«Gute Leute sind offen, ihr Wissen in den Dienst des Ganzen zu stellen»
Für Unternehmensberater Frank Arnold ist das «Aktivieren der Intelligenz der Besten» der wirksamste und zugleich kostengünstigste Weg, Lösungen im Unternehmen zu realisieren. Seiner Meinung nach ist in vielen Unternehmen diesbezüglich noch enormes Potenzial ungenutzt.

Frank Arnold: «Es geht auch darum, dass Lösungen, die von allen Topleuten erarbeitet werden, auch von allen im Konsens getragen werden.» (Foto: Sabine Schritt)
Herr Arnold, Sie beschäftigen sich am liebsten mit den Besten, zunächst in Ihrem Buch «Von den Besten lernen», jetzt sind Sie der Kraft der Besten im Unternehmen auf der Spur. Sie sagen, eine Gruppe aus den Besten eines Unternehmens ist immer intelligenter als der Klügste allein. Was heisst das?
Frank Arnold: Die Zeiten, als man auf der Suche war nach dem Wunder-CEO, dem Super-Genie, sind endgültig vorbei. Wenn man Erfahrung, Wissen und Intelligenz der Besten zusammenführt, kann man wesentlich bessere Lösungen schaffen, als wenn man nur das Wissen von wenigen Topleuten involviert.
Wann ist das besonders wichtig?
Je komplexer die Probleme oder je grösser die Chancen sind, desto wichtiger ist es, die kollektive Intelligenz zu nutzen. Insbesondere bei bereichsübergreifenden Themenstellungen kann man hier riesige Potenziale nutzen. Konkret sind das: strategische Neuausrichtung des Unternehmens, operative Implementierung der Strategie, Umsatzsteigerung in den nächsten 18 Monaten, Beschleunigung der Post-Merger-Integration oder Schlüsselprojekte, die für den Erfolg des Unternehmens massgebend sind. Die Liste liesse sich noch beliebig verlängern. Gemeinsam ist allen Themen, dass sie sehr komplex und von zentraler Bedeutung für den Erfolg des Unternehmens oder eines Bereiches sind.
Aber man sagt doch, viele Köche verderben den Brei.
In dem Fall nicht. Wenn 20 Topleute einer Organisation, in der Regel aus der ersten und zweiten Hierarchieebene, gemeinsam eine Lösung erarbeiten, ist das wesentlich effizienter, als wenn jeder nur für sich alleine arbeitet und man die Ergebnisse erst nachträglich zusammenführt.
Dass Unternehmen versuchen, Synergien bei ihren Mitarbeitern zu nutzen, ist nicht neu ...
Das Wort Synergien können viele Führungskräfte nicht mehr hören. Trotzdem liegen insbesondere in der bereichs- und branchenübergreifenden Nutzung von Wissen riesige Potenziale unnötig brach. Es geht auch darum, dass Lösungen, die von allen Topleuten erarbeitet werden, auch von allen im Konsens getragen werden. Das geht weit über Synergien hinaus.
Bedeutet das, dass Experten nicht mehr alleine arbeiten sollen?
Man führt sie zusammen, um gerade aus ihrem Expertenwissen einen Beitrag für alle zu leisten.
Wollen die Experten das denn? Ihr Wissen ist doch ihr Kapital.
Meiner Beobachtung nach sind die guten Leute extrem offen dafür, ihr Wissen in den Dienst des Ganzen zu stellen und sich mit anderen Experten auszutauschen.
Wie können Unternehmen ihre kollektive Intelligenz aktivieren?
Zunächst einmal gilt es, das Schlüsselproblem im Unternehmen als konkrete Fragestellung zu formulieren. Auf diese Leitfrage wird dann das Wissen der Besten fokussiert. Die Wege sind vielfältig und reichen von Klausurtagungen bis zu Konzepten zur Unternehmensentwicklung, die über mehrere Monate gehen. Es gibt kein Patentrezept. Klar ist: Wer sich mit dem Thema befasst, stösst auf viele wertvolle Ansätze, wie man aus eigener Kraft das Unternehmen voranbringen kann.
Doch zunächst einmal muss man die Leute ja in diese Richtung bewegen?
Der erste Schritt liegt in der Regel darin, dass die Topentscheider sagen: Wir wollen das.
Und das soll ohne Konkurrenzdenken, Eifersüchteleien oder sonstige menschliche Regungen funktionieren?
Natürlich bestehen Eigeninteressen von Bereichen. Die Herausforderung ist aber, dass man die legitimen Argumente ausdiskutiert. Man muss eine Unternehmenskultur wollen, in der man Dissens offen austragen kann, um zu konstruktiven Lösungen zu gelangen. Wenn es sein muss, auch mit viel Streit. Es kommen sicher Emotionen hoch.
Besteht da nicht die Gefahr, dass man das Potenzial derjenigen nicht richtig nutzt, die alleine zielführender und effizienter arbeiten?
Die Gefahr besteht nicht; hier geht es um die Frage, die Intelligenz des Ganzen zu nutzen. Wer in dem Prozess zunächst nicht mitspielen möchte, ist vielleicht gerade wegen seiner unterschiedlichen Meinung sehr wertvoll.
Welche Faktoren fördern beziehungsweise hemmen die kollektive Intelligenz?
Das grösste Hemmnis sind Vorstände und Geschäftsleitungen, die ihre Kollegen und Mitarbeiter nicht wirklich ehrlich einbeziehen. Wer eine Unternehmenskultur pflegt, die Hierarchie betont und auch gute Ideen und Kritik nicht wirklich ernsthaft hören will, wird es schwer haben. Nicht alle Vorstände und Geschäftsleitungen wollen diese kritische Auseinandersetzung. Meiner Beobachtung nach verlassen gute Leute über kurz oder lang ein solches Unternehmen. Wer seine Mitarbeiter ehrlich und umfassend bei seinen schwierigsten Themen einbeziehen will, wird sehr viel damit erreichen. Nicht zuletzt erlangt man damit auch viel Respekt. Die Menschen haben ein gutes Gespür, wer ehrlich die Kraft und die Ideen anderer im Interesse des Ganzen nutzen will.
Wie kann in Unternehmen zunächst für das Thema überhaupt Bewusstsein geschaffen werden?
Ich sehe, dass sich das Bewusstsein für das «Nutzen der Intelligenz der Besten» durchsetzt. Die Chancen, die damit zusammenhängen, sind einfach zu offensichtlich. Und die Kosten sind praktisch null.
Haben die Unternehmensberater damit ausgedient?
Beratungshäuser wird es immer geben. Es gibt aber mitunter eine sehr grosse Verdrossenheit in der Zusammenarbeit mit Beratern. Viele Vorstände suchen händeringend nach konzeptionell grundlegend anderen Vorgehensweisen, um schneller zu qualitativ besseren Lösungen zu gelangen. Das Nutzen der Kraft und Intelligenz der eigenen Leute bietet diesen Vorständen diese Möglichkeit.
Welche Rolle spielt das HRM dabei?
Sehr oft sind es die HR-Experten, die das Thema «Nutzen der eigenen Kraft» in die Diskussion einbringen. Sie sind meist sehr offen dafür, neue Wege zu gehen. Das erfordert aber auch Mut und macht nicht nur Freunde.
Ist es nicht sinnvoll, die kollektive Intelligenz immer im Blick zu haben – mit oder ohne Schlüsselproblem?
Ja. Und deshalb nutzen die bestgeführten Organisationen diese Konzepte regelmässig. Und zwar bei Problemen und bei Chancen. Darin steckt eine unglaubliche Macht für wirksame Lösungen und schnelle Umsetzung.
Frank Arnold
hat Jahrgang 1973, ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler und verbrachte während seiner Ausbildung je ein Jahr in den USA, Frankreich, Spanien und China. Über fünf Jahre war er am Malik Management Zentrum St. Gallen tätig, die letzten zwei Jahre als Geschäftsführer eines Unternehmensbereichs. Er ist Autor des Bestsellers «Management – Von den Besten lernen». Mit seiner Zürcher Unternehmensberatung Arnold Management GmbH ist er spezia-lisiert auf das «Aktivieren der Intelligenz in Unternehmen». Arnold ist Kolumnist für das «Manager Magazin» und «Spiegel online», zudem ist er Lehrbeauftragter an der EBS European Business School.