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Interkulturelle Kompetenz im Rettungsdienst

Eine verschleierte Frau aus Saudi-Arabien ist zu Besuch bei Verwandten. Sie klagt über starke Herzschmerzen. Rettungssanitäter werden gerufen. Diese Berufsgruppe muss mitten in Zürich interkulturell kompetent sein. Damit sie sich möglichst schnell situationsgerecht verhalten kann, lancierte die Stadt Zürich den Kurs «Interkulturelle Kompetenz im Rettungsdienst». Er ist Bestandteil der Berufsausbildung an der Höheren Fachschule für Rettungsberufe und Teil des Moduls Kommunikation.

«Interkulturelle Kompetenz lebt von Erfahrungen und Reflexion darüber», sagt Michael Bischof, Projektleiter Integrationsförderung der Stadt Zürich und Leiter des Kurses. «Rettungssanitäter sind gewohnt, im medizinischen Bereich nach klar definierten Abläufen zu handeln. Solche Handlungsdiagramme gibt es leider in der Kommunikation mit Bevölkerungsgruppen nicht. Im Kurs fokussieren wir deshalb auf mögliche Verhaltensweisen.» Um diese zu veranschaulichen, haben Forumtheater-Schauspieler einen nicht idealen Einsatzablauf einstudiert, der sich durch die Zuschauer verändern lässt. So erleben die Kursteilnehmenden, welche Auswirkungen ein Verhalten hat und was passiert, wenn man es ändert. 

Beängstigende Situationen thematisieren

Dass es kein Patentrezept gibt im Umgang mit den verschiedenen Nationalitäten, hat Fabio Reichelt, Rettungssanitäter in Ausbildung und Absolvent des Kurses, schnell gemerkt: «Den Schweizer kann ich einfach fragen, was los ist, und ihn behandeln. Beim Ausländer ist dies oft nicht so direkt möglich.» Vielmehr gehe es darum, möglichst schnell die Atmosphäre aufzunehmen und zu spüren, was angebracht sein könnte. «Man muss zuerst versuchen, eine Beziehung zu schaffen.» Dabei habe ihm der Kurs sehr geholfen, so Reichelt. «Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, sich Zeit zu nehmen und mit den Menschen zu sprechen.» Nur indem er erkläre, was er tue, könne er den Leuten die Angst nehmen. Reichelt ist sich bewusst, dass es beängstigend wirken kann, wenn Rettungssanitäter dem Patienten auf dem Brustkorb herumdrücken.

Passende Variationen für das Schema X finden

Es mag etwas irritierend anmuten, wenn sich Rettungssanitäter Zeit nehmen sollen. Michael Bischof erklärt aber, dass es nicht immer Notfälle mit Blaulicht sind wie im Film, sondern dass oft ein paar Minuten Zeit bleiben für Erklärungen. Bischof zeigt im Kurs den Rettungssanitätern auch auf, dass sie nicht nur nach Schema X handeln können. Der verschleierten Frau kann unter Umständen auch ein Verwandter die nötigen Instrumente anbringen, damit die Sanitäter die Herzaktivitäten überwachen können.

«Wir wollen das Bewusstsein schaffen, dass verschiedene Handlungsmöglichkeiten bestehen», erklärt Bischof. Gleichzeitig macht er auf die Grenzen der Verhaltensmöglichkeiten aufmerksam: wenn professionelle Standards verletzt werden oder Verhalten diskriminierend wird. «Die Schmerzäusserungen eines italienischen Fussballers als sogenannten Morbus mediterraneus zu verharmlosen, ist nicht professionell», erklärt Bischof. Im Kurs bekommen die Teilnehmenden daher Tipps, wie sie sich situationsgerecht verhalten können. Im Falle des Fussballers wäre das etwa, eine Schmerzspritze anzubieten. «Wir helfen dem Patienten, seinen Schmerz in einen Kontext zu stellen. Falls der Patient die Spritze ablehnt, dürfte der Schmerz kaum sehr stark sein», sagt Bischof.

Drogen, Diabetes oder noch etwas anderes?

«An vielen interkulturellen Ansätzen stört mich, dass sie ein schlechtes Gewissen machen», so Bischof. Es gehe auch nicht darum, wer sich wem anpassen müsse. «Ich möchte den Rettungssanitätern den Mut geben, an sich selber zu glauben, und ihnen helfen, Unsicherheiten abzubauen. Wir tun dies, indem wir ihnen Instrumente mitgeben, welche sie darin unterstützen, ihre Kompetenzen im Alltag auszuschöpfen.» Wichtig sei, dass die Rettungssanitäter bei ihren Einsätzen offen, möglichst ohne Vorurteile an die Situation herantreten: «Wenn an der Streetparade einer am Boden liegt, darf man nicht denken: ‹Aha, ein Drogenkonsument.› Es kann auch ein Diabetiker mit Unterzuckerung sein.» Fabio Reichelt bestätigt: «Die wichtigsten Verhaltensweisen in meinem Beruf sind Sensibilität, eine schnelle Auffassungsgabe und Einschätzung der Lage und, fundamental, die Kommunikation.»

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