HR Today Nr. 9/2021: swissstaffing-News

Ist eine Schriftformerfordernis beim Abschluss von Arbeitsverträgen noch zeitgemäss?

Grundsätzlich stellt das Gesetz keine Formvorschrift an Arbeitsverträge. Sie können auch mündlich abgeschlossen werden, mit Ausnahme der Temporärbranche. Im Bereich Personalverleih legt Art. 19 Abs. 1 des Arbeitsvermittlungs­gesetzes (AVG) fest, dass der Verleiher den Vertrag mit dem oder der Arbeitnehmenden in der Regel schriftlich abschliessen muss. Der Vertrag muss grundsätzlich vor der Arbeitsaufnahme vorliegen und von beiden Vertragsparteien vor dem Arbeitseinsatz unterzeichnet werden. Auch spätere Vertragsänderungen unterliegen der Schriftform.

Wer rasch ein kurzfristiges Arbeitsverhältnis eingehen möchte, will sich oft nicht mit übermässigem Papierkram auseinandersetzen. Und das noch weniger, wenn sich Arbeitnehmende und Firma mit ein paar Klicks auf einer Plattform unkompliziert gefunden und sich auf die Einsatzmodalitäten geeinigt haben. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung zeigen sich spätestens hier die Hürden in der Gesetzgebung zur Schriftformerfordernis für die Temporärbranche. Daher darf durchaus berechtigt die Frage gestellt werden, ob die Schriftformerfordernis für neuere, flexiblere Erwerbsformen noch das geeignete Instrument für Vertragsabschlüsse ist. Das Arbeitsvermittlungsgesetz (AVG) entstand in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre. Als das Schriftlichkeitskriterium damals eingeführt wurde, war die eigenhändige Unterschrift die einzig mögliche Form, um einen schriftlichen Vertrag abzuschliessen. Hintergrund dieser Regelung war der Wunsch des Gesetzgebers, Arbeitnehmende in flexiblen Beschäftigungsverhältnissen besonders gut zu schützen. Aber bieten handschriftlich unterzeichnete Arbeitsverträge tatsächlich einen besseren Schutz und sind sie sicherer als auf anderem Weg zustande gekommene Verträge?

Kein besonderer Schutz der Vertragsparteien durch Schriftformerfordernis

Formvorschriften führen zu klaren Verhältnissen, indem klargestellt und bewiesen werden kann, welcher arbeitsvertragliche Inhalt vereinbart worden ist. Zu Beweiszwecken und zum Schutz der Vertragsparteien (insbesondere Arbeitnehmende) sind aber längst kein Papier und keine eigenhändige Unterschrift mehr nötig. Digitale Mechanismen bieten heute verschiedene Möglichkeiten, eine Vereinbarung beweisbar und im Nachhinein nicht abänderbar zu gestalten. Und sie ermöglichen, den Vertragsparteien die nötigen Beweisstücke in die Hand zu geben, welche die Begründung ihres Vertrages unabänderbar dokumentieren. Dem Arbeitnehmenden ist es somit problemlos und jederzeit möglich, den beispielsweise per E-Mail oder in einer entsprechenden App zur Verfügung gestellten Arbeitsvertrag vor Einsatzbeginn einzusehen. Im Rahmen von digitalen Vertragsabschlüssen können Arbeitnehmende zudem generell besser auf Informationen aufmerksam gemacht werden als bei papierbasierten Prozessen. Handschriftlich unterzeichnete Verträge bieten somit keineswegs einen besseren Schutz als Verträge, die auf anderem Wege zustande gekommen sind. Eine Formvorschrift darf die Vertragsparteien nicht in ihrer Interaktion behindern und die Dynamik digitaler Geschäftsabläufe ausbremsen.

Während der Corona-Pandemie wurden Arbeitsverträge aufgrund der Notsituation und der damit verbundenen behördlichen Massnahmen, insbesondere der Homeoffice-Anordnung des Bundesrates, vorübergehend mittels einer «einfachen» digitalen Signatur, eines unterschriebenem PDF-Scans oder per E-Mail-Antwort abgeschlossen. In dieser ausserordentlichen Situation hat sich gezeigt, dass eine digitaltaugliche, durch Text nachweisbare Form (beispielsweise E-Mail, signieren am Touchscreen, einscannen der handschriftlichen Unterschrift etc.) keine negativen Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis hat und den Arbeitnehmerschutz in keiner Weise infrage stellt.

Formerfordernisse verhindern einen digitalen Geschäftsablauf

Gesetzliche Formvorschriften erschweren die IT- und technikbasierte Tätigkeit der Personaldienstleister im digitalen Zeitalter wesentlich. Die Schriftformerfordernis ist mit Zeit und Kosten verbunden und verhindert eine digitale Optimierung in den Verleihbetrieben – unabhängig davon, ob das Geschäftsmodell digital ist oder nicht. Diese Formvorschriften stellen für Betriebe einer digitalen Plattform ein zusätzliches Hindernis dar, das eine vollständig automatisierte Geschäftsabwicklung verunmöglicht. Das heisst, auch im Falle über digitale Plattformen angebotener Dienstleistungen müssen immer noch Vertragsdokumente ausgedruckt, unterzeichnet und dann per Post versendet werden. Gesetzliche Formvorschriften sind somit die grösste Hürde für digitale Geschäftsmodelle, weil sie einen digitalen Ablauf verhindern, zu Medienbrüchen und zu einer Vermischung digitaler und analoger Vorgänge führen.

Zwar gibt es eine gesetzlich zulässige elektronische Unterschrift, die der handschriftlichen gleichgestellt ist (Art. 14 Abs. 2bis OR). Die Anforderungen an die qualifizierte elektronische Unterschrift nach ZertES sind jedoch derart hoch, dass sie sich bis jetzt in der Praxis nicht durchgesetzt hat. Dies nicht zuletzt, weil die qualifizierte elektronische Signatur nach ZertES aus Unternehmenssicht kostspielig sowie mit hohem organisatorischem und technischem Aufwand verbunden ist. Die Ablehnung des Bundesgesetzes über elektronische Identifizierungsdienste (E-ID-Gesetz) hat überdies die Verbreitung der qualifizierten elektronischen Signatur nach ZertES weiter verzögert. Selbst wenn sich elektronische Signaturen bei Unternehmen durchsetzen würden, stellt die praktisch nicht vorhandene Marktdurchdringung bei Privatpersonen weiterhin ein Hindernis für eine digitale Geschäftsabwicklung dar.

Schriftlichkeitskriterium im Widerspruch zur gelebten Realität

Solange Verträge noch immer eine handschriftliche Unterschrift benötigen, wird Wirtschaft und Gesellschaft die Möglichkeit verwehrt, digital zu arbeiten und Geschäfte abzuwickeln, was gleichbedeutend steht für Vertragsdokumente ausdrucken, unterzeichnen und dann per Post versenden. Die Corona-Krise hat deutlich gezeigt, dass die Schriftformerfordernis heute mehr denn je im Widerspruch zur rasch fortschreitenden Digitalisierung und den praktischen Bedürfnissen von Wirtschaft und Gesellschaft steht. Diese Tatsachen machen es nötig, das Recht möglichst rasch an die technologischen Möglichkeiten und Anforderungen der heutigen Zeit anzupassen. Es braucht offensichtlich eine Neuinterpretation der Schriftform. Auch sie soll den Vertragsparteien die nötige Sicherheit verleihen, sie aber gleichzeitig nicht in ihrer Interaktion behindern und die Dynamik digitaler Geschäftsabläufe nicht ausbremsen. Eine einfache, digital nachweisbare Form des Vertragsabschlusses bietet den Arbeitnehmenden die erforderliche Sicherheit und mit den heutigen Möglichkeiten lässt sich eine Vereinbarung zum Schutz der Arbeitnehmenden beweisbar und im Nachhinein nicht abänderbar gestalten.

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Boris Eicher ist Leiter des Rechtsdiensts bei swissstaffing, dem Verband der Personaldienstleister der Schweiz.

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