Wie stehen Sie zu den Online-Kanälen und Social-Media-Plattformen wie Xing, Linked-In oder Facebook?
Diese Kanäle nutzen wir sehr wohl auch. Persönlich setze ich mich aber nicht mehr gross damit auseinander. Vielleicht später einmal. Im Moment könnte ich das alles aber gar nicht abarbeiten. Ich könnte all den Leuten, die auf diesen Plattformen auf mich zukommen, gar nicht mehr mit dem nötigen Respekt begegnen, weil ich das Gefühl habe, gar nicht allen gerecht werden zu können. Internet und E-Mail reichen mir. Es ist mir klar, dass ich ein Auslaufmodell bin. Aber das darf ich jetzt auch sein. Das ist nun die Aufgabe der Jungen. Ich muss nicht mehr der Treiber sein. Das wäre schlecht fürs Unternehmen. Man muss sich auch lösen können. Wir haben ein sehr gutes Team. Das macht es mir leichter loszulassen. Wenn ich jetzt die Chance nicht ergreife, die Äste des alten Baumes etwas herauszuschneiden, dann bin ich selber schuld. Mein Vater hat immer gesagt: Bäume brauchen Licht, sonst können sie nicht wachsen.
Welches Urteil fällen Sie, wenn Sie die HR-Ausbildung im Rahmen Ihres Wirtschaftsstudiums der 70er-Jahre mit der heutigen HR-Ausbildung vergleichen?
Es war sicher rudimentärer. Wir haben Einblick erhalten ins Tätigkeitsfeld eines Personalchefs. Über die Jahre hat sich dieses Feld enorm entwickelt. Ein Thema, das im Personalwesen seit meiner Zeit als junger Personalchef immer noch diskutiert wird, ist das Anliegen, dass das HR in die Geschäftsleitung gehören sollte. Wahnsinnig viel weiter sind wir in der Beziehung nicht gekommen. Hin und wieder wird das HR der erweiterten Geschäftsleitung angegliedert, oft aber immer noch dem Finanzchef unterstellt.
Ein Evergreen?
Ich kann natürlich nicht für alle Betriebe sprechen, aber mir sind doch einige aufgefallen, wo sich in dieser Hinsicht nichts verändert hat. Eher sogar im Gegenteil, wenn etwa bei Reorganisationen HR-Abteilungen verschlankt und dem Finanzwesen unterstellt werden. Aus meiner Sicht hat das HR nie das Gewicht erhalten, das es eigentlich verdient. Ich nehme die Branche schon so wahr, dass eine gewisse Unzufriedenheit herrscht, weil man sich immer noch zu wenig ernst genommen fühlt.
Wo orten Sie Gründe für dieses Phänomen?
Geschäftsleitungen bestehen heute gewöhnlich aus einem CEO, Finanzchef, Verkaufschef und Produktionschef. Die haben natürlich alle ihr Gewicht. In diesem Kontext werden die sogenannten «internen Dienstleistungen» halt oft nicht so stark gewichtet. Der Personaler ist mehr indirekt aktiv. Indem er die Leute fördert und die Richtigen am richtigen Ort platziert. Das Resultat dieser Arbeit ist nicht so unmittelbar zu sehen und auch schwierig zu messen. Die Fluktuationsrate beispielsweise ist nur bedingt eine zweckmässige Kennziffer, um HR-Leistungen zu messen. Denn bei einer hohen Fluktuation kann ja nicht nur der HR-Verantwortliche schuld sein. Fluktuation hat viel mit der Kultur zu tun, mit der Führung der Leute, mit dem Respekt, den sie erhalten. Darauf kann er ja nur immer wieder aufmerksam machen, aber er wird niemals die unmittelbare Stosskraft eines Linienmenschen haben. Er bleibt ein interner Supporter.
Können Sie hochrechnen, wie viele Interviews Sie in Ihrer Karriere geführt haben?
Es gab strube Zeiten, wo ich an einem Tag acht Interviews hatte. Das habe ich vielleicht zehn Jahre lang gemacht. Insgesamt waren es wohl etwa 20 000 Interviews. Ich sage immer, es war wohl ein Regiment (lacht). Ich freue mich heute noch auf jedes Gespräch.
Apropos Militärsprache: Welche Bedeutung hat das Militär für Sie persönlich und welche Rolle spielt es heute bei der Personalrekrutierung?
Ich hatte in der Familie zwar hohe Militärs, war selber jedoch als 68er mit langen Haaren aufgewachsen und habe in jener Zeit entsprechend rebelliert. Mein oberstes Ziel war es, nicht weitermachen zu müssen. Man hat mich dann gezwungen. So bin ich Fourier-Gehilfe geworden. In der Personalselektion hatte das Militär früher möglicherweise einen zu hohen Stellenwert. Aber wenn mir eine gute Persönlichkeit mit gutem Leistungsausweis gegenübersitzt, die auch noch im Militär eine Führungsfunktion hat, dann ist das heute noch immer ein gutes Mosaiksteinchen. Wobei der militärische Dreiklang «kommandieren, kontrollieren, korrigieren» nicht mein bevorzugter Führungsstil ist.
Mit welchen Methoden arbeiten Sie?
Mit dem sogenannten «Lienert-Loop». Dazu gehören verschiedene Interviewinstrumente und Selbstbeurteilungstools, die wir jeweils individuell mit spezifischen Fragestellungen zur konkreten Aufgabe kombinieren. Zudem lassen wir in manchen Fällen noch ein graphologisches Gutachten erstellen. Auch wenn heute in der Branche viele nichts mehr davon halten. Auch die Resultate der Assessments muss man immer relativieren.
Inwiefern?
Wir haben keine Psychologen bei uns im Team. Ich erinnere mich an eine Geschichte, als ich eine ziemlich prominente Führungsposition zu besetzen hatte. Das war vor etwa zehn bis fünfzehn Jahren, als die Assessments aufkamen. Vom Bauch her hab ich irgendwie gespürt, dass das mit dem favorisierten Kandidaten nicht gut kommt, mit seiner Art in dem betreffenden Umfeld. Er hatte jedoch ausgezeichnete Assessments absolviert und wurde vom Verwaltungsrat auch einstimmig gewählt. Ich hatte damals eine Art Hochachtung gegenüber diesen Assessments. Deshalb habe ich nichts gesagt und drei Monate später hat es geknallt. Da habe ich viel gelernt.
Und zum Assessment-Skeptiker geworden?
Ich habe nichts gegen Assessments. Aber es sollte nicht zu einer Test-Gläubigkeit ausarten, die dazu führt, dass man sich in einer falschen Sicherheit wiegt und die ganze Verantwortung auf die Assessments schiebt. Man kann sich nicht einfach der Verantwortung entziehen. Psychologische Tests sind keine exakte Wissenschaft.
Gibt es etwas, was Sie rückblickend auf Ihre Karriere bedauern?
Dass es mir leider nur selten gelungen ist, auch Quereinsteiger unter die Lupe zu nehmen. Manchmal kommt ein Lebenslauf, der nicht genau das bietet, was ein Profil fordert, zu schnell auf die falsche Seite. Ich habe einfach nicht herausgefunden, wie ich die herauspicken könnte. Aber es gibt Leute, für die ich die Hand ins Feuer legen kann. Auch wenn es manchmal noch einen Mangel gibt in einer Fachkompetenz, ich weiss, der oder die holt das auf. Beispielsweise ein ehemaliger Devisenhändler bei einer Grossbank, der mal die Sozialarbeiterschule und früher die Handelsschule besucht hatte: Er ist Direktor eines Blindenheims geworden. Inzwischen ist er seit 20 Jahren dort und macht einen sensationellen Job. Solche Fälle haben mich bestärkt, auch unkonventionelle Wege zu gehen. Deshalb reut es mich heute vielleicht ein wenig, weil man sich schlussendlich doch überwiegend an die Hard Facts gehalten hat. Aber wenn ein Kunde einen Ingenieur will, obwohl es für den Job vielleicht auch einen guten Ethnologen gäbe, dann müssen Sie irgendwann einschwenken. Oder wenn er Russisch können muss, dann muss er Russisch können, basta.