Arbeit und Recht

Im Loyalitätskonflikt zwischen 
Arbeitgeber und Holdinggesellschaft

Der Konzern im Arbeitsrecht: Was passiert, wenn Konzerne Massenentlassungen planen? Sind die Unternehmen eines Konzerns befugt, Arbeitnehmern eines anderen Unternehmens des gleichen Konzerns Anweisungen zu geben? Wie steht es mit der Sorgfalts- und Treuepflicht eines Arbeitnehmers gegenüber anderen Unternehmen des eigenen Konzerns?

Die Globalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen, die steigende Mobilität der Arbeitskräfte und ein sich mithilfe neuer Technologien ständig beschleunigender Informationsfluss zwingen die Unternehmen zur Optimierung ihrer Organisationsstruktur. Denn nur indem sie ihre Produktivität steigern, können die meisten Unternehmen auf den weltweit vernetzten Märkten bestehen. 

Im Gegensatz zum europäischen Recht(1) korrespondiert keine der Definitionen des Schweizer Arbeitsrechts(2) mit dieser ökonomischen Realität der Konzerne – im Rechtssystem durchaus keine Seltenheit. Trotz dieses Definitionsdefizits haben die Schweizer Gerichte jedoch Beschlüsse erlassen, die für Konzerne von Bedeutung sind. Nachfolgend einige Beispiele.

Verpflichtung zur Konsultation bei 
Massenentlassungen

Nach Art. 335f Abs. 1 des Obligationenrechts (OR) sind Arbeitgeber, die Massenentlassungen planen, gesetzlich dazu verpflichtet, die Arbeitnehmervertretung oder bei deren Fehlen die Arbeitnehmerschaft zu konsultieren. Art. 335d OR definiert Massenentlassungen als Kündigungen, die vom Arbeitgeber in einem Betrieb innert 30 Tagen und aus Gründen ausgesprochen werden, die in keinem Zusammenhang mit der Person des Arbeitnehmers stehen. Ausserdem müssen es:

  • mindestens 10 Arbeitnehmer in Betrieben sein, die in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Arbeitnehmer beschäftigen;
  • 
mindestens 10 Prozent der Arbeitnehmer in Betrieben sein, die in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmer 
beschäftigen;
  • 
mindestens 30 Arbeitnehmer in Betrieben sein, die in der Regel mindestens 300 Arbeitnehmer beschäftigen.

Ein Betrieb gemäss Bundesgericht stellt eine organisierte Struktur dar, die über Personal sowie materielle und immaterielle Betriebsmittel verfügt, die dafür notwendig sind, das Betriebsziel zu erreichen.

Formelle Arbeitgeber sind nicht von ihrer Haftbarkeit entbunden

Laut eines Urteils vom 28. März 2003(3), ausgesprochen vom Arbeitsgericht des Kantons 
Zürich, ist das tatsächliche Arbeitsverhältnis zwischen einem Arbeitgeber und seinen Arbeitnehmern massgebend, um festzustellen, inwieweit der Arbeitgeber verpflichtet ist, das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren der Massenentlassung zu berücksichtigen.

Ausschlaggebend ist somit nicht das wirtschaftliche Verhältnis zwischen den Parteien, sondern das Rechtsverhältnis. Es definiert die Art des Arbeitsverhältnisses und ob daraus die Pflicht resultiert, das übliche Verfahren bei Massenentlassungen zu respektieren, insbesondere die Konsultation der Arbeitnehmer unter Beachtung der angemessenen Frist (von mindestens zehn Werktagen). Formelle Arbeitgeber, deren Entscheidungen vom Mutterunternehmen diktiert werden und die aufgrund dessen über keinerlei Handlungsspielraum verfügen, sind in keiner Weise von ihrer Haftbarkeit entbunden.

Diese «Rechts»-Auffassung für Konzerne im Sinne des Arbeitsrechts wurde vom Bundesgericht anlässlich eines Beschlusses vom 
2. Dezember 2010(4) bestätigt, der einem Genfer Konzern Recht gab:

Im April 2009 hat dieser Konzern seinen Personalbestand reduzieren müssen. Vorgesehen waren 80 Mitarbeiter im ersten Unternehmen (A SA) und 12 Mitarbeiter im zweiten Unternehmen (D SA) des Konzerns. Die im April 2009 ausgesprochenen Kündigungen führten jedoch nicht zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation, weshalb es zu einer zweiten Entlassungswelle kam, von der im Juni 2009 152 Mitarbeitende betroffen waren. Diese Kündigungen verteilten sich auf sechs Unternehmen des Konzerns (A SA, B SA, C SA, D SA, E SA und F SA). Zwei (E SA und F SA) von diesen sechs Unternehmen beschäftigten zum Zeitpunkt der Kündigungen lediglich 6 beziehungsweise 15 Arbeitnehmer.

Im Juli 2009 brachte eine Gewerkschaft den Fall vor Gericht und beschuldigte diese sechs Unternehmen der Missachtung der im Falle von Massenentlassungen geltenden Konsultationspflicht.

Als Aktiengesellschaften stehen E SA und F SA ihren Mitarbeitenden direkt vor, weshalb das Bundesgericht beiden Unternehmen den Status einer Gesellschaft im Sinne von Art. 335d OR zusprach. Ferner berücksichtigte das Bundesgericht die Tatsache, dass das Vorliegen einer Massenentlassung auf der Basis einzelner Unternehmen eines Konzerns ermittelt wird.

Somit waren jene Unternehmen (E SA und F SA), die jeweils über lediglich 6 und 15 Arbeitnehmer verfügten, nicht verpflichtet, das in Art. 335d ff. OR gesetzlich geregelte Verfahren der Konsultation zu respektieren, das lediglich von Unternehmen berücksichtigt werden muss, die mindestens 21 Arbeitnehmer beschäftigen.

In einem Beschluss des Bundesgerichts vom 20. August 2002(5) heisst es, dass ein Nichtbefolgen von Anweisungen des Mutterunternehmens die Kündigung eines Mitarbeiters des Tochterunternehmens in keinem Falle rechtfertigt. Diese Regelung hat ebenfalls Gültigkeit, wenn der Konzern auf zentralisierte Art und Weise vom Mutterunternehmen geleitet wird.

Sorgfalts- und Treuepflicht 
des Arbeitnehmers

Einem Beschluss des Bundesgerichts vom 
28. Juni 2004(6) zufolge bestand keine Verletzung der Sorgfalts- und Treuepflicht (Art. 321a OR), die eine Kündigung mit sofortiger Wirkung rechtfertigen würde, nachdem ein Arbeitnehmer vertrauliche Informationen an einen vom Verwaltungsrat der Holdinggesellschaft ausgeschlossenen Personenkreis vermittelt hatte. Das Gericht stützte seine Entscheidung auf den Umstand, dass zwischen dem Arbeitgeber und der Holdinggesellschaft, welcher er unterstand, rechtliche Zwistigkeiten von solchem Ausmass vorlagen, dass es dem Angestellten, der darüber hinaus noch eine leitende Position innehatte, nahezu unmöglich war, nicht Partei für diesen oder jenen Aktionär und damit (auch für ein ausgeschlossenes) Mitglied des Verwaltungsrates zu ergreifen. Da der vorliegende Arbeitsvertrag in gegenseitigem Einverständnis innerhalb einer Frist auslief, die der üblichen Kündigungsfrist entsprach, wurde die Streitfrage, ob der Fall eine fristgemässe Kündigung gerechtfertigt hätte, vom Bundesgericht nicht entschieden.

Quellen:

(1) 
Richtlinie 2009/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen
(2) 
Urteil des Zürcher Obergerichts vom 19.11.2007, 
ZR 109 (2010) S. 212 ff.
(3)  
SAE 2003, Seiten 91 ff.
(4) 
ATF 137 III 27
(5) 
4C.158/2002
(6) 
4C.95/2005/bie

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Olivia Guyot ist Anwältin und leitet den Rechtsberatungsdienst 
(SAJEC) des Verbands der Westschweizer Unternehmen Genf und ist Generalsekretärin des Verbunds Multinationaler Unternehmen (GEM).

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