(4) beglückt werden. Zudem hat sich die Invalidenversicherung (IV) zum Ziel gesetzt, 17 000 Menschen, die aufgrund von hauptsächlich psychischen Beeinträchtigungen eine Rente beziehen, bis 2017 wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.(5) Die IV glaubt selber nicht ernsthaft an die Realisierbarkeit und man darf annehmen, dass man vielmehr eine Eingliederungsquote für Firmen salonfähig machen will.
Für Firmen heisst das konkret: Der Druck, im Rahmen von BGM präventiv aktiv zu werden, wird zunehmen. Damit einher geht auch ein steigender Kommunikationsbedarf als Resultat einer von oben verordneten Auseinandersetzung mit betrieblichen Gesundheitsfragen. Mit Widerstand darf also gerechnet werden.
Braucht es ein neues Bewusstsein?
Untersuchungen zeigen, dass die Gesundheit von Mitarbeitenden wesentlich und unmittelbar vom Führungsverhalten und von Wertschätzung der Führungskräfte determiniert ist.(6) Freiräume schaffen, Fairness und Transparenz im Umgang miteinander, Unterstützung in meist belastenden Arbeitssituationen etc., das sind die sehr konkreten To-Dos von Vorgesetzten. Stress führt langfristig vor allem dann zu gesundheitlichen Problemen, wenn die Unterstützung der Chefs nicht oder zu wenig greift, also nicht Stress per se.
Das sind eigentlich gute Erkenntnisse. Sie machen nämlich deutlich, dass BGM in der rauen Alltagshektik nicht zur Wissenschaft emporstilisiert zu werden braucht. BGM wird noch immer allzu oft in den Dunst von Soft Skills gestellt oder aber zu reinen Goodies für die hart arbeitende Belegschaft herunterdegradiert. Daran ist die Wohlfühlbranche jedoch zu einem grossen Teil selber schuld. BGM ernst gemeint ist Teil des ordentlichen Unternehmungsführungsprozesses, abgebildet in Strategie, Zielen, Prozessen und Massnahmen.
BGM ist letztlich Management, nicht mehr und nicht weniger. Es bedingt auch keiner anderen Sprache, vielmehr jedoch eines anderen Bewusstseins. Den Diskurs über Gesundheit überlässt man ohnehin besser den Nichtexperten. Wie sie sich fit halte, wurde die deutsche Filmschauspielerin Hildegard Knef einst gefragt. «Ich laufe jeden Tag Amok.» Eine Disziplin, welche robusten CEOs eigentlich liegen müsste.
Checkliste für BGM
- Ist ein Strategiebezug gegeben?
- Wurden realistische, branchenkonforme Ziele definiert?
- Kennt man die eigenen Bedürfnisse (Handlungsfelder)?
- Konnten sinnvolle Messgrössen festgelegt werden?
- Wenn nein, können Bewertungen deskriptiv erfolgen?
- Fliesst der Anspruch an Nachhaltigkeit in konzeptionelle Überlegungen ein?
- Wie transparent wird über die Motivation des Unternehmens kommuniziert?
- Wie geht man mit Widerstand um und wie begegnet man Skepsis?
- Wie ist der laufende Kommunikationsfluss in einem Projekt sicher gestellt?
- Haben wir seriöse und kompetente Partner bei der Planung und Umsetzung?
Quelle: www.vivit.ch
Literatur
1
Eberhard Ulich, Arbeitspsychologie (7. Auflage), 2011
2
Nachzulesen in der Botschaft des Bundesrates vom 6. November 1991
3
Gemäss Bundesamt für Gesundheit, 2011
4
Die Vorlage wird zur Zeit im National- und Ständerat debattiert
5
IVG-Revision 6a (Eingliederungsorientierte Rentenrevision)
6
Gunter Frank, Gesundheitsorientierte Unternehmensführung, 2010