Recruiting

«Jede Firma kann in ihrer 
Branche ein Matterhorn sein»

Für den Coach und Buchautor Andreas Buhr ist klar: Bei Neueinstellungen dürfen heute noch weniger Fehler gemacht werden als vor der Krise. Denn nur wenn Mitarbeiter und Unternehmen zusammenpassen, entsteht echte Wertschöpfung und damit auch Gewinn.

Herr Buhr, Sie haben während Ihrer Zeit als Führungskraft über 5000 Mitarbeitende eingestellt. Was ist Ihrer Meinung nach das Wichtigste bei der Personalauswahl?

Andreas Buhr: Wenn man so viele Einstellungsgespräche geführt hat, bekommt man ein untrügliches Gespür für diejenigen, die wollen, die können und die passen. Es gilt immer: wer vor was. Wer jemand ist, was ihn auf der charakterlichen und der Beziehungsebene auszeichnet, wird immer das Wichtigste sein – denn alle erforderlichen technischen Fertigkeiten kann er sich in der Aus- und Weiterbildung und dann im Doing on the Job noch aneignen. Wen man aber zum Jagen tragen muss, der wird nie den Reiz beim Laufen spüren.

Wie haben Sie jeweils erkannt, ob eine Person die richtige für die jeweilige Stelle oder das jeweilige Unternehmen war?

Verständnis und Verständigung hängen eng zusammen. Daher habe ich nach vielversprechend verlaufenen Bewerbungsgesprächen von den Kandidaten eine kleine schriftliche Zusammenfassung der besprochenen Inhalte erbeten – so wird schnell klar, wie viel Verständnis für Unternehmen und Job wirklich da war.

Ob man sich für die richtigen Bewerber entschieden hat, erkennt man aber erst in der Praxis. Meine Formel: Gleich zu Beginn der Probezeit mehr fordern, genau hinschauen, wie sich der Neuzugang im Team bewegt, wie ehrgeizig, belastbar, resilient er ist. Und ganz wichtig: wie bereit und fähig dieser Mensch ist, selbst Verantwortung zu übernehmen.

Braucht es heute in der Recruitingabteilung andere Mitarbeitende als vor der Krise? 

Vielleicht muss ein Krisenrekrutierer noch mehr Erfahrung haben – Erfahrung, die mit dem Alter kommt. Er muss wissen, wie er die richtigen Leute möglichst rasch an die richtige Stelle im Unternehmen bringt, und sie schnellstmöglich weiterbilden und trainieren. Survival of the Fittest – das gilt für Firmen in dieser Zeit, und das sind nicht die Stärksten, sondern die, die am besten an die Herausforderungen der Zeit angepasst sind.

Jetzt dürfen bei den Neueinstellungen noch weniger Fehler gemacht werden als sonst, denn dies verursacht extrem mehr Kosten. Der menschliche Faktor ist ja quasi ein Hebel für Verlust oder Gewinn – bei Fehlern entstehen hier die grössten auch materiellen Schäden. Passen Mitarbeiter und Unternehmen und passen die Wertesysteme zusammen, entstehen auch die grössten Gewinne. Ich halte es mit dem deutschen Journalisten Franz Luwein, von dem der Spruch überliefert ist: «Erstklassige Männer stellen erstklassige Männer ein, zweitklassige nur drittklassige.»

Alle Unternehmen verkünden, sie suchten die besten Leute auf dem Markt. Wie gelingt es einer Organisation, tatsächlich die besten Leute zu rekrutieren?

Topleute und wirkliche High Potentials bewerben sich nur bei Unternehmen mit Topimage. Dazu bedarf es einer klaren Positionierungsstrategie und der Fähigkeit, sich mittels Company Branding als Arbeitgebermarke bekannt zu machen und zu bewähren.

Und wie sieht eine solche Strategie aus?

Es gilt auch hier das Gesetz von Attraktion und Engpass: Ich nenne es die Matterhorn-Strategie. Das Matterhorn ist einzigartig, es ist eine Attraktion, und es ist sehr schwer zu besteigen. Genau das gilt auch für gutes Company Branding. Nur mit einem solchen erzielt man die Sogwirkung, die eine starke Unternehmensmarke auf die besten Nachwuchskräfte und Topleute ausübt. Jede Firma kann in ihrer Branche, in ihrer Gegend ein solches Matterhorn sein, das einzigartig ist, das eine Richtung vorgibt, das für Dauerhaftigkeit steht – und auch noch schön anzusehen ist. Hier heisst Führung Markenführung.

Es gibt Rankings von Firmen als Arbeitgebermarken in den verschiedenen Branchen, und diese sind faktisch grösseren Schwankungen unterworfen. Man kann also etwas tun, man kann Sogkraft entfalten! Daher ist es entscheidend zu wissen, dass es sehr viel gibt, was HR- / PE-Leiter, Recruiter oder Unternehmer selbst dazu beitragen können, damit sie die Right Potentials und die besten Führungskräfte nicht suchen müssen, sondern dass diese zu ihrem Unternehmen kommen wollen.

Was genau können denn Personalchefs oder Rekrutierungsverantwortliche machen, damit die besten Leute zu ihnen kommen wollen?

Sie müssen erstens für eine klare Markenstrategie sorgen, zweitens für ein klares Werteprofil und drittens für klare Perspektiven innerhalb des Unternehmens.

Und wie gelingt dies in Zeiten von Stellenabbau, negativen Schlagzeilen in der Presse und Reorganisationen?

Indem das Unternehmen eine klare, erkennbare Strategie und Positionierung hält – egal ob Boom oder Krise. Ist die Aussenstimmung schlecht, muss die Stimmung im Unternehmen durch gelebte Werteorientierung hochgehalten werden. Vertrauen, Verantwortung, Respekt, Integrität, Nachhaltigkeit und Mut: Diese sechs Werte benannten Topmanager in einer Umfrage der «Wertekommission – Initiative wertebewusste Führung e.V.» als wichtig. Diese Werte müssen gelebt werden – und dafür muss das Unternehmen bekannt und glaubwürdig sein. Dann bleibt es trotz Krise attraktiv für neue und bestehende Mitarbeiter.

Zudem gibt es eine Korrelation zwischen gelebten Unternehmenswerten und überdurchschnittlichem finanziellem Erfolg. Das beweist eine weltweite Befragung von Booz Allen Hamilton und dem Aspen Institut. Es stimmt, Werte schaffen Wert!

Braucht es heute andere Rekrutierungsmassnahmen als in wirtschaftlichen Boomzeiten?

Ob Krise oder Boom – das Prinzip bleibt dasselbe: Es geht darum, die passenden Mitarbeitenden für das Unternehmen zu finden.

Wie definieren Sie «passend»?

Passend ist immer eine Frage der Werte und der Einstellungen. Werteorientierte, wertvolle Führung beruht auf dem Match zwischen den Werten, die im Unternehmen gelebt werden, und den Werten und Einstellungen, die ein Neuling mitbringt. Wenn es diesen Match nicht gibt, wird es keine erfolgreiche Zusammenarbeit geben.

Wie lässt sich dieser Match prüfen?

Prüfen kann man diesen Match durch den Einsatz entsprechender Tools wie beispielsweise des renommierten INSIGHTS MDI® und ASSESS(1) – und durch das gerüttelt Mass an Intuition, das jeder Rekrutierer und jede Führungskraft in sich entwickeln muss.

Und wie kann eine Führungskraft oder ein Rekrutierer diese Intuition entwickeln?

Intuition entsteht nur durch Erfahrung. Oder wie Sokrates es ausgedrückt hat: Wer seinen Text kennt, dem folgen die Worte nach.

Die Rekrutierungsmassnahmen bleiben also trotz Krise gleich. Gilt das auch für die Rekrutierungsmethoden?

Nein, diese werden durch den Einsatz von Video und weiteren Medien umfangreicher und auch direkter. Social Media spielen neuerdings eine ständig wachsende Rolle, wenn es darum geht, die Besten unter den Digital Natives zu rekrutieren. Smarte Unternehmen sprechen diese gar nicht unbedingt selbst an, sondern schaffen sich auch in diesen Social Media einen «mythischen» Platz als starke Marke, zu der die begehrten jungen Talente strömen.

So finden Unternehmen die Leute mit der 
richtigen Einstellung

  1. Direktansprache / Abwerbungen
  2. Mitarbeiternetzwerke
  3. 
Mittler wie Headhunter, Recruitment-Unternehmen oder auch Vereine / Verbände / Empfehlungen aus dem Business
  4. Kundenhinweise
  5. Internetbörsen, Social Media
  6. Zeitungsannoncen
  7. Company Branding
  8. Zufall

Gibt es den idealen Mix von Rekrutierungsmassnahmen /-instrumenten?

Der Begriff der Rekrutierung, der aus dem militärischen Bereich stammt, läuft meiner Meinung nach der überzeugenden Gewinnung der richtigen und wichtigen Mitarbeiter diametral entgegen. Denn eigentlich geht es ja darum, die Menschen zu gewinnen, die sich richtig für Ihr Unternehmen einsetzen, die kompetent und engagiert sind, die die Unternehmensstrategie und das Portfolio verinnerlicht haben und die der Meinung sind, dass sie damit den Kunden etwas Gutes tun.

Suchen die Unternehmen heute andere Mitarbeitende als noch vor ein paar Jahren?

Nein, sie suchen keine anderen Mitarbeiter: Unternehmen suchten schon immer die Mitarbeitenden, die sie weiterbringen, den Kundennutzen maximieren und so Produkte und Leistungen anbieten können, die dauerhaft wertvoll für den Markt sind und Umsatz generieren. Nur so können Unternehmen ihrem gesellschaftlichen Auftrag nachkommen: Arbeitsplätze zu schaffen und das Gemeinwesen mit Steuergeldern zu unterstützen.

Durch die Krise ändert sich das nicht – geht es wieder bergauf, wird allerdings der War for Talents zurückkehren. Und er wird auch um die Digital Natives geführt werden, denn diese jungen Menschen sind in einer Weise untereinander vernetzt, dass nur sie die vernetzten Märkte von morgen verstehen können. Also ist es nur logisch, wenn Unternehmen in und nach der Krise ihren Fokus sowohl auf hochausgebildete Web Youngsters wie auch auf erfahrene Ältere richten werden. Nur so können sie den Ansprüchen des wachsenden Silver-Ager-Marktes auf der einen Seite und des zukunftsbestimmenden Social Media-Marktes mit allen neuen Trends auf der anderen Seite gerecht werden.

Der Gesprächspartner

Andreas Buhr, der sich selbst «Umsatz-Maschine» nennt, ist Experte für VertriebsIntelligenz®und ©lean leadership. Der Vollblutunternehmer ist renommierter Speaker, Topreferent 2008, Coach und Erfolgsbuchautor. Er leitet die von ihm gegründete go! Akademie für Führung und Vertrieb.
www.andreas-buhr.com

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Sandra Escher Clauss ist freie Journalistin.

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