Psychologie

Genaues Hinschauen verhindert Arbeitsausfälle

Arbeitsausfälle aufgrund psychischer 
Erkrankungen haben sprunghaft zugenommen. Gezielte Schulungen für Unternehmen helfen, den richtigen Umgang mit Betroffenen zu finden und dadurch Leiden und Ausfälle zu reduzieren.

Depressionen, Burnouts, Suchtverhalten – 40 Prozent aller krankheitsbedingten Abwesenheiten am Arbeitsplatz sind auf psychische Leiden zurückzuführen. Über ein Drittel aller IV-Renten haben eine psychische Erkrankung als Ursache. Noch dramatischer ist die Entwicklung bei den Neurenten: Bereits bei 43 Prozent aller neuen IV-Renten werden heute psychische Gründe als Ursache diagnostiziert (IV-Statistik 2009).

Viele Unternehmen sind mit der Situation überfordert und reagieren zu spät oder gar nicht. Über 60 Prozent aller psychisch Erkrankten erhalten denn auch nicht rechtzeitig eine professionelle Hilfe. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Heilungschance desto grösser ist, je früher eine psychische Erkrankung behandelt wird. Lange Ausfallzeiten, ein Klinikaufenthalt oder gar der Gang in die Invalidität liessen sich demnach mit dem frühzeitigen Ansprechen vielfach vermeiden.

Eine klare Sprachregelung beugt 
Missverständnissen vor

Die Entstehung einer psychischen Krankheit braucht immer einen Auslöser. Dabei kann der Arbeitsplatz der sprichwörtliche letzte Tropfen oder gar Ursache für die Erkrankung sein. Arbeitgeber sind gefordert, hinzusehen und Anzeichen richtig zu deuten. Solche können abnehmende Arbeitsleistung, Erschöpfung, sich häufende Abwesenheiten oder auch ein allgemeines soziales Zurückziehen sein.

Der Kranken- und Unfallversicherer Visana hat auf die starke Zunahme von psychisch bedingten Arbeitsausfällen und den Bedarf von Unternehmen nach Hilfestellung reagiert. In Workshops, welche sich an Personalverantwortliche und Führungspersonen richten, wird der richtige Umgang mit psychisch erkrankten Mitarbeitenden erlernt. Neben der Vermittlung von Wissen über psychische Krankheiten und der Sensibilisierung auf Erkennungsmerkmale wird zusammen mit Fachpersonen trainiert, wie und mit welchen Worten eine Verhaltensänderung angesprochen und gemeinsame Lösungen erarbeitet werden können.

Ein Erstgespräch sollte immer so früh wie möglich stattfinden. Anhand eines Leitfadens müssen Auffälligkeiten angesprochen und erste unmittelbare Hilfeleistungen evaluiert werden. Ein Gespräch soll Sicherheit vermitteln und dem Mitarbeiter Rückhalt geben. Der Arbeitgeber darf keine «billigen Ratschläge» äussern oder sich gar zu einer Diagnose verleiten lassen. Erster Ansprechpartner für eine medizinische Bewertung ist immer der Hausarzt und keinesfalls der Vorgesetzte.

Mit dem Betroffenen muss auch die Kommunikation gegenüber den Mitarbeitenden angesprochen werden. Eine klare Sprachregelung muss allfällige Missverständnisse von vornherein unterbinden. Dies immer unter Wahrung des Datenschutzes, welchem die Arbeitgeber in jedem Fall verpflichtet sind.

Die Workshops finden bewusst in Psychiatriezentren statt, um damit der noch immer bestehenden Tabuisierung der Krankheitsbilder zu begegnen und Vorurteile abzubauen. Ein Psychiatriezentrum ist ein auf die Behandlung von psychischen Erkrankungen spezialisiertes Spital das entsprechende Leiden behandeln und oft auch heilen kann. Dort wird Patienten bei der Bewältigung ihrer Krankheit geholfen, damit sie ihr Leben im gewohnten Rahmen fortführen können.

Betroffene sollten wenn möglich im Arbeitsprozess integriert bleiben

Ziel im Umgang mit psychischen Erkrankungen ist, dass die Betroffenen wenn möglich im Arbeitsprozess integriert bleiben. Gerade bei Depressionen oder Burnout-Symptomen kann dies oft schon mit einer Anpassung von Arbeitspensum und -inhalt erreicht werden. Kommt es trotzdem zu einer längeren Abwesenheit, ist die sorgfältige Organisation der Rückkehr ein weiterer zentraler Bestandteil.

Nur mit einem umfassenden Ansatz, welcher von der Früherkennung über die Krankheitsbewältigung bis zur Wiedereingliederung sämtliche Bausteine integriert, gelingt die erfolgreiche Bewältigung. Auch wenn die Krankenversicherer beispielsweise im Rahmen des Case Managements zentrale Unterstützung bieten, müssen sich Unternehmen bewusst sein, dass die Betreuung psychisch Kranker eine Führungsaufgabe ist, die nicht delegiert werden kann.

Vom richtigen Umgang mit psychisch kranken Mitarbeitenden profitieren alle: die Patienten, indem ihre Krankheit ernst genommen wird und sie professionelle Hilfe erhalten – die Heilung steht immer im Vordergrund. Zu den Gewinnern zählen die Unternehmen, welche Fehlzeiten nachweislich reduzieren und damit die Krankentaggeldprämien positiv beeinflussen.

Gleichzeitig wird den Mitarbeitenden signalisiert, dass Klima und Wertschätzung am Arbeitsplatz zentrale, gelebte Anliegen sind. Und nicht zuletzt hat auch die Gesellschaft ein elementares Interesse daran, wenn bei entsprechendem Engagement der Gang in die Invalidität verhindert und Kostensteigerungen vermieden werden.

Richtige Balance finden

Beatrice Zimmermann ist Personalassistentin beim Technik- und Maschinenbauunternehmen Zaugg AG, welches 150 Mitarbeitende beschäftigt. Für das KMU 
bedeutet jeder Arbeitsausfall Kosten und Umtriebe, die es zu vermeiden gilt. «Es ist in unserem Interesse, sich abzeichnende Probleme frühzeitig zu erkennen. Gerade im Umgang mit psychischen Erkrankungen fehlten bis jetzt aber Erfahrungen. Das Wissen, wie Anzeichen richtig gedeutet werden, hilft enorm.»

Für Beatrice Zimmermann ist entscheidend, so früh wie möglich mit den Betroffenen das Gespräch zu suchen. Dabei gehe es darum, «die richtige Balance zwischen Verständnis und Verbindlichkeit zu finden». Den Betroffenen wird, so Beatrice Zimmermann, «am besten geholfen, 
indem mit offenen Fragen die Sichtweise des Mitarbeitenden abgeholt wird und konkrete, überprüfbare Vereinbarungen getroffen werden». Entsprechend müssten Folgegespräche vereinbart und der betroffene Mitarbeitende im gesamten Prozess begleitet werden.    (ss)

 

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Rita Buchli ist Arbeits- und Organisationpsychologin und bei Visana für das betriebliche Gesundheits
management zuständig.

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