Mitarbeiterumfragen

Gezielte Schwachstellenanalyse bis auf die untersten Führungsebenen

Die Zufriedenheit der Mitarbeiter sagt wenig aus, meint der Autor. Wichtiger sei es, den Schwerpunkt auf die Idenfikation mit dem Unternehmen und auf eine partnerschaftliche Führungskultur zu legen. Denn Firmen, die in diesen Dimensionen hohe Werte aufweisen, sind tendenziell erfolgreicher. Es lohnt sich daher, dort nach Schwachstellen zu fahnden.

Da man generell von einer weit überdurchschnittlichen Zufriedenheit der Mitarbeiter mit dem Unternehmen und den betrieblichen Abläufen ausgehen muss (Selbstbestätigungseffekt bzw. Mitarbeiter hätte sonst meist längst das Unternehmen gewechselt), ist der Wert einer reinen Zufriedenheitsabfrage gering. Erst durch die Standardisierung von Fragen und den über- und innerbetrieblichen Vergleich von Ergebnissen (Neudeutsch: «Benchmarking») entstand ein Instrument, mit dem Schwachstellen im Unternehmen gezielt angegangen werden konnten.

KMU profitierten dabei besonders von der nach und nach bei Dienstleistungsfirmen und in Organisationen(1) angesammelten Fragen- und Daten-Vergleichsbasis, grössere Unternehmen vom Austausch innerhalb der beispielsweise in Deutschland, USA und England entstandenen Benchmark-Gruppen und vor allem durch Vergleich der Abteilungen des eigenen Unternehmens. Voraussetzung war und ist dazu allerdings, dass die Fragen umfassend alle Aspekte des betrieblichen Miteinanders abdecken und die Ergebnisse nach Führungseinheiten aufgegliedert werden, damit beispielsweise Führungsfehler aufgedeckt und nachbearbeitet werden können. Aus diesem Grund schlüsseln wir – mit besonderen Schutzmechanismen für eine absolute Anonymität – die Ergebnisse bis auf fünf Antwortende hinunter auf, da die Führungsspanne vieler Vorgesetzter nicht darüber hinausgeht und es wichtig ist, dass gerade zum Führungsverhalten der Vorgesetzte eine eindeutig nur ihm zuzurechnende Rückmeldung der von ihm Geführten erhält. Jede Gruppe erhält zudem zu allen Fragen die Vergleichswerte der übergeordneten Firmeneinheit sowie des Konzerns.

Unabhängig von den zusätzlichen, nachfolgend beschriebenen Erkenntnismöglichkeiten aus Mitarbeiterbefragungen liegt noch heute der grösste Wert darin, dass jede Arbeitsgruppe nach der Befragung ihre Ergebnisse diskutiert und mit dem Vorgesetzten einen Katalog von Verbesserungsmassnahmen – auch und nicht zuletzt zur Führung und zur Zusammenarbeit untereinander – erarbeitet. Durch einen Monitoring-Prozess über die Personalabteilungen wird die Nachbearbeitung der Ergebnisse und Umsetzung der Verbesserungsmassnahmen strikt nachgehalten.

Nur vor dem Hintergrund, dass die Mitarbeiter sehen, dass ihren Anregungen aus der Befragung konsequent nachgegangen wird, ist zu erklären, dass die Beteiligungsquote zwischen den weltweit durchgeführten Bertelsmann-Befragungen 2002 und 2006 (die nächste Konzernbefragung erfolgt 2010) von 78,7 Prozent auf 84,5 Prozent gestiegen ist. Dabei ist der Nutzen für Klein- und Mittelbetriebe nach unseren Erfahrungen nicht geringer als für grosse Firmen. Immerhin erreichen von unseren 1000 Firmen, die in sehr unterschiedlichen Branchen in mehr als 50 verschiedenen Ländern tätig sind, weniger als 100 eine Grösse von mehr als 100 Mitarbeitern und von diesen wiederum nur um die 50 mehr als 300 Mitarbeiter.

Stellt eine Mitarbeiterbefragung für jedes Unternehmen schon bei methodisch richtiger Anlage ein bewährtes Steuerungsinstrument dar, hat es in den letzten Jahren hinsichtlich zusätzlicher Erkenntnisse noch einen Quantensprung gegeben, der unter anderem die seit 70 Jahren unter Arbeitspsychologen umstrittene Frage beantwortet, ob höhere Arbeitszufriedenheit zu höherer Leistung im Betrieb führt, die Beziehung eher eine umgekehrte ist oder welche anderen Faktoren («Treiber») eine hohe «Job Performance» erzeugen. Die Wissenschaft bezeichnet die Frage als «Holy Grail of industrial psychologists»(2) oder formuliert «Few topics in the history of industrial-organizational psychology have captured the attention of researchers more than the relationship between job satisfaction and job performance.»(3)

Moderne Weiterentwicklung zur 
Outputanalyse

Damit ist die Frage nach dem «Output» gestellt, der sich die Analysen von Mitarbeiterbefragungen in den letzten Jahren zunehmend widmen. Output kann dabei je nach Zweckrichtung der Organisation der betriebliche Gewinn oder auch die Servicequalität gegenüber den Bürgern oder Kunden, ein bestimmtes Teilziel wie die Fehlersicherheit oder die Erhaltung der Gesundheit von Mitarbeitern vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sein.

Da die Identifikation von Mitarbeitern seit langem in Zusammenhang mit dem Output gebracht wird, messen Firmen wie Hilti oder Bertelsmann schon seit Jahren den Identifikationsgrad der Mitarbeiter. Ein Beleg, dass dieser Identifikationsgrad für den Output wesentlich ist und welche betrieblichen Faktoren den Identifikationsgrad beeinflussen, konnte bisher aber nicht erbracht werden. Zwar hat man immer schon statistische Zusammenhänge (Korrelationen) zwischen einzelnen Faktoren in einer Befragung erhoben. Sie ergaben aber kein Gesamtbild und beantworteten schon gar nicht die oben als «Heiliger Gral der Industrie-Psychologen» apostrophierte «Henne und Ei»-Frage, ob Faktor a auf Faktor b oder umgekehrt wirkt. 

Neuere statistische Analysetechniken haben einen Qualitätssprung bei der Suche nach «Outputtreibern» gebracht, namentlich Strukturgleichungsmodelle, auch Pfadmodelle genannt. Sie zeigen nicht nur Zusammenhänge zwischen Faktoren auf, sondern bis hinunter zu einzelnen Fragen die Einflussrichtung, also den Ursache/Wirkung-Zusammenhang. Scheinkorrelationen werden eliminiert und bei gegenseitiger Beeinflussung wird der Saldo, also der überwiegende Einfluss, dargestellt. Insgesamt erhält man einen Einblick in die selbst den Antwortenden unbewussten Zusammenhänge ihrer Meinungsbildung: ein Psychogramm der Belegschaft.

Autonomie und Strategieinformation sind Gesundheitstreiber

Mit dem Strukturgleichungsmodell konnten wir herausarbeiten, was aus Mitarbeitersicht «Schutz der Gesundheit» ausmacht (siehe Grafik 1). Danach erklärt sich der Schutz der Gesundheit zu 62 Prozent (als statistisch sehr signifikant wird bereits ein Erklärungsanteil von 31 Prozent angesehen) durch drei Faktoren: nämlich  a) Autonomie in der eigenen Arbeit, b) Transparenz und Einschätzbarkeit der Unternehmensstrategie und Sicherheit des Arbeitsplatzes sowie c) Zufriedenheit mit der Arbeitszeitregelung. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Autonomie zum einen direkt auf das Gefühl ausreichenden Gesundheitsschutzes wirkt, zum anderen aber auch indirekt über die Zufriedenheit mit der Arbeitszeitregelung. Hier zeigt sich, dass praktisch jeder Mitarbeiter (wichtige 5-Prozent-Ausnahme: Mitarbeiter mit Versagensängsten) nach Arbeitsautonomie (und sei es nur beim Einfluss auf Urlaubs- und Besetzungspläne) strebt und dabei sehr wohl unterscheidet, welcher Autonomiegrad ihm angesichts des Arbeitsinhalts zugestanden werden kann.

Die Wissenschaft bestätigt den von den Mitarbeitern empfundenen Zusammenhang: Vorgänge, die unbekannt oder unbeeinflussbar sind, machen Angst, Angst erzeugt Stress und häufiger Stress wiederum führt zu psychischen wie körperlichen Erkrankungen. Die Psychologen sprechen vom krankmachenden «Kontrollverlust». Forschungen von Robert A. Karasek belegten schon Ende der 70er Jahre, dass gesundheitsschädigender Stress stark vom Entscheidungsspielraum in der Arbeit abhängig ist.(4)

Autonomie und Strategieinformation fördern Identifikation und Leistung

Höchst erfreulich ist, dass die gleichen Faktoren (Autonomie sowie Kenntnis der Unternehmensstrategie), die positiv auf die Gesundheit wirken, auch entscheidend zur Identifikation eines Mitarbeiters mit seiner persönlichen Arbeit und dem Unternehmen beitragen (siehe Grafik 2).

Mit dem äusserst beachtlichen Wahrscheinlichkeitswert von 94 Prozent aus den Daten der Mitarbeiterbefragung 2002 (50 481 Teilnehmer) und sogar 96 Prozent aus den Daten 2006 (64 062 Teilnehmer) lässt sich der Identifikationsgrad auf lediglich vier Faktoren zurückführen: die Autonomie in der eigenen Arbeit, die Kenntnis der Geschäftsstrategie des Unternehmens, die Arbeitsbedingungen und die Vergütung. Wie die Grafik zeigt, beeinflusst die Vergütung mit dem quadrierten Korrelationskoeffizienten nur ca. zu 1 Prozent den Identifikationsgrad – jedenfalls solange sie relativ auskömmlich ist und der bekannten Erfahrung folgt, dass sie «Hygiene»- und nicht Identifikationsfaktor ist.

Die Arbeitsbedingungen spielen eine kaum grössere Rolle. Die Kenntnis der Geschäftsstrategie liegt bei einem Erklärungsanteil von ca. 4 Prozent zwar deutlich höher – aber weit abgeschlagen von annähernd 64 Prozent Einfluss der Arbeitsautonomie. Damit beantwortet sich die Frage, ob nicht eher der geschäftliche Erfolg zu einer höheren Identifikation der Mitarbeiter führe denn umgekehrt. Da das Strukturgleichungsmodell die Beeinflussungsrichtungen und die überschiessenden Salden des Einflusses ausweist, sieht man, dass der in «Geschäftsstrategie» unter anderem enthaltene wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens in der Tat identifikationsfördernd wirkt. Dieser Effekt tritt aber deutlich hinter der weit überragenden Wirkung des Freiraums in der persönlichen Arbeit zurück.

Betriebsergebnis hängt auch von der Unternehmenskultur ab

Aus den Daten der Befragung haben wir für die grössten Bertelsmann-Firmen eine Matrix aus Bewertungen der partnerschaftlichen Führung und des Grades der Mitarbeiteridentifikation erstellt. Dem danach zu ermittelnden Quartil mit den höchsten Werten für partnerschaftliche Führung und Mitarbei
teridentifikation haben wir das Quartil der wirtschaftlich erfolgreichsten Firmen, dem Quartil mit den schlechtesten Werten in der Kombination aus Beurteilung der partnerschaftlichen Führung und Identifikation die Firmen mit den 25 Prozent schlechtesten Wirtschaftsergebnissen gegenübergestellt. (siehe Grafik 3).

Das Firmenquartil mit der Kombination aus guter Führung und hoher Mitarbeiteridentifikation umfasst immerhin etwa doppelt so viele wirtschaftlich erfolgreiche Firmen wie das Vergleichsquartil und nur halb so viele wirtschaftlich wenig erfolgreiche. Nachdem sich dieser Effekt bei einer ersten Untersuchung aufgrund der Ergebnisse der früheren Mitarbeiterbefragung auch schon – sogar noch ausgeprägter – gezeigt und zusätzlich in einem Zeitreihenvergleich bestätigt hat, darf man einen deutlichen Zusammenhang zwischen partnerschaftlicher Unternehmenskultur und wirtschaftlichem Erfolg als gesichert annehmen (so auch die im Internet nachlesbare, im Januar 2008 veröffentlichte, ebenfalls mit Strukturgleichungsmodellen arbeitende Studie des deutschen Arbeitsministeriums(5) – sie wurde überwiegend in Klein- und Mittelbetrieben durchgeführt, ist repräsentativ für 18,5 Millionen deutsche Arbeitnehmer in 195000 Unternehmen angelegt und kommt zu dem Fazit, dass Betriebsergebnisse zu 31 Prozent von der Unternehmenskultur abhängen).

Es lohnt sich für Unternehmen – auch für kleinere und mittlere – daher sehr, Mitarbeiterbefragungen mit einem Schwerpunkt auf Führungskultur durchzuführen und konsequent in Gruppen der jeweils Betroffenen aufarbeiten zu lassen.

Quellen

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Dr. Franz Netta war bis vor kurzem Vice President Human Resources, Personal- und Gesundheitspolitik, Zentrales Personalwesen der Bertelsmann AG in Gütersloh.

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