Jeder hat die Mitarbeiter, die er verdient - oder doch nicht?
Wird ein neuer Vorgesetzter rekrutiert, stellen sich in der Regel einige Zeit nach Stellenantritt erste Probleme mit den Untergebenen ein. Der neue Boss muss Menschen führen, die er nicht ausgesucht hat. Er oder sie wurde diesen Leuten bloss vorgesetzt. Echte Führungspersönlichkeiten können damit umgehen - manche verstricken sich allerdings auch in Grabenkämpfe, arbeitsrechtliches Geplänkel und scheitern schliesslich.

Chefs dürfen auch Humor haben. Wenn dem so ist, können Leader solche Shirts bestellen und anziehen. Etwas Spass kann manche Situation im Betrieb entspannen. (Bild: Zazzle T-Shirt Factory)
«Jeder Chef bekommt die Mitarbeiter, die er verdient.» Wer kennt diesen Spruch nicht?
Im Grunde genommen stimmt er so auch gar nicht. Viele Führungskräfte finden Mitarbeiter vor, die sie sich nicht selbst ausgesucht haben. Diesen Menschen wurde man nur vorgesetzt, und nun soll man miteinander leben und zielführend-konfliktarm zusammen arbeiten. Oft lassen sich persönlich unsympathische Menschen nicht so ohne weiteres ersetzen, wofür es auch viele gute juristische Gründe gibt. Dann empfiehlt sich nur eines: damit leben lernen oder gehen.
Weg des geringsten Widerstands: einfach mal abhauen...
Gehen ist die einfachere der beiden Varianten und gleichzeitig auch die bequemste. Man erspart sich eine Menge unnötigen Stress, wenn man das Umfeld wechselt. Nur, ob die Menschen dort einem besser gefallen, zeigen die ersten sechs Monate.
Das Gallup-Institut vergleicht diesen Zustand mit dem einer Partnerschaft: «When workers join organizations, they have a honeymoon period of about six months, on average, during which they are generally highly engaged in their work. People usually join an organizationabout which they are excited. The average worker joins with high expectations, The best managers are adept at avoiding the transition from honeymoon to divorce».
Wenn sich also im ersten Halbjahr erste «Ernüchterungserscheinungen» einstellen und die anfänglich vielleicht sympathischen neuen Kollegen und Mitarbeiter recht vielversprechend wirken, entpuppen sie sich irgendwann doch als ganz normale Menschen mit eigenwilligem Profil. Es werden auf einmal gar nicht so schöne Seiten sichtbar. Werfen wir einen Blick in die Managementetagen, ob es da besser ist: «’Erzählen Sie doch ein wenig von Ihren Mitarbeitern. Was haben Sie für Leute? Was haben Sie für Kollegen und was für einen Chef?’ Als ob man Schleusen geöffnet hätte, sprudelt es nur so heraus, und sie berichten mir – über die Defizite und Schwächen; darüber, was die Leute alles nicht können, was die Kollegen für Idioten sind und welcher Versager der Chef ist.»
Es sind also oft auch gar nicht immer die Mitarbeiter, die über Kollegen, Kunden und Vorgesetzte jammern. Nein, auch in der «freiheitsverwöhnten» Managementetage wird sich beklagt, nämlich über die andere Seite des Schreibtischs. Von dort aus gesehen sieht die Welt ja auch je nach Standpunkt ganz anders aus. Das müsste auch anders gehen, sagt uns der gesunde Menschenverstand. Zumindest versuchen Berater, Trainer und Coaches in «Kulturveränderungsprogrammen» Menschen beliebig verändern zu wollen.
Frust ist völlig normal
Die meisten scheitern kläglich, weil Menschen sich nicht so schnell und leicht verändern lassen. Frusterlebnisse finden wir überall. In jedem Unternehmen gibt es ein Grundrauschen an normalem Frusterleben. Es ist normaler Bestandteil unseres Alltags, wie es auch Sysiphos aus der altertümlichen Sage oder die Vertreibung aus dem Paradies am Anfang der Bibel dokumentieren. Wenn solche Frusterlebnisse geschichtlich dokumentiert sind, brauchen wir als moderne Menschen nicht zu glauben, dass das Schicksal nur uns getroffen hätte. Im Gegenteil: Es war schon immer so.
Der Heidelberger Paartherapeut Arnold Retzer hat eine Lösung. Auch Retzer behauptet, dass Frusterlebnisse im Zwischenmenschlichen normal sind. Er beschreibt in seinem Buch «Lob der Vernunftehe», dass man den Partner/die Partnerin an bestimmten Grenzen einfach nicht ändern könne. Es gelte den anderen so zu nehmen wie er/sie ist. «Es kommt letztlich nicht darauf an, sich zu vertragen, sondern sich zu ertragen, ein Arrangement, das man auch als resignative Reife bezeichnen kann.»
Übertragen wir nun seine Erkenntnis, dass sämtliche Versuche, den Partner/die Partnerin zu ändern – denken Sie bitte an Ihre eigenen Versuche – kläglich zum Scheitern verurteilt sind. Das Gegenüber lässt sich nicht fremdbestimmt ändern, sondern beharrt auf Eigenständigkeit und Individualität. Das gleiche tun Berufstätige auch, egal, ob sie im Management arbeiten oder an der Basis. Jeder reklamiert für sich das Recht auf Entfaltung seiner eigenen Persönlichkeit.
Wenn wir – sofern wir eine Trennung nicht erwägen können oder wollen – gezwungen sind, mit jemand anderem auszukommen, dann sollten wir anfangen, diese Person zu ertragen. Umgekehrt wird das Gegenüber dies auch mit uns machen müssen. Wir dürfen uns von Umerziehungsphantasien verabschieden und vor der individuellen Eigenwilligkeit des Gegenübers respektvoll resignieren. Wenn wir resignieren, dann sollten wir es nach Ansicht von Retzer aber aus einem gereiften Persönlichkeitsstatus wie Erwachseneheraus tun.
Gereifte Menschen ertragen den «Business-Irrsinn»
Nur wer reif genug ist, kann andere ertragen. Unreife Personen jammern und glauben, der Mittelpunkt der Welt zu sein, an dem sich alles zu orientieren habe. Wir können Menschen nicht beliebig verändern, wir können sie nur respektvoll-resignierend akzeptieren, tolerieren und schätzen lernen.
Der Rat des Managementberaters hierzu lautet: «Die Aufgabe von Management ist es, Menschen so zu nehmen wie sie sind, ihre Stärken herauszufinden und ihnen durch entsprechende Gestaltung ihrer Aufgaben die Möglichkeit zu geben, dort tätig zu werden, wo sie mit ihren Stärken eine Leistung erbringen und Ergebnisse erzielen können. Man kann aus einer Milchkuh kein Wollschaf machen.»
Wenn sowohl Paartherapeuten und Managementberater das gleiche raten, sollte stärker als bisher darüber nachgedacht werden, was an dieser provokanten These praktikabel und persönlich herausfordernd ist. Es könnte dazu führen, die eigenen Mitarbeiter mehr denn je so zu nehmen, wie sie sind und gezielt auf die konsequente Weiterentwicklung ihrer Stärken zu setzen.
Literatur
- Malik, F.: Führen. Leisten. Leben. Wirksames Managementfür eine neue Zeit. München: Heyne 2001, 8. Auflage
- Retzer, A.: Das Wunder der Ehe. Psychologie Heute 35/4, 2008, S. 20-24
- Retzer, A.: Lob der Vernunftehe. Eine Streitschrift für mehrRealismus in der Liebe. Frankfurt am Main: Fischer 2010
- Wagner, R./Harter, J.: 12. The elements of great managing. New York: Gallup 2006