Unvorsichtige Taxifahrer: «Weil es nicht ihr eigenes Auto ist?»
Im Wesentlichen werden in Wuxi die gleichen Arbeitstechniken angewendet wie in Uzwil. Aber auch da ist doch einiges anders, sprich: wird «flexibler» gehandhabt. Die auf der Maschine gespeicherten Programme werden zum Beispiel gesamthaft abgerufen. Und los geht es mit der Bearbeitung der Werkstücke. Hätte es einen Fehler im Programm, würde man dies erst bemerken, wenn es bereits zu spät ist. In der Schweiz dagegen ist es üblich, jedes einzelne Programm beim ersten Mal und dann wieder nach jeder Veränderung separat zu starten.
Für die Lernenden aus der Schweiz war es immer wieder höchst interessant zu beobachten, wie kreativ die Chinesen im Berufsalltag sind und dabei über Werkzeuge und Hilfsmittel verfügen, die hierzulande bisher unbekannt waren. Mit Hilfe ihrer Phantasie und der notwendigen Improvisationsfähigkeit, die in diesem Land nun einmal notwendig sind, beeindruckten die Einheimischen tagtäglich. Es erlaubt den chinesischen Mitarbeitenden auch, schnell aus den eigenen Fehlern zu lernen und sich so kontinuierlich weiterzuentwickeln.
Und was hat es jetzt mit den kulturellen Unterschieden tatsächlich auf sich? Übereinstimmend loben alle Teilnehmenden die offene und freundliche Art, mit der ihnen die Chinesen überall begegneten. Die Sitten und Gebräuche sind aber zum Teil doch recht verschieden. Für Jonas Hediger, einen der Lernenden, war zum Beispiel überraschend, dass nach dem Essen der Tisch von den chinesischen Kollegen sofort verlassen wurde, statt noch wie in der Schweiz üblich bei einem Kaffee weiterzuplaudern. Andererseits vermerkte man positiv, wie auch in den Pausen Vorgesetzte und Untergebene miteinander diskutierten. Aufgefallen ist den Besuchern aus Europa zudem das einigermassen chaotische Verhalten im Verkehr, dies trotz der Tatsache, dass ohnehin schon überall ein Gedränge herrscht. «Besonders unvorsichtig scheinen die Taxifahrer zu sein», so Luca Corsano. «Das liegt wahrscheinlich daran, dass es nicht ihr eigenes Auto ist.» Selbstverständlich durften im Freizeitprogramm die chinesischen «Klassiker» nicht fehlen, so der Besuch der Grossen Mauer, ein Abstecher in die Hauptstadt Beijing und ein Blick auf die phänomenalen Terrakotta-Figuren aus der Zeit des ersten Kaisers von China.
«Ohne das Chinaprojekt hätte ich nie so viel über mich erfahren»
Wie die nachträgliche Evaluation ergab, hielt sich der technologische Lerneffekt in engen Grenzen. Das war aber auch nicht der Hauptzweck des Einsatzes. Es geht Bühler in erster Linie darum, dass die Lernenden im Hinblick auf ihre künftige Laufbahn Erfahrungen sammeln, wie in einem völlig anderen Kulturkreis gearbeitet, gedacht und gelebt wird. Dieses Ziel wurde offenbar erreicht. So gaben alle Beteiligten dem kulturellen Lerneffekt die Höchstnote. Ein Lehrling ging noch weiter: «Ohne das Chinaprojekt hätte ich nie so viel über mich erfahren.» Besonders hervorgehoben wurden auch die Förderung der Selbständigkeit und die Anwendungsmöglichkeiten der englischen Sprache.
Wo sehen die Teilnehmer Verbesserungsmöglichkeiten? Gewünscht hätte man sich da und dort eine bessere Organisation, um die doch etlichen Stunden ohne Arbeit zu vermeiden (eine wohl typisch schweizerische Bemerkung). Auch wäre mehr technisches Chinesisch anstelle von technischem Englisch willkommen gewesen. Die in der Lehrwerkstatt verbrachte Zeit wurde als eher zu lang beurteilt. Im Weiteren vermisste man da und dort Klarheit, wer eigentlich wo arbeitet. Und schliesslich ein Statement der einzigen weiblichen Teilnehmerin: «In einer solchen Delegation sollten immer mindestens zwei Frauen dabei sein.»
Bühler lässt solche Evaluationsergebnisse jeweils so weit wie möglich in die nächste Runde einfliessen. Gesamthaft überwiegen – sowohl aus dem Blickwinkel von Bühler wie aus der Sicht der Lernenden – die positiven Eindrücke und Erfahrungen mit diesen Auslandprogrammen bei weitem. Die erzielten Lerneffekte sind im Zeitalter der zunehmend globalisierten Wirtschaft Gold wert. Die Teilnehmer werden in ihrer künftigen Berufskarriere von diesem «interkulturellen Kapital», das sie sich bereits in der Lehre erworben haben, mit Sicherheit profitieren können.
Das Unternehmen
Bühler ist ein Unternehmen der Verfahrenstechnik, insbesondere für Produktionstechnologien zur Herstellung von Nahrungsmitteln (zum Beispiel Mehl, Teigwaren, Reis, Schokolade) und technischen Materialien. Bühler ist in über 140 Ländern tätig, rund 60 Prozent der weltweit rund 7700 Mitarbeitenden sind im Ausland beschäftigt. Im Geschäftsjahr 2008 erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von 1,9 Milliarden Franken.