HR ist keine Mitarbeitervertretung!
Ein Plädoyer für den Führungsanspruch der Personalabteilungen – und gegen den Mythos vom «People First»-Ansatz.

HR war ursprünglich nie als Wohlfühlabteilung gedacht, sondern muss die Unternehmensziele kulturell, personell und strukturell mittragen. (Bild: ChatGPT)
Wer in den letzten Jahren mit HR-Abteilungen zusammengearbeitet hat, erkennt ein wiederkehrendes Muster: viel Empathie, viel Vermittlung, viel Harmonie. Aber oft wenig Klarheit, kaum Führung und ein erstaunlich distanziertes Verhältnis zur eigenen unternehmerischen Verantwortung. Die Personalabteilung hat sich in vielen Unternehmen zur internen Befindlichkeitsinstanz entwickelt. Sie sorgt für gutes Miteinander, schöne Benefits und stabile Stimmung. Doch wenn es um Strategie, Tempo und Entscheidungen geht, wird sie selten zuerst gefragt.
Dabei war HR nie als Wohlfühlabteilung gedacht. Die Personalabteilung ist keine Mitarbeitervertretung! Ihr Auftrag ist nicht, jeden Veränderungsschritt im Sinne der Belegschaft abzufedern oder mit moralischer Vorsicht zu prüfen. Ihr Auftrag ist es, unternehmerische Ziele personell, kulturell und strukturell zu ermöglichen – und das bedeutet manchmal, unbequeme Entscheidungen mitzutragen, Spannungen auszuhalten und auch dort Klartext zu reden, wo es weh tut.
Zwischen Harmonieanspruch und Führungsverantwortung
HR wird oftmals mit Empathie, Vermittlung und Ausgleich verbunden. Das hat auch seine Berechtigung – denn wer mit Menschen arbeitet, braucht Fingerspitzengefühl. Doch genau dieses Bild ist zur Falle geworden. Zu oft zieht sich HR in eine Dienstleisterrolle zurück, in der sie entweder administrativer Erfüllungsgehilfe ist oder aber die Stimmungsschwankungen der Mitarbeiter moderiert, statt Entscheidungen zur Erreichung der Unternehmensziele mitzutragen. HR will nicht als «zu hart» wahrgenommen werden. Die Folge: wenig Durchgriff, wenig Vertrauen, wenig Gestaltungsspielraum. Am Ende gehen wichtige Beiträge zur strategischen Steuerung verloren.
«Die eigentliche Herausforderung ist nicht der Spagat zwischen Nähe und Distanz, sondern die Entscheidung für eine klare Haltung.»
– Susanne Krüger-Lampe
Dabei ist die eigentliche Herausforderung nicht der Spagat zwischen Nähe und Distanz, sondern die Entscheidung für eine klare Haltung: HR gehört auf die Seite des Unternehmens und seiner wirtschaftlichen Ziele. Nicht als Gegengewicht zu den Mitarbeitenden, sondern als gestaltender Teil der Führungslandschaft. Wer führen will, muss bereit sein, Position zu beziehen – und zwar mit Blick auf die Ziele, nicht auf Stimmungen.
In anderen Fachbereichen ist das selbstverständlich. Der Vertrieb bewertet Produkte danach, ob sie am Markt bestehen – nicht nach persönlicher Vorliebe. Die Finanzabteilung entscheidet anhand von Zahlen, nicht nach Bauchgefühl. Doch HR leistet sich häufig ein Abwägen, das mit Führung wenig zu tun hat: «Ich kann das so nicht mittragen, das fühlt sich nicht gut an.» Diese innere Distanz zur unternehmerischen Verantwortung wäre in keinem anderen Bereich akzeptabel – und ist genau deshalb ein strukturelles Problem. Verantwortung bedeutet nicht, alles gut zu finden. Aber es heisst, sich der Richtung nicht zu entziehen. Wer wirksam sein will, braucht mehr als Mitgefühl. Nämlich Mut zur Entscheidung – auch dann, wenn sie unbequem ist!
Der Mythos vom «People First»-Ansatz
«People First» ist ein populäres Leitmotiv – und nicht grundsätzlich falsch. Aber es wird oft falsch verstanden. HR ist nicht dafür da, jede Entscheidung am emotionalen Befinden der Belegschaft auszurichten oder jede strukturelle Veränderung auf maximalen Konsens zu trimmen. Führung erfordert mehr als Rücksichtnahme: Sie verlangt Klarheit, Entscheidungsfähigkeit und Loyalität zum unternehmerischen Ziel.
Ein Beispiel: Ein Manager hat im Ausland hervorragende Aufbauarbeit geleistet. Nun gibt es keine passende Funktion mehr im Unternehmen. Der reflexhafte Impuls von HR: «Wir müssen unbedingt eine Lösung finden, um ihn zu halten.» Doch was hat er davon, wenn er nun aus seiner Sicht «degradiert» irgendwo im mittleren Management unterkommt? Manchmal ist die ehrlichste und respektvollste Lösung ein fairer Abschluss – mit einer angemessenen Abfindung, mit Würde und Klarheit. Alles andere wäre künstlich und letztlich demotivierend – für beide Seiten.
«Klarheit ist kein Widerspruch zu Empathie. Sie ist Voraussetzung dafür. Empathie bedeutet nicht, Entscheidungen zu vermeiden, sondern sie respektvoll und konsequent zu gestalten.»
– Susanne Krüger-Lampe
Denn: Klarheit ist kein Widerspruch zu Empathie. Sie ist Voraussetzung dafür. Empathie bedeutet nicht, Entscheidungen zu vermeiden, sondern sie respektvoll und konsequent zu gestalten. Wenn HR das nicht kann oder will, verabschiedet es sich aus der Führungsverantwortung – oft mit fatalen Folgen für die gesamte Organisation.
Die doppelte Verantwortung: HR braucht Position – und Rückendeckung
Dass HR in vielen Unternehmen nicht führt, liegt nicht allein an den Personalabteilungen. Auch die Geschäftsführung, die HR auf Soft-Themen wie Benefits, Konfliktmoderation oder Feelgood-Kultur reduziert, trägt dazu bei, dass die Funktion ihr strategisches Potenzial nicht entfalten kann. Wer HR nicht in strategische Fragen einbindet, muss sich nicht wundern, wenn dort auch kein strategisches Denken stattfindet.
Damit HR wirksam führen kann, braucht es also beides: Selbstverantwortung und strukturelle Legitimation von oben. Personalverantwortliche müssen sich klar als Teil des Führungssystems verstehen – nicht als externe Dienstleister im eigenen Haus. Sie müssen die ökonomischen Rahmenbedingungen kennen, die unternehmerischen Ziele verstehen und sich für deren Umsetzung mitverantwortlich fühlen. Nur so kann HR auf Augenhöhe mitreden, gestalten, mitentscheiden.
Aber diese Selbstverortung funktioniert nicht im luftleeren Raum. Sie braucht Rückendeckung – politisch wie organisatorisch. Geschäftsführungen müssen HR nicht nur dulden, sondern wollen. Sie müssen HR an den Tisch holen, wo Weichen gestellt werden. Und zwar nicht allein, weil es um «die Menschen» geht, sondern weil es vor allem um das Unternehmen geht. Um Struktur, Richtung, Kultur, Veränderung. Führung entsteht nicht durch Absicht allein. Sie braucht klare Rollen, geteilte Verantwortung – und die Bereitschaft aller Beteiligten, HR nicht als Service, sondern als Steuerungseinheit zu begreifen!