Personalentwicklung

Früh übt sich, wer ein interkulturell 
erfahrener Mitarbeiter werden will

Im Rahmen der Schwerpunktausbildung des dritten und vierten Lehrjahres verbringen Lehrlinge der Bühler AG zwei 
Monate in China. Mit dem Auslandaufenthalt will das Unternehmen schon bei seinen jüngsten Mitarbeitenden das 
interkulturelle Verständnis fördern. Und dabei lernen die Jugendlichen und ihr Arbeitgeber auch viel über sich selbst.

Globalisierung ist für die Bühler AG aus Uzwil schon seit Jahrzehnten Realität – noch bevor der Begriff in aller Munde war. In insgesamt 140 Ländern ist das Technologieunternehmen heute tätig, seit 1984 in China. Dort betreibt Bühler vier Produktionswerke: in Wuxi, Shenzhen, Xian und Changzhou. Dazu kommen eine Reihe von Engineering-, Vertriebs- und Dienstleistungsgesellschaften. Insgesamt beschäftigt Bühler im Reich der Mitte rund 1550 Personen. China ist für das Unternehmen 
somit ein zentraler Zukunftsmarkt.

Dass bei einer solch ausgeprägten Internationalisierung interkulturelles Verständnis gefragt ist, liegt auf der Hand. Aus diesem Grund fängt das Unternehmen schon früh an, die dafür benötigten Fähigkeiten zu fördern: nämlich bei seinen Lernenden. Seit 2008 gibt Bühler jedes Jahr einer Gruppe von ihnen die Gelegenheit, bei einem Auslandeinsatz im chinesischen Wuxi eine völlig andere Arbeits- und Lebenskultur kennenzulernen. Für rund zwei Monate können die Jugendlichen vor Ort eine andere Seite ihres Ausbildungsbetriebes kennenlernen. Das Programm soll in Zukunft noch auf weitere Länder ausgedehnt werden, darunter Indien, die USA, Grossbritannien und Deutschland. Die Einsätze finden im dritten und abschliessenden vierten Lehrjahr statt, die unter dem Motto Schwerpunktausbildung stehen.

Starke Kontraste sollen den grössten  interkulturellen Lerneffekt bieten

Aber warum hat Bühler für solche Auslandpraktika dieses nicht ganz einfache Land gewählt? Zwei Gründe waren dafür ausschlaggebend: Erstens steht in Wuxi die zweitgrösste Fabrik von Bühler. Das erlaubt eine intensivere Betreuung der Lernenden. Zweitens strebt das Unternehmen eine möglichst steile interkulturelle Lernkurve an. Deshalb wurde für das Programm bewusst ein Land gewählt, das sich in vielerlei Hinsicht völlig von der Schweiz unterscheidet.

Die Lernenden werden selbstverständlich nicht unvorbereitet in dieses Abenteuer entlassen. Sie müssen zunächst ein Auswahlverfahren durchlaufen. Bewerben können sich alle Anlagen- und Apparatebauer sowie Polymechaniker aus dem zweiten und dritten Lehrjahr. Aufgrund ihrer sozialen und fachlichen Qualifikation werden dann zehn Lernende ausgewählt. Diese besuchen während eines Semesters an der Berufsfachschule, jeweils am Samstag – zusätzlich zu ihrem üblichen Pensum –, die Fächer Englisch (inklusive technisches Englisch), Schweizer Geschichte und Kultur Chinas. Im konkreten Fallbeispiel wurde das Feld schliesslich auf eine Sechsergruppe reduziert. Anfang Juli 2009 flogen die sechs Lehrlinge schliesslich ins ferne Wuxi. Die Stadt zählt über fünf Millionen Einwohner, was für China keine Seltenheit ist. Die Eindrücke und Erfahrungen wurden abwechselnd in detaillierten Wochenprotokollen festgehalten.

Der ausgeprägte Leistungswille der Chinesen beeindruckt die Schweizer

Das Schweizer Team traf in Wuxi auf eine moderne Infrastruktur. Gleich zu Beginn hatten die Anlagen- und Apparatebauer unter den Lernenden Gelegenheit, einige Übungsteile zu schweissen, um sich mit der Ausrüstung vertraut zu machen. Und noch in der ersten Woche wurde mit den produktiven Arbeiten begonnen. Die Polymechaniker besichtigten zuerst die Lehrlingswerkstatt mit ähnlichen CNC-Fräs- und -Drehmaschinen wie in Uzwil. Die in Chinesisch gehaltenen Steuerungen wurden kurz darauf auf Englisch umgestellt. Da in der Werkstatt niemand fliessend Englisch sprach, waren sowohl Lernende als auch die Belegschaft vor Ort froh, immer wieder auf die zugeteilten Kontaktpersonen zurückgreifen zu können. In erster Linie war dies 
Qu Yongli, der für die fachliche Betreuung verantwortlich zeichnete.

Kulturell bedingt wurden den jungen Lernenden anfangs nicht allzu anspruchsvolle Aufgaben zugewiesen. Zudem war den chinesischen Mitarbeitern der hohe Wissensstand der Lernenden aus der Schweiz nicht im Detail bekannt. Es kam deshalb einer gewissen Herausforderung gleich, ihre beruflichen Qualitäten voll zum Einsatz zu bringen.

Im Lauf der Zeit stellten sich gegenseitig bereichernde Lerneffekte ein. Die Besucher aus Uzwil gaben sich namentlich beeindruckt von der Lernbereitschaft und dem ausgeprägten Leistungswillen der Chinesen. Dazu zählt eine hohe Bereitschaft zu ausserordentlichen Einsätzen, gepaart mit einer stets flexiblen Grundhaltung. Bemerkenswert waren auch die Pünktlichkeit und das Einhalten der Vorschriften.

Umgekehrt dürften den chinesischen Kollegen die Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Jungen aus der Schweiz aufgefallen sein. Dabei gehört zu Eigeninitiative und Selbstorganisation, dass im Einzelfall die gestellte Aufgabe auch einmal hinterfragt wird, bevor man ans Werk geht. Die Chinesen dürften auch das hohe Qualitätsbewusstsein, die Teamfähigkeit und den bewussten Wissensaustausch der Schweizer mit Interesse beobachtet haben. Solche gegenseitigen Erkenntnisse sind äusserst wichtig, um zu wissen, wie man in Zukunft möglichst viel voneinander lernen kann.

Unvorsichtige Taxifahrer: «Weil es nicht ihr eigenes Auto ist?»

Im Wesentlichen werden in Wuxi die gleichen Arbeitstechniken angewendet wie in 
Uzwil. Aber auch da ist doch einiges anders, sprich: wird «flexibler» gehandhabt. Die auf der Maschine gespeicherten Programme werden zum Beispiel gesamthaft abgerufen. Und los geht es mit der Bearbeitung der Werkstücke. Hätte es einen Fehler im Programm, würde man dies erst bemerken, wenn es bereits zu spät ist. In der Schweiz dagegen ist es üblich, jedes einzelne Programm beim ersten Mal und dann wieder nach jeder Veränderung separat zu starten.

Für die Lernenden aus der Schweiz war es immer wieder höchst interessant zu beobachten, wie kreativ die Chinesen im Berufsalltag sind und dabei über Werkzeuge und Hilfsmittel verfügen, die hierzulande bisher unbekannt waren. Mit Hilfe ihrer Phantasie und der notwendigen Improvisationsfähigkeit, die in diesem Land nun einmal notwendig sind, beeindruckten die Einheimischen tagtäglich. Es erlaubt den chinesischen Mitarbeitenden auch, schnell aus den eigenen Fehlern zu lernen und sich so kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Und was hat es jetzt mit den kulturellen Unterschieden tatsächlich auf sich? Übereinstimmend loben alle Teilnehmenden die offene und freundliche Art, mit der ihnen die Chinesen überall begegneten. Die Sitten und Gebräuche sind aber zum Teil doch recht verschieden. Für Jonas Hediger, einen der Lernenden, war zum Beispiel überraschend, dass nach dem Essen der Tisch von den chinesischen Kollegen sofort verlassen wurde, statt noch wie in der Schweiz üblich bei einem Kaffee weiterzuplaudern. Andererseits vermerkte man positiv, wie auch in den Pausen Vorgesetzte und Untergebene miteinander diskutierten. Aufgefallen ist den Besuchern aus Europa zudem das einigermassen chaotische Verhalten im Verkehr, dies trotz der Tatsache, dass ohnehin schon überall ein Gedränge herrscht. «Besonders unvorsichtig scheinen die Taxifahrer zu sein», so Luca Corsano. «Das liegt wahrscheinlich daran, dass es nicht ihr eigenes Auto ist.» Selbstverständlich durften im Freizeitprogramm die chinesischen «Klassiker» nicht fehlen, so der Besuch der Grossen Mauer, ein Abstecher in die Hauptstadt Beijing und ein Blick auf die phänomenalen Terrakotta-Figuren aus der Zeit des ersten Kaisers von China.

«Ohne das Chinaprojekt hätte ich 
nie so viel über mich erfahren»

Wie die nachträgliche Evaluation ergab, hielt sich der technologische Lerneffekt in engen Grenzen. Das war aber auch nicht der Hauptzweck des Einsatzes. Es geht Bühler in erster Linie darum, dass die Lernenden im Hinblick auf ihre künftige Laufbahn Erfahrungen sammeln, wie in einem völlig anderen Kulturkreis gearbeitet, gedacht und gelebt wird. Dieses Ziel wurde offenbar erreicht. So gaben alle Beteiligten dem kulturellen Lerneffekt die Höchstnote. Ein Lehrling ging noch weiter: «Ohne das Chinaprojekt hätte ich nie so viel über mich erfahren.» Besonders hervorgehoben wurden auch die Förderung der Selbständigkeit und die Anwendungsmöglichkeiten der englischen Sprache.

Wo sehen die Teilnehmer Verbesserungsmöglichkeiten? Gewünscht hätte man sich da und dort eine bessere Organisation, um die doch etlichen Stunden ohne Arbeit zu vermeiden (eine wohl typisch schweizerische Bemerkung). Auch wäre mehr technisches Chinesisch anstelle von technischem Englisch willkommen gewesen. Die in der Lehrwerkstatt verbrachte Zeit wurde als eher zu lang beurteilt. Im Weiteren vermisste man da und dort Klarheit, wer eigentlich wo arbeitet. Und schliesslich ein Statement der einzigen weiblichen Teilnehmerin: «In einer solchen Delegation sollten immer mindestens zwei Frauen dabei sein.»

Bühler lässt solche Evaluationsergebnisse jeweils so weit wie möglich in die nächste Runde einfliessen. Gesamthaft überwiegen – sowohl aus dem Blickwinkel von Bühler wie aus der Sicht der Lernenden – die positiven Eindrücke und Erfahrungen mit diesen Auslandprogrammen bei weitem. Die erzielten Lerneffekte sind im Zeitalter der zunehmend globalisierten Wirtschaft Gold wert. Die Teilnehmer werden in ihrer künftigen Berufskarriere von diesem «interkulturellen Kapital», das sie sich bereits in der Lehre erworben 
haben, mit Sicherheit profitieren können.

Das Unternehmen

Bühler ist ein Unternehmen der Verfahrenstechnik, insbesondere für Produktionstechnologien zur Herstellung von Nahrungsmitteln (zum Beispiel Mehl, Teigwaren, Reis, Schokolade) und technischen Materialien. Bühler ist in über 140 Ländern tätig, rund 
60 Prozent der weltweit rund 7700 Mitarbeitenden sind im Ausland beschäftigt. Im 
Geschäftsjahr 2008 erwirtschaftete das 
Unternehmen einen Umsatz von 1,9 Milliarden Franken.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Andreas Bischof ist Leiter 
Berufsbildung der Bühler AG in 
Uzwil.

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