HR Today Nr. 1&2/2017: Porträt

Die Aufsteigerin

Von der Software-Entwicklerin zur HR- und Marketingchefin und zur CEO. Die Karriere von Gabriela Keller ist eng mit der Erfolgsstory der Zürcher Softwarefirma Ergon Informatik verbunden. Ein Porträt.

«Seit unserem Einzug Anfang Oktober 2014 platzen wir wieder aus allen Nähten», erklärt Gabriela Keller, die uns im markanten Backsteingebäude einer ehemaligen Seidendruckerei an der Zürcher Merkurstrasse empfängt, die zuvor das Institut für angewandte Psychologie beherbergte. Gerade acht Wochen habe es gedauert, um für die wachsende Belegschaft den neuen Firmensitz zu renovieren und die Arbeitsplätze der Mitarbeitenden von drei Standorten hierher zu verlegen. Eine Aufgabe, die nicht abgeschlossen sei, fährt Gabriela Keller fort, die seit dem 1. Juli 2016 als neue CEO der Ergon Informatik amtet. Im Gebäude an der Merkurstrasse ist es in den vergangenen Monaten tatsächlich so eng geworden, dass von den 260 Mitarbeitenden Mitte 2016 fünfzig an den früheren Standort beim Kreuzplatz umziehen mussten. Vorerst ist kein Ende dieser Entwicklung abzusehen: «Wir haben viele laufende Projekte. Gleichzeitig wollen wir aber auch Neues ausprobieren. Um dafür Luft zu haben, brauchen wir mehr Leute.» Personal, das Ergon hauptsächlich über Mitarbeiterempfehlungen rekrutiert. Wachstum sei jedoch nicht das Ziel, sondern das Ergebnis erfolgreicher Arbeit. Die jährlich rund 300 Projekte der über 220 Kunden aus der Finanzwirtschaft, der Industrie, der öffentlichen Hand und der Telekommunikation wickelt Ergon mit eigenem Personal ab. Darauf ist Keller sichtlich stolz: «Wir sind wahrscheinlich die einzige Schweizer Software-Firma dieser Grösse, die kein Near- oder Offshoring betreibt.»

Lohntransparenz und Mitbestimmung

Auch Gabriela Keller gelangte über eine Mitarbeiterempfehlung zu Ergon Informatik. Ein Informatik-Studienkollege hatte ihr an der ETH von Ergon vorgeschwärmt. «Er arbeitet übrigens immer noch hier», sagt die 47-Jährige lachend. Als fünfzehnte Mitarbeiterin im Jahr 1994 in der Funktion einer Software-Entwicklerin und Projektleiterin eingetreten, hat sie viele Entwicklungsschritte des Unternehmens hautnah miterlebt: So auch die Auswirkungen des Team-Buy-outs 1992, als das damals achtköpfige Ergon-Team die Aktien eines Mitbegründers von Ergon übernahm. «Das war der Anfang der Ergon-Unternehmenskultur von gleichberechtigten Mitarbeitenden, die am Runden Tisch Entscheidungen gemeinsam trafen.» Seither hätten sich die vier prägenden Unternehmenswerte etabliert: Gleichstellung aller Mitarbeitenden, Transparenz der Unternehmensdaten, was auch die Offenlegung aller Löhne beinhalte, Mitbestimmung der Mitarbeitenden sowie Beteiligung aller Beschäftigten am Risiko und am Erfolg.

Knapp sechs Jahre nach dem Einstieg von Gabriela Keller bei Ergon zählt das Unternehmen im Jahr 2000 bereits sechzig Mitarbeitende. Es folgt eine erste Reorganisation: So wird die Geschäftsleitung im Zuge des anhaltenden Wachstums auf fünf Mitglieder erweitert, was der 31-Jährigen die Chance eröffnet, von einer Teamleitungsfunktion im Software-Engineering in die Geschäftsleitung zu wechseln. Im Zuge der Unternehmensentwicklung übernimmt sie die Verantwortung für das Marketing und das HR. «Ich bin sehr interessiert an Menschen», erklärt sie die Wahl der beiden Fachgebiete. «Die Aufgabe von HR, Menschen zu finden, ihre Arbeitsplätze zu gestalten und sie in ihrer Entwicklung über Jahre hinweg zu begleiten, hat mich sehr angesprochen.» Beim Marketing sei es derweil der kommunikative Teil gewesen, der sie angezogen habe: «Um nach aussen zu kommunizieren, was das Unternehmen macht.» Das stetige Wachstum fordert von Gabriela Keller jedoch seinen Tribut. Sich zeitgleich ums Personal und ums Marketing zu kümmern, sei ihr bei der stark zunehmenden Firmengrösse «irgendwann zu viel geworden». Mit der heutigen HR-Chefin Claudia Zirn erhält Gabriela Keller tatkräftige Unterstützung. «Sie hat anfänglich einige HR-Aufgaben, danach die Personalleitung übernommen.» 2012 stiess Annette Kielholz dazu, die sich seither um die Kommunikation und das Marketing kümmert.

Von der HR-Chefin zur CEO als logische Folge

Langweilig ist es Gabriela Keller in ihrer 22-jährigen Firmenzugehörigkeit nie geworden: «In einem KMU wie dem unsrigen gibt es immer neue Prioritäten.» So hätten manche Situationen eine Fokussierung auf Personalaufgaben erfordert, andere eine vermehrte Investition ins Marketing. Spannend sei genau dieser Wandel der Aufgaben. «Kaum hat man etwas abgeschlossen, kommt ein neues Projekt hinzu.» So sei auch der Wechsel ins CEO-Amt nicht aus Karrierestreben erfolgt.  Ihre Karriereschritte vom Software-Engineering in die Geschäftsleitung und vom Geschäftsleitungsmitglied zur CEO sieht sie vielmehr als logische Folge eines langen Prozesses. «Für mich funktionieren immer verschiedene Szenarien.» Sie habe nie ein bestimmtes Bild einer Situation im Kopf, die in der Realität genau so sein müsse, damit sie zufrieden sei.

Zur Person

Gabriela Keller (47) wächst als Lehrerstocher in Zürich-Wiedikon auf. Dort besucht sie die Kantonsschule und sammelt im Rahmen eines Freifachs erste Programmiererfahrungen, die sie auf dem Mac ihres Vaters vertieft. Ihr Interesse für Mathematik und das Programmieren führt sie über ein Informatikstudium an der ETH in ihre erste Anstellung als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Informationssysteme der Hochschule. Nach neun Monaten verlässt sie das Institut zugunsten einer praxisorientierteren Tätigkeit bei Ergon Informatik, wohin sie über die Empfehlung eines Studienkollegen gelangt. 1994 steigt sie zunächst als Software-Ingenieurin und Projektleiterin bei Ergon ein, bevor sie als Teamleiterin im Jahr 2000 in die Geschäftsleitung wechselt und später für das Personal und Marketing die Verantwortung übernimmt. Im Juli 2016 wird sie im Rahmen einer mehrjährigen Nachfolgeplanung zur CEO ernannt.

Hierarchiestufen abbauen

Der Rollenwechsel vom Mitglied der Geschäftsleitung zur Leiterin dieses Gremiums habe sich aufgrund des Verjüngungsprogramms der Geschäftsleitung ergeben, das der frühere CEO Patrick Burkhalter vor fünf Jahren angestossen hatte. Infolgedessen wechselten 2016 vier Abteilungsleiter in die Geschäftsleitung, wodurch bei Ergon eine Management-Hierarchiestufe abgebaut werden konnte. Nebst kürzeren Kommunikationswegen habe das den Vorteil, «dass die Abteilungsleiter ihre Anliegen direkt in der Geschäftsleitung einbringen können». Insgesamt sei die Geschäftsleitung so von fünf auf acht Personen angewachsen. «Wir wollten einen grösseren Wandel auslösen und nicht nur einzelne Personen ersetzen», erklärt Gabriela Keller die Hintergründe der Verjüngungsstrategie. Der Zeitpunkt dafür sei richtig gewesen. «Wir hätten zwar noch ein paar Jahre in der bisherigen Geschäftsleitungskonstellation weiterfahren können, aber es war uns wichtig, den Generationenwechsel rechtzeitig einzuläuten, damit der altersmässige Unterschied zu nachrückenden Führungsgeneration nicht immer grösser wird.»

Als eine der wenigen weiblichen Geschäftsführerinnen hat Gabriela Keller mit ihrer Einberufung zur CEO von Ergon Informatik eine exponierte Stelle eingenommen. Wie fühlt sich das an? «Als Frau weiss man ja nicht, wie es wäre, wenn man keine Frau ist», meint sie schmunzelnd. «Was mich überrascht und gefreut hat, waren die vielen Reaktionen zu meinem Amtsantritt.» So hätten sich auch ehemalige Mitstudentinnen gemeldet und Bekannte, von denen sie lange nichts mehr gehört habe. «Für mich selbst spielt es keine Rolle, ob eine Frau oder ein Mann CEO ist.» Im Jahr 2016 sollte das ja eigentlich nichts Besonderes mehr sein. «Es braucht wohl noch ein paar Jahre, bis das Alltag ist.»

In ihrer Rolle als CEO beschäftigt sie besonders die digitale Transformation, weil viele Firmen kompetente Informatikdienstleister suchen, um im digitalen Wandel zu bestehen. Darum sei Ergon Informatik auf entsprechend qualifizierte Mitarbeiter angewiesen.

Zehn Tage Weiterbildung für alle

Um nicht einfach ETH-Absolventen «abzuschöpfen», ohne selbst etwas gegen den Fachkräftemangel zu unternehmen, bildet das Unternehmen derzeit neun junge Lernende in vier Jahren zu Applikationsentwicklern aus, beteiligt sich an Nachwuchsförderungsprojekten und investiert erheblich in die Weiterbildung der Mitarbeitenden. Pro Jahr kann sich jeder Ergon-Mitarbeitende zehn Tage weiterbilden, wobei der Begriff «Weiterbildung» breit gefasst ist. Nebst dem Selbststudium gehört der Besuch von internen Vorträgen, Konferenzen, Messen und Kursen ebenso dazu, wie die Teilnahme an sogenannten Hackathons, bei denen verschiedene Teams ausserhalb des Projektgeschehens neuartige Softwareprobleme lösen.

«Wir wollen, dass sich unsere Leute weiterbilden und neue Dinge ausprobieren», sagt Gabriela Keller. Nicht nur für die Arbeitsmarktfähigkeit der Mitarbeitenden, sondern auch, damit das Unternehmen am Puls der Zeit bleibe. «Die Welt hat sich nach der Abwicklung eines langjährigen Projekts technisch meist bereits schon wieder weiterentwickelt.» Deshalb sei es wichtig, «dass sich unsere Leute ständig neues Wissen aneignen, auch wenn sie es im Projektalltag noch nicht anwenden können».

Überzeitkompensation als Pflicht

Nachwuchsförderung ist für Gabriela Keller auch privat ein Anliegen: So engagiert sie sich seit über fünf Jahren beim Verband ICT Berufsbildung in der Prüfungskommission, die sicherstellt, dass die eidgenössischen Berufsprüfungen korrekt ablaufen. Daneben legt die 47-Jährige grossen Wert auf die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ihres Wohnorts Wollerau, wo sie mit ihrem Lebenspartner lebt und aktiv am Dorfleben teilnimmt, indem sie Kulturveranstaltungen lokaler Künstler besucht, die sie in ihrer früheren Funktion als Präsidentin der Kulturkommission kennengelernt hat.

Um «den Kopf frei zu bekommen», verbringt Gabriela Keller viel Zeit draussen in der Natur und beim Sport. Am liebsten beim Skifahren im Hoch-Ybrig. Zudem versucht sie andere Sportarten so gut wie möglich im Alltag zu integrieren. Etwa, indem sie über Mittag joggt, an den Ergon-Yoga-Stunden teilnimmt oder im Sommer mit dem Velo von Wollerau nach Zürich radelt.

Es sei ein ständiges Austarieren von verschiedenen Ansprüchen, um ihre Interessen und Tätigkeiten unter einen Hut zu bringen. Das gelinge ihr jedoch recht gut, denn auch als CEO von Ergon könne und müsse sie ihre Überzeit kompensieren. Daher sei sie gezwungen, «einen vernünftigen Mix zwischen Arbeit und Freizeit» zu finden, obwohl die Grenze fliessend sei, «da man ja nicht jede Minute, die man über die Firma nachdenkt, als Arbeitszeit aufschreibt».

Ergon Informatik

1984 gegründet, entwickelt Ergon Informatik Software-Lösungen und Consulting-Projekte für Firmen aus der Finanzwirtschaft, der Industrie, der öffentlichen Hand und der Telekommunikation und ist Anbieterin eines Produkts für Webapplikationssicherheit und Authentisierung. Bei einem Betriebsertrag von 43,7 Millionen Schweizer Franken zählte Ergon Informatik 2015 rund 235 Mitarbeitende, wovon 86 Prozent über einen Hochschulabschluss verfügen. Im selben Zeitraum beschäftigte das Unternehmen neun Lernende und 20 Praktikanten.

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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